VG Bremen: Äußerungen der StA haben sich an Willkürverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu orientieren

Brem PrG § 4 I

Es ist mit der Unschuldsvermutung unvereinbar, wenn die Staatsanwaltschaft mit ihren Äußerungen den Eindruck erweckt, es gehe im gerichtlichen Verfahren nicht mehr um die Frage der Strafbarkeit der Betroffenen, sondern lediglich um die Frage, ob ihnen trotz der begangenen Straftaten eine positive Legalprognose zu stellen ist. (Leitsatz des Verfassers)

VG Bremen, Beschluss vom 07.05.2019 - 4 V 642/19, BeckRS 2019, 8153

Anmerkung von 
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht, Dr. Manuel Lorenz, Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 11/2019 vom 29.05.2019

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Sachverhalt

Die Antragstellerin (A) beantragte im Wege der einstweiligen Anordnung, der StA zu untersagen, unter anderem folgende Äußerungen zu tätigen:

„Aber ist das schon strafbar? Ja, meinen die Bremer Staatsanwälte, zumindest in einigen Fällen. Sie glauben, inzwischen zahlreiche Beweise für eine „kriminelle kollusive Zusammenarbeit“ zumindest zwischen X und den beiden Rechtsanwälten in der Hand zu haben.“

und

„Die Staatsanwälte glauben jedoch, bald genügend belastendes Material zusammengetragen zu haben, auch wenn die letzte Entscheidung über eine Anklage noch nicht gefallen ist. Ihrer Meinung nach kann es in einem möglichen Gerichtsverfahren auch nicht bloß um eine Geldstrafe, sondern nur noch darum gehen, ob X, Y und Z tatsächlich hinter Gitter kommen oder zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt werden.“

Entscheidung

Der Antrag ist zulässig und begründet. Insbesondere sei das angerufene Gericht zuständig, da es sich bei der Erfüllung des Informationsanspruchs der Presse aufgrund gesetzlicher Vorschriften (hier: § 4 I Brem PrG) durch die StA um eine nach öffentlichem Recht zu beurteilende schlicht verwaltende Tätigkeit der StA handele und das Begehren, ihr derartige Äußerungen künftig zu untersagen, Fragen der Rechtmäßigkeit dieses dem öffentlichen Recht zuzuordnenden Verwaltungshandeln betreffe. Die von der A gerügten Äußerungen würden die von der Rspr entwickelten Grenzen staatsanwaltlicher Äußerungsbefugnisse gegenüber der Presse überschreiten, da sie sich als Vorverurteilung der A darstellten. Die einstweilige Anordnung erscheine zur Abwendung wesentlicher Nachteile auch geboten, weil die StA nicht ausdrücklich darauf verzichtet habe, die beanstandeten Äußerungen künftig zu unterlassen und im Fall der Wiederholung die Rechtsverletzung der A vertieft und perpetuiert würde, zumal Medien erneute Äußerungen der StA für weitere Berichterstattungen aufgreifen würden.

Der allgemein anerkannte öffentlich-rechtliche Anspruch auf zukünftige Unterlassung einer getätigten Äußerung setze voraus, dass ein rechtswidriger hoheitlicher Eingriff in grundrechtlich geschützte Rechtspositionen oder sonstige subjektive Rechte des Betroffenen erfolgt sei und die konkrete Gefahr der Wiederholung drohe. In der Rspr. sei geklärt, dass sich Äußerungen staatlicher Stellen an den allgemeinen Grundsätzen für rechtsstaatliches Verhalten in der Ausprägung des Willkürverbots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu orientieren hätten. Ob die Grenze zulässiger Äußerungen überschritten sei, hänge von einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse des Einzelfalles ab. Aus dem Willkürverbot ergebe sich zudem, dass mitgeteilte Tatsachen zutreffend wiedergegeben werden müssten.

Die StA sei nach dem PrG verpflichtet, den Vertretern der Presse in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Auskünfte zu erteilen, die dazu dienten, Nachrichten zu beschaffen und zu verbreiten, Stellung zu nehmen, Kritik zu üben oder in anderer Weise an der Meinungsbildung mitzuwirken. Auskünfte könnten jedoch verweigert werden, soweit ein überwiegendes öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse verletzt würde. Bei staatsanwaltschaftlichen Äußerungen gegenüber der Presse sei daher eine Güterabwägung zwischen den widerstreitenden Grundrechten der Pressefreiheit einerseits und des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen andererseits vorzunehmen. Dies ergebe sich zudem aus Nr. 23 I RiStBV. Da sich die Presse bei der Wiedergabe von Auskünften der StA grundsätzlich auf deren Richtigkeit verlassen könne, und somit weitgehend von einer eigenen Pflicht zur Nachrecherche entbunden sei, müsse die StA ihrerseits an die Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung gebunden sein, um den mit der Schaffung der Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung beabsichtigten Ausgleich zwischen den kollidierenden Grundrechten des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Pressefreiheit zu gewährleisten.

Während laufender Ermittlungsverfahren sei der StA nicht jede wahre Behauptung aufgrund ihrer Ermittlungsergebnisse bzw. jede Meinungsäußerung erlaubt. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit gebiete es nicht, „pikante“ Details der Ermittlungen bzw. Vermutungen der Ermittler hinsichtlich der Motivlage an die Presse weiterzugeben. Die unzulässige Informationsweitergabe wiege im vorliegenden Fall für die A besonders schwer, da sie zwar in dem Artikel semi-anonymisiert als „X“ bezeichnet werde, ihr voller Name nebst Alter jedoch der interessierten Öffentlichkeit bekannt sein dürfte. Ungeachtet dessen führe eine einfache Internetsuche nach „X“ binnen der ersten Treffer zu Artikeln, in denen die A mit vollem Namen genannt werde. Es komme nicht darauf an, ob sich die StA tatsächlich ausdrücklich so geäußert habe oder die Äußerungen nur sinngemäß gefallen sind. Unklarheiten über Formulierungen oder konkrete Äußerungen gingen zu Lasten der StA. Wenn sich die StA gegenüber der Presse nicht durch offizielle, verschriftlichte Pressemitteilungen erkläre, sondern mündlich gegenüber einzelnen Vertretern der Presse Informationen weitergebe, ohne hierüber ein Protokoll, einen Aktenvermerk oä zu fertigen, könnten die dadurch bedingten Unklarheiten nicht zu Lasten der von den Äußerungen Betroffenen gehen. Die gerügten Äußerungen seien rechtswidrig, da sie eine unzulässige Vorverurteilung der A beinhalten würden. Durch die Äußerung, es lägen zahlreiche Beweise für ein kriminelles Verhalten, nämlich eine kriminelle kollusive Zusammenarbeit vor, werde bei dem juristisch nicht gebildeten Adressaten der falsche Eindruck erweckt, die Beschuldigten seien der ihnen vorgeworfenen Taten bereits überführt. Laut DUDEN handele es sich bei kriminellem Verhalten um „eine strafbare, verbrecherische Handlung“. Wenn die StA bekannt gebe, es lägen zahlreiche Beweise für eine strafbare Handlung vor, ohne darauf hinzuweisen, dass über ebenjene Strafbarkeit erst nach einem etwaigen Gerichtsverfahren entschieden werde, verletze sie ihre Pflicht zur Darstellung der Ermittlungsergebnisse als vorläufig und bewirke eine Vorverurteilung der A. Die Vorverurteilung werde zudem nicht durch den ersten Satz der zweiten vorstehend wiedergegebenen Passage wettgemacht. Zwar heiße es da, die letzte Entscheidung über eine Anklage sei noch nicht gefallen. Diese Relativierung werde jedoch direkt im nachfolgenden Satz ad absurdum geführt, wenn es nach dem Dafürhalten der StA im Gerichtsverfahren nicht mehr um eine Geldstrafe, sondern lediglich um die Frage gehen könne, ob die Vollstreckung der Haftstrafe zur Bewährung ausgesetzt werde. Diese Äußerung sei mit der Unschuldsvermutung nicht vereinbar. Es werde der Eindruck erweckt, es gehe im gerichtlichen Verfahren nicht mehr um die Frage der Strafbarkeit der A und der anderen dann Angeklagten, sondern lediglich um die Frage, ob ihnen trotz der begangenen Straftaten eine positive Legalprognose zu stellen sei. Zudem werde durch die Einschränkung, es könne nicht mehr um eine Geldstrafe gehen, der Eindruck erweckt, die Beschuldigten seien einer besonders schweren Straftat überführt.

Praxishinweis

Eine Entscheidung, der im Ergebnis zuzustimmen ist und die den Nerv der Zeit trifft. So werden sich Äußerungen der StA gegenüber der Presse möglicherweise schon bald nicht mehr an den de lege lata defizitären Regelungen, sondern an speziellen strafprozessualen Vorschriften messen lassen müssen. Der Arbeitskreis Strafprozessrecht und Polizeirecht (ASP) hat am 6.5.2019 einen Gesetzentwurf zur Einführung bundeseinheitlicher Vorschriften über die Medienarbeit in strafrechtlichen Angelegenheiten vorgestellt. Der sehr gelungene Entwurf für einen neu in die StPO einzufügenden Abschnitt „Medienarbeit“ (§§ 501-504 StPO-E) sieht neben Zuständigkeits- sowie Verfahrensregeln auch Verweigerungsgründe vor und wird damit insbesondere auf Seiten der Ermittlungsbehörden für mehr Rechtssicherheit sorgen. Der Gesetzestext des aktuellen Entwurfs ist unter folgender Adresse abrufbar: https://www.uni-trier.de/fileadmin/fb5/prof/STR004/SoSe2019/Gesetzentwurf_ASP.pdf.

Redaktion beck-aktuell, 31. Mai 2019.