BGH: Voraussetzungen des untreuespezifischen Unmittelbarkeitszusammenhangs zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil

StGB § 266 I Alt. 2; AktG § 108 II 3

1. Die Anweisung des nicht wirksam bestellten Alleinvertretungsberechtigten, liquide Mittel einer Fondgesellschaft auf ein fremdes Konto zu überweisen, um der Fondgesellschaft und ihren Gesellschaftern die Verfügungsgewalt über ihr Geldvermögen unbefugt zu entziehen, verletzt seine durch das tatsächliche Herrschaftsverhältnis begründete Vermögensbetreuungspflicht.

2. Es besteht ein Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen dieser pflichtwidrigen Handlung und der sich aus der Eintrittswahrscheinlichkeit der Auszahlung ergebenden bzw. später endgültig realisierten Vermögensminderung, sofern im Tatzeitpunkt aufgrund der Rahmenumstände sicher zu erwarten ist, dass der Schadensfall auch tatsächlich eintreten wird. (Ls. d. Verf.)

BGH, Urteil vom 04.03.2020 - 5 StR 395/19, BeckRS 2020, 3554

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Thomas Malsy, Ignor & Partner GbR, Berlin

Aus beck-fachdienst Strafrecht 07/2020 vom 02.04.2020

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Sachverhalt

Nach den Feststellungen des LG gründete der Angeklagte (A) jeweils in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG vier Fondgesellschaften. Gesellschafter waren jeweils die nicht am Ergebnis beteiligte B. GmbH als Komplementärin, die N. AG als geschäftsführende Kommanditistin und eine Rechtsanwältin (R) als Treuhandkommanditistin, welche die Kapitalanteile von geworbenen Anlegern treuhänderisch halten sollte. Für das Innenverhältnis sah der Gesellschaftsvertrag vor, dass die Treugeber wie unmittelbar beteiligte Kommanditisten behandelt werden sollten. Die Liquidation hatte durch die N. AG zu erfolgen. Das im Falle der Liquidation verbleibende Gesellschaftsvermögen war gesellschaftsvertraglich den Gesellschaftern und auch den Treugebern nach dem Verhältnis ihrer Einlagenkonten bzw. -unterkonten zugewiesen. Der gesondert verfolgte Rechtsanwalt H. (H), der zugleich Mitglied des Aufsichtsrats der N. AG war, fungierte als sog. Mittelverwendungskontrolleur. Der zwischen ihm und den Fondgesellschaften jeweils geschlossene Mittverwendungskontrollvertrag sah u.a. vor, dass er Inhaber der Treuhandkonten war und die dort befindlichen Guthaben bei Kündigung des Mittelverwendungskontrollvertrags der Auszahlungskontrolle eines anderen Mittelverwendungskontrolleurs zu unterstellen hatte.

Nachdem die Vorstandsmitglieder der N. AG zurückgetreten waren und mit Ausnahme von H auch die übrigen Aufsichtsratsmitglieder ihr Amt aufgegeben hatten, beschloss H am 26.10.2009, A zum alleinvertretungsberechtigten Vorstand der N. AG zu berufen. Dabei wussten A und H, dass der Aufsichtsrat nicht mehr beschlussfähig war. Am 30.10.2009 kündigte H den Mittverwendungskontrollvertrag, unterstellte die auf den Treuhandkonten befindlichen Guthaben aber nicht der Auszahlungskontrolle eines neuen Mittelverwendungskontrolleurs. Daraufhin erklärte A, die Konten der Fondgesellschaften bis zur Findung eines neuen Mittelverwendungskontrolleurs der treuhänderischen Kontrolle der C. GmbH zu unterstellen. A beherrschte die C. GmbH und war deren Geschäftsführer. Er forderte H dazu auf, die auf den Treuhandkonten noch vorhandenen Guthaben auf ein Konto der C. GmbH auszukehren. Dabei wusste A, dass sowohl H als auch ihm selbst die Berichtigung für die Auskehrung fehlte. In seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der B. GmbH und Vorstand der N. AG fasste er am 11.11.2009 den Beschluss, die vier Fondgesellschaften aufzulösen und bestellte sich selbst zum Liquidator. H wies die Banken mit Schreiben vom 10. und 12.11.2009 an, das noch vorhandene Guthaben der vier Fondgesellschaften an die C. GmbH auszukehren. Das Geld, welches die Fondgesellschaften aus dem Verkauf von Fondanlagen, aus Darlehen und aus Kommanditeinlagen vereinnahmt hatten, war zum 1.12.2009 bis auf einen Betrag von insgesamt 181.554,73 Euro verbraucht. Dieser Betrag machte das verbleibende Bankguthaben der Fondgesellschaften aus und wurde bis zum 1.12.2009 auf das Konto der C. GmbH überwiesen. Die dort eigegangenen Gelder verwendete A willkürlich und sorgte weder für einen Rückfluss an die Fondgesellschaften oder deren Gesellschafter noch an die Anleger (Treugeber).

Das LG verurteilte A wegen Untreue zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung es zur Bewährung aussetzte. A legte Revision ein, die er auf die Sachrüge stützte.

Entscheidung

Die Verurteilung des A wegen Untreue gemäß § 266 I Alt. 2 StGB sei nicht zu beanstanden. A sei aufgrund der faktischen Übernahme der Vorstandstätigkeit für die N. AG als der geschäftsführenden Kommanditistin der Fondgesellschaften gegenüber den Gesellschaftern der Fondgesellschaften einschließlich der im Innenverhältnis wie Kommanditisten zu behandelnden Anlegern (Treugebern) vermögensbetreuungspflichtig gewesen. Die Verletzung dieser Vermögensbetreuungspflicht habe das LG zutreffend schon in der Anweisung an H gesehen, die liquiden Mittel der Fondsgesellschaften auf das Konto der C. GmbH zu überweisen. A sei hierzu nicht berechtigt gewesen, weil sowohl die Übertragung der Aufgaben des Mittelverwendungskontrolleurs auf die C. GmbH als auch der Beschluss des A, die Fondsgesellschaften auszulösen, unwirksam gewesen seien. Es bestehe auch ein Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen dieser pflichtwidrigen Handlung und dem Nachteil, weil der tatsächliche Eintritt des Schadensfalls aufgrund der Rahmenumstände im Tatzeitpunkt sicher zu erwarten gewesen sei. Diese Rahmenumstände seien im gleichermaßen gesetzes- (§ 108 II 3 AktG) wie auch gesellschafts- und mittelverwendungskontrollvertragswidrigen Vorverhalten des gesondert verfolgen H zu sehen, die sicher haben erwarten lassen, dass er der Anweisung des A Folge leisten und die Banken zur Auszahlung der Guthaben veranlassen würde.

Praxishinweis

Die Frage, ob über bloße Kausalität hinaus ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen pflichtwidrigem Handeln und Vermögensnachteil Tatbestandsvoraussetzung der Untreue ist, beantworten die Strafsenate des BGH nicht einheitlich (zust.: 3. Strafsenat, NJW 2016, 2585 - Rn. 90; 2. Strafsenat, NJW 2011, 3528 - Rn. 8; abl. 1. Strafsenat, NJW 2011, 1747 - Rn. 59). Der 5. Strafsenat lässt die Frage im dargestellten Urteil offen. Dem 3. Strafsenat schließt er sich insoweit an, als ein Unmittelbarkeitszusammenhang zwischen Pflichtwidrigkeit und Nachteil bestehen soll, sofern im Tatzeitpunkt aufgrund der Rahmenumstände sicher zu erwarten ist, dass der Schadensfall auch tatsächlich eintreten wird (so auch 4. Strafsenat, NJW 2016, 3253 - Rn. 39). In diesem Fall soll unerheblich sein, ob der - dem Gefährdungsschaden nachfolgende – Erfüllungsschaden isoliert betrachtet eine derartige sachliche und zeitliche Nähe zu der Pflichtverletzung aufweist, dass er dem Unmittelbarkeitserfordernis genügen könnte (NJW 2016, 2585 - Rn. 90; NJW 2015, 1618 - Rn. 49). Dem Unmittelbarkeitskriterium werde ohnehin nicht die Bedeutung beigemessen, dass Pflichtwidrigkeit und Nachteil in einem engen zeitlichen Verhältnis zueinander stehen müssten (zust. insoweit auch 1. Strafsenat, NJW 2011, 1747 - Rn. 59).

Der Praktiker sollte sich vergegenwärtigen, dass der Unmittelbarkeitszusammenhang – soweit er überhaupt als Tatbestandsvoraussetzung der Untreue angesehen wird – nicht voraussetzt, dass der Nachteil zeitgleich mit bzw. sofort oder auch nur alsbald nach der pflichtwidrigen Handlung eintritt. Maßgebend ist vielmehr, dass der Schadenseintritt nicht (mehr) von der Handlung eines Dritten abhängt, dem ein Beurteilungsspielraum oder Ermessen eingeräumt ist (NJW 2015, 1618 - Rn. 49).

Redaktion beck-aktuell, 6. April 2020.