AG Tiergarten: Keine Verweigerung der Erstattung der Akteneinsichtsgebühr bei Ortsansässigkeit des Verteidigers

StPO § 464a II Nr. 2; ZPO § 91

Auch bei einem ortsansässigen Verteidiger kann die Aktenversendungspauschale notwendige Kosten der Verteidigung darstellen. (Leitsatz der Redaktion)

AG Tiergarten, Beschluss vom 13.12.2018 - (229 Ds) 3021 Js 2985/15 (189/15), BeckRS 2018, 41177

Anmerkung von 
Rechtsanwalt, Fachanwalt für Strafrecht und Steuerrecht, Björn Krug, LL.M. (Wirtschaftsstrafrecht), Ignor & Partner GbR, Berlin und Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Strafrecht 09/2019 vom 02.05.2019

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Sachverhalt

Der Verteidiger nahm bereits im Vorverfahren Akteneinsicht bei der StA, auf den Antrag vom 9.1.2015 wurde die Akte am 16.4.2015 kostenpflichtig versandt. Nach Anklageerhebung wurde am 29.1.2016 ergänzende Akteneinsicht durch Übersendung der Akte in die Kanzlei genommen. Der Verteidiger wurde dem Angeklagten mit Beschluss vom 17.2.2016 als Pflichtverteidiger beigeordnet. Mit Kostenrechnung vom 10.8.2018 beantragt der Verteidiger die Erstattung der Akteneinsichtsgebühr in Höhe von 2 × 12,00 Euro. Dies wurde durch den zuständigen Rechtspfleger unter Hinweis darauf, dass der Verteidiger ortsansässig sei, verweigert. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Verteidiger im Wege der Erinnerung.

Entscheidung

Die Erinnerung sei zulässig und begründet. Gemäß § 464a II Nr. 2 StPO seien die notwendigen Kosten der Verteidigung zu erstatten. Auch bei einem ortsansässigen Verteidiger könne die Aktenversendungspauschale notwendige Kosten der Verteidigung sein. So liege es hier. Die einfache Entfernung zwischen der Kanzlei und dem Amtsgericht Tiergarten betrage laut Routenplaner 18 km, das sei nicht zumutbar. Es sei völlig abwegig, in einer Großstadt das Kriterium der Ortsansässigkeit heranzuziehen, ohne auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen. Berlin sei nun einmal keine Kleinstadt und nicht alle Verteidiger praktizierten direkt in der Nähe des AG Tiergarten.

Praxishinweis

Gerade in größeren Städten scheint es sich einzubürgern, dass Ermittlungsakten nicht mehr in die Kanzlei versendet, sondern die Verteidiger zur Abholung aufgefordert werden. Und erfolgt ein Versand, dann will die Justizkasse auch noch die Erstattung der Aktenversendungspauschale einsparen. Beides mag sich in Zukunft erledigen, wenn sich die elektronische Akte(neinsicht) durchsetzt. Bis dahin ist es jedoch dem Verteidiger überlassen, wie er seine Kanzlei effektiv organisiert. Eine Verpflichtung zu kostenlosen Botengängen oder -fahrten besteht jedenfalls nicht, hierbei kommt es noch nicht einmal auf die Entfernung zwischen Gericht und Kanzlei an. Vielmehr gilt: Bei der Aktenversendungspauschale, die im Rahmen der zur Verteidigung eines Angeklagten erforderlichen Akteneinsicht anfällt, handelt es sich um notwendige, zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung erforderliche und damit zu erstattende Auslagen iSd § 91 II ZPO. Zur Beurteilung der Frage, ob aufgewendete Prozesskosten iSd § 91 ZPO notwendig sind, kommt es darauf an, ob eine verständige und wirtschaftlich vernünftige Partei die Kosten auslösende Maßnahme im Zeitpunkt ihrer Veranlassung als sachdienlich ansehen durfte. Dabei darf die Partei grds. ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte ergreifen. Sie ist lediglich gehalten, die kostengünstigste Maßnahme auszuwählen. Einem ortsansässigen Anwalt ist es in aller Regel nicht zumutbar, für jede Akteneinsicht das Prozessgericht aufzusuchen oder es durch – von ihm bezahlte – Angestellte aufsuchen zu lassen. Es würde zu einer Ungleichbehandlung im Vergleich zu einem ortsabwesenden Anwalt kommen, für die keine ersichtlichen Gründe vorliegen (vgl. auch AG Köln, Beschl. v. 8.6.2018 – 707 Ds 101/15; Beschl. v. 5.7.2018 – 531 Ls 462/16).

Redaktion beck-aktuell, 9. Mai 2019.