OLG Karlsruhe: Elektronisch eingereichte Rechtsmittelschrift muss den Formvorschriften genügen

StPO § 41a; EAEGÜR LERVVO § 7 II Nr. 2; EGStPO § 15; OWiG § 79 III S. 1

Mit der elektronischen Einreichung einer Rechtsmittelschrift, die nicht den gesetzlichen Formvorschriften genügt, wird die Rechtsmittelfrist nicht gewahrt.

OLG Karlsruhe, Beschluss vom 19.08.2019 - 2 Rb 8 Ss 386/19, BeckRS 2019, 19154

Anmerkung von 
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht, Björn Krug, LL.M. (Wirtschaftsstrafrecht), Ignor & Partner GbR, Berlin und Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Strafrecht 18/2019 vom 19.09.2019

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Sachverhalt

Mit Urteil vom 9.10.2018, das dem Verteidiger (V) am 19.11.2018 zugestellt wurde, verurteilte das AG den Betroffenen (B) wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaften um 49 km/h zu der Geldbuße von 160 € und setzte unter Anwendung der Vier-Monats-Regelung des § 25 IIa StVG ein Fahrverbot von einem Monat fest. Die am 15.10.2018 eingelegte Rechtsbeschwerde des B wurde mit nicht unterzeichnetem Verteidigerschriftssatz vom 18.12.2018 begründet, der am 18.12.2018 elektronisch über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) eingereicht wurde. Da das Empfangsprotokoll eine fehlende qualifizierte Signierung auswies, verwarf das AG die Rechtsbeschwerde mit am 1.4.2019 zugestelltem Beschluss vom 20.3.2019 als unzulässig. Am 2.4.2019 hat B die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts mit der Behauptung einer ordnungsgemäßen Übermittlung des Begründungsschriftsatzes beantragt. Dem zunächst gestellten Antrag der GenStA vom 23.5.2019 auf Verwerfung des Antrags auf Entscheidung des Rechtsbeschwerde ist B, dem das gerichtliche Übertragungsprotokoll erst auf Verfügung des Senats vom 28.6.2019 mitgeteilt wurde, mit einem mittels Telefax eingereichtem Schriftsatz des V vom 26.6.2019 entgegengetreten, der vom Verteidiger unterzeichnet ist und dem (nochmals) die Rechtsbeschwerdebegründung und (erstmals) das Prüfprotokoll vom 18.12.2018, indem eine ordnungsgemäße Signierung bestätigt wird, beigefügt waren. Nach Hinweis des Senats hat die GenStA ihren Antrag vom 23.5.2019 zurückgenommen und beantragt nunmehr, die Rechtsbeschwerde nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde als unbegründet zu verwerfen.

Entscheidung

Dem B sei von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Begründung der Rechtsbeschwerde zu gewähren. Es liege ein Fall der Säumnis vor, da die frist- und formgerechte Begründung der Rechtsbeschwerde nicht nachgewiesen sei. Denn dazu bedürfe es des vollen Nachweises, wobei der Zweifelsgrundsatz nicht gilt. Dieser Beweis sei wegen des Widerspruchs zwischen dem vom Verteidiger vorgelegten Prüfprotokoll und dem gerichtlichen Empfangsprotokoll hinsichtlich einer qualifizierten Signatur vorliegend nicht geführt. Damit fehle es an einer innerhalb der Frist erfolgten, den gesetzlichen Formvorschriften entsprechenden Rechtsbeschwerdebegründung. Dazu habe die GenStA auf der Grundlage des gerichtlichen Empfangsprotokolls in ihrer Antragsschrift vom 23.5.2019 zutreffend ausgeführt: „Der Schriftsatz vom 18.12.2018, der die Begründung der Rechtsbeschwerde enthält, ist nicht (...) in einer durch den Verteidiger unterzeichneten Schrift angebracht. § 41a I StPO a.F. sieht zwar grundsätzlich vor, dass eine schriftlich abzufassende und zu unterzeichnende Begründung auch als elektronisches Dokument eingereicht werden kann. (...) Die Voraussetzungen von § 41a I StPO sind jedoch nicht erfüllt. Der elektronisch übermittelte Schriftsatz vom 18.12.2018 war - wie sich aus dem gerichtlichen Eingangsprotokoll ergibt (AS 137) - nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen, wie es § 41a I S. 1 StPO grundsätzlich vorschreibt. Diese Vorschrift sieht in Abs. 1 S. 2 zwar vor, dass neben der qualifizierten elektronischen Signatur auch ein anderes sicheres Verfahren durch Rechtsverordnung zugelassen werden kann. Die insoweit bis 31.12.2018 maßgebliche LERVVO sah in § 7 alternativ zur Übermittlung eines elektronischen Dokuments mit qualifizierter elektronischer Signatur vor, dass ein Dokument von der verantwortenden Person signiert und auf einem näher definierten sicheren Übermittlungsweg eingereicht werden kann. Diese Voraussetzungen sind vorliegend jedoch ebenfalls nicht erfüllt. Entgegen den Angaben des Verteidigers wurde der Schriftsatz nicht vom - in § 7 II Nr. 2 LERVVO genannten - besonderen elektronischen Anwaltspostfach aus übermittelt. Vielmehr erfolgte die Übermittlung ausweislich des gerichtlichen Eingangsprotokolls über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP). [...] Im Übrigen setzt auch die Übermittlung vom besonderen elektronischen Anwaltspostfach voraus, dass das elektronisch übermittelte Dokument durch die verantwortende Person (handschriftlich) signiert wird, § 7 I LERVVO. Eine solche Signatur weist der Schriftsatz vom 18.12.2018 aber nicht auf."

Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen vor. Dabei könne dahingestellt bleiben, ob den V an der nicht ordnungsgemäßen Übermittlung des Begründungsschriftsatzes ein Verschulden trifft, da dieses jedenfalls dem B nicht zuzurechnen ist. Das Vertrauen des B auf eine fristwahrende Übermittlung des Begründungschriftsatzes am 18.12.2018 sei erst durch die Möglichkeit der Kenntnisnahme des mit Verfügung des Senats vom 28.6.2019 mitgeteilten gerichtlichen Empfangsprotokolls beseitigt worden. Da inzwischen die Rechtsbeschwerdebegründung formgerecht nachgeholt worden wäre, könne danach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand von Amts wegen erfolgen. Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entziehe dem Verfahren die Grundlage; der die Rechtsbeschwerde als unzulässig verwerfende Beschluss des AG vom 20.3.2019 sei damit gegenstandslos.

Die Rechtsbeschwerde des B gegen das Urteil des AG vom 9.10.2018 sei unbegründet, da die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Rechtsbeschwerde keinen Rechtsfehler zum Nachteil des B ergeben habe. (...) Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Einlassung des B der Annahme einer vorwerfbaren Geschwindigkeitsüberschreitung nicht entgegenstehe. Soweit er dabei geltend gemacht habe, erst während des Überholvorgangs die Geschwindigkeitsbeschränkung erkannt zu haben, bedürfe es keiner weiteren Feststellungen, nachdem sich aus der Einlassung des B nicht ergibt, dass die Überschreitung der danach zulässigen Geschwindigkeit zum Ausschluss einer nicht anders abwendbaren Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer erforderlich war. Hinsichtlich eines nachfolgenden, ebenfalls überholenden Fahrzeugs ergebe sich aus der Einlassung des B, dass dieses in „normalem" Abstand hinter ihm fuhr, was darauf schließen lässt, dass eine Reduzierung der Geschwindigkeit ohne Gefährdung des nachfolgenden Fahrzeugs möglich war. Eine Gefährdung entgegenkommenden Verkehrs sei nicht geltend gemacht. Soweit von dem nach § 4 I S. 1 Nr. 1 BKatV regelmäßig anzuordnenden Fahrverbot trotz der vom B damit verbundenen Auswirkungen nicht abgesehen wurde, lasse dies Rechtsfehler ebenfalls nicht erkennen. Zum Wesen und Zweck des Fahrverbotes als einer Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme mit Erziehungsfunktion für einen Betroffenen gehöre, dass mit ihm - auch erhebliche - Erschwernisse in persönlicher und wirtschaftlicher Hinsicht einhergehen. Dass dem B hingegen durch das Fahrverbot die Wahrnehmung auswärtiger ärztlicher Termine, auf die B zur Erhaltung seines Gesundheitszustandes angewiesen ist, unmöglich gemacht würden, habe das AG nicht festgestellt. Soweit in diesem Zusammenhang in der Rechtsbeschwerdebegründung behauptet werde, an seinem Wohnort bestünde keine Bahnverbindung, stehe dies im Widerspruch zu den im Urteil getroffenen, für die Beurteilung durch den Senat allein maßgeblichen Feststellungen.

Praxishinweis

Die Entscheidung zeigt die Tücken auf, die mit einer elektronischen Übermittlung fristgebundener Rechtsmittelbegründungen im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht einhergehen. Bei diesen sollte die Verteidigung sich absolut sicher sein, den gesetzlichen Formvorschriften genügend zu handeln - und notfalls das, mag man es auch für technisch überholt halten, Faxgerät verwenden. Ein anderer Punkt in der dann über die zutreffend begründete Wiedereinsetzung ergangenen Entscheidung scheint zumindest fragwürdig: Die Frage, ob am Wohnort eines Betroffenen Bahnverbindungen bestehen oder nicht, wird regelmäßig nicht (abschließend) den Feststellungen des AG unterliegen. So liegt bei geografischen Angaben typischerweise ein Fall der sog. Allgemeinkundigkeit vor, bei dem das Rechtsbeschwerdegericht bspw. Entfernungs- oder Zeitangaben im Urteil auf seine inhaltliche Richtigkeit (durch Vergleich mit einer Straßenkarte oder einem Kalender) nachprüfen kann (KK-StPO/Ott, § 261 Rn. 202). Nichts anderes kann für die Frage einer Bahnanbindung gelten. Sich dann trotz Rüge ohne Prüfung auf – ggf. falsche – Feststellungen der Tatsacheninstanz zurückzuziehen, ist rechtfehlerhaft.

Redaktion beck-aktuell, 23. September 2019.