BGH: Unzulässigkeit der vorweggenommenen Beweiswürdigung

ZPO § 286; StPO § 244 III 2 Fall 3

Eine vorweggenommene Beweiswürdigung ist im Zivilprozess grundsätzlich unzulässig. (Leitsatz des Verfassers)

BGH, Beschluss vom 26.10.2016 - IV ZR 52/14, BeckRS 2016, 19658

Anmerkung von 
Richter am KG Dr. Oliver Elzer, Berlin

Aus beck-fachdienst Zivilverfahrensrecht 25/2016 vom 16.12.2016

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Sachverhalt

K, Gebäudeversicherer eines Mehrfamilienhauses, verlangt nach Regulierung eines Explosionsschadens von B, dem Haftpflichtversicherer des Mieters M, im Wege des sog. Innenausgleichs 69.136 EUR. Das LG weist die Klage ab. Es verneint die Voraussetzungen eines direkten Ausgleichsanspruches. M habe die Explosion durch grobe Fahrlässigkeit verursacht. Das OLG weist die Berufung nach § 522 II ZPO zurück. M hat den Schaden auch seiner Ansicht nach in hohem Maße grob fahrlässig verursacht. Das LG habe insoweit die aus dem polizeilichen Ermittlungsergebnis ersichtlichen Umstände umfassend gewürdigt. Von M aufgestellte Behauptungen widersprächen dem polizeilichen Ermittlungsergebnis so eklatant, dass sie offensichtlich falsch seien. M’s Vernehmung zur Richtigkeit dieser Behauptungen komme daher nicht in Betracht. Zwar könne die Glaubwürdigkeit eines Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Angaben nur nach einer persönlichen Vernehmung beurteilt werden. Dies gelte aber nicht, wenn die bisherigen Angaben des Zeugen in einem so eklatanten Widerspruch zu den objektiven Feststellungen eines Ermittlungsverfahrens stünden, dass sie falsch sein müssten. Gegen diese Bewertung wendet sich K im Wege der Nichtzulassungsbeschwerde. Mit Erfolg!

Entscheidung

Eine Partei genüge ihrer Darlegungslast, wenn sie Tatsachen vortrage, die iVm einem Rechtssatz geeignet seien, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Genüge das Parteivorbringen diesen Anforderungen, könne der Vortrag weiterer Einzelheiten nicht verlangt werden. Das gelte insbes. dann, wenn – wie im Fall – die Partei selbst keine unmittelbare Kenntnis von den Vorgängen habe. Genüge das Parteivorbringen den Anforderungen an die Substanziierung, müsse der Tatrichter in die Beweisaufnahme eintreten. So liege es im Fall. K habe – soweit es ihm möglich gewesen sei – vorgetragen, wie es aus M’s Sicht zur Explosion gekommen sein soll. Dieser Vortrag sei hinreichend substanziiert und einer Beweisaufnahme zugänglich gewesen.

Ob M’s Darstellung glaubhaft sei, sei erst nach M’s Vernehmung iVm mit den sonstigen Umständen und Indizien zu würdigen. Eine vorweggenommene Beweiswürdigung sei unzulässig. § 244 III 2 Fall 3 StPO, der im Zivilprozess entsprechend anwendbar sei (Hinweis ua auf BGH NJW-RR 2013, 9 Rn. 14 = BeckRS 2012, 20994), erlaube es nur, einen Antrag auf Zeugenvernehmung für den Fall abzulehnen, dass die in das Wissen des Zeugen gestellte Tatsache bereits erwiesen sei. Im Fall habe das OLG hingegen aufgrund des Ergebnisses der polizeilichen Ermittlungen das Gegenteil der in das Wissen des Zeugen gestellten Tatsachen für erwiesen erachtet. In einem solchen Fall stelle es eine unzulässige vorweggenommene Beweiswürdigung dar, wenn der Tatrichter die Zeugenvernehmung mit Blick auf das Beweisergebnis im Übrigen ablehne.

Praxishinweis

Eine vorweggenommene Beweiswürdigung ist grds. unzulässig (stRspr, etwa BGH FamRZ 2014, 749 Rn. 11 = BeckRS 2014, 04546; BGH BeckRS 2011, 13994 Rn. 11). Es gibt nach hM aber auch Ausnahmen, etwa:

  • Ein Beweisantritt kann entsprechend § 244 III 2 Fall 4 StPO wegen Ungeeignetheit des Beweismittels zurückgewiesen werden. An die Untauglichkeit des Beweismittels sind freilich strenge Anforderungen zu stellen. Weder die Unwahrscheinlichkeit einer Tatsache noch der Wahrnehmung durch den Zeugen berechtigen den Tatrichter, von einer Beweisaufnahme abzusehen. Insbes. kommt keine Ablehnung eines Beweisantrags als ungeeignet in Betracht, wenn dadurch ein noch nicht erhobener Beweis vorab gewürdigt wird, da dies eine unzulässige Beweisantizipation darstellt (BGH NJW-RR 2013, 9 Rn. 14 = BeckRS 2012, 20994). Vielmehr kann von einem untauglichen Beweismittel nur dann ausgegangen werden, wenn es im Einzelfall vollkommen ausgeschlossen erscheint, dass die Beweisaufnahme irgendetwas Sachdienliches ergeben könnte.
  • Wenn der Unwert eines Beweismittels feststeht, weil nach dem Ergebnis einer bereits durchgeführten Beweisaufnahme jede Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass der Beweisantrag Sachdienliches ergeben und die von dem Gericht bereits gewonnene Überzeugung erschüttern kann (BGH FamRZ 2014, 749 Rn. 12 = BeckRS 2014, 04546; BGH BeckRS 2011, 13994 Rn. 13).
  • In Grenzen bei der Prüfung nach § 114 ZPO.

Bei einem Beweisangebot nach § 448 ZPO muss das Gericht im Übrigen vorab klären, ob es sich von der Vernehmung einen Überzeugungswert verspricht, also annimmt, die Partei werde aus eigenem Wissen etwas Sachdienliches bekunden können (BGH v. 20.12.1967 – VIII ZR 186/65, Rn. 26 – juris = BeckRS 1967, 31182220; OLG Koblenz FD-ZVR 2014, 357648). Dies kommt einer vorweggenommenen Beweiswürdigung nahe.

Redaktion beck-aktuell, 20. Dezember 2016.