OVG Bremen: Bindungswirkung der strafrechtlichen Verurteilung im Diszipinarverfahren

BeamtStG § 34 S. 3, 47 I; BremDG §§ 13 II 1, 56, 63 I; StGB §§ 2 III, 259 I, 260 I Nr. 1; StPO 257c

1. Ein Polizeibeamter, der sich wegen gewerbsmäßig begangener Hehlerei in sechs Einzelfällen über einen Tatzeitraum von zwei Jahren strafbar gemacht hat, ist aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen. (Leitsatz des Gerichts)

2. Die Bindungswirkung einer strafgerichtlichen Verurteilung für das Disziplinarverfahren entfällt nur bei deren offenkundiger Unrichtigkeit oder wenn durch neue Beweismittel erhebliche Zweifel an den Tatsachenfeststellungen des Strafgerichts herbeigeführt werden können. (Leitsatz der Verfasserin)

OVG Bremen, Urteil vom 16.01.2019 - 4 LD 214/18, 4 LD 215/18, BeckRS 2019, 3979

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Dr. Camilla Bertheau, Ignor & Partner GbR, Berlin und Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Strafrecht 07/2019 vom 04.04.2019

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Sachverhalt

Den beiden Entscheidungen liegt ein einheitliches Geschehen zugrunde. Zwei Polizeibeamte haben über mehrere Jahre insgesamt über siebzig Kisten mit Alkoholika – überwiegend Whisky – günstig gekauft und über ein immer weiter ausgebautes Vertriebssystem ua im Kollegenkreis weiterverkauft. Dafür sind sie zunächst im Jahr 2012 vom AG wegen sechs Fällen gewerbsmäßiger Hehlerei zu 1 Jahr und 6 Monaten bzw. 1 Jahr und 2 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Im Rahmen einer Verständigung wurde die Berufung vor dem LG auf den Strafausspruch beschränkt, die Strafe wurde sodann auf 10 bzw. 7 Monate auf Bewährung festgesetzt. Nach weiteren Ermittlungen erhob der Dienstherr schließlich im Oktober 2016 – beide Beamte waren bereits seit 2011 vorläufig des Dienstes enthoben – Disziplinarklage mit dem Ziel der Entfernung der beiden Beamten aus dem Amt. Mit Urteilen vom 22.8.2017 hat das VG die Entfernung aus dem Amt ausgesprochen. Dagegen gingen die beiden Beamten in Berufung. Im Wesentlichen trugen sie vor, die Bindungswirkung des strafgerichtlichen Urteils müsse entfallen, denn der Vorsitzende Richter habe im Vorfeld der Berufungshauptverhandlung geäußert, dass die bisherigen Feststellungen die getroffenen Schuldsprüche nicht trügen und zur subjektiven Tatseite ergänzend Beweis zu erheben sei. Da dies jedoch nicht erfolgt sei, bleibe es bei den unzureichenden Feststellungen. Außerdem habe die StA selbst in einer Vielzahl von Fällen sichergestellte Flaschen an ehemalige Beschuldigte herausgegeben, weil deren deliktische Herkunft nicht zweifelsfrei nachzuweisen sei. Schließlich habe das LG ausgeführt, dass sich das Verhalten der Beamten annährend auf der Ebene von minder schweren Fällen bewegt habe, und die Gewissheit geäußert, dass die Verurteilten sich in Zukunft, wie schon zuvor und seither, straffrei führen werden. Ein endgültiger Vertrauensverlust des Dienstherrn und der Allgemeinheit liege daher nicht vor.

Entscheidung

Das OVG hat in der Berufung in beiden Fällen die Entscheidungen der ersten Instanz bestätigt. Das Verhalten der Beklagten stelle eine außerdienstliche Pflichtverletzung dar. Zu diesen Pflichten gehöre auch die Pflicht zu allgemeinem gesetzestreuen Verhalten. Dass die Beklagten den objektiven und subjektiven Tatbestand der gemeinschaftlich begangenen gewerbsmäßigen Hehlerei verwirklicht haben, stehe aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung des LG fest. Die entsprechenden Feststellungen seien nach § 64 I 1 iVm § 56 S. 1 BremDG im Disziplinarverfahren für das Gericht bindend. Für einen Lösungsbeschluss nach § 56 S. 2 BremDG sei kein Raum. Dass der Berufungsrichter Zweifel geäußert habe, ob die Beweismittel zum Vorsatznachweis ausreichen, führe nicht zu einer offensichtlichen Unrichtigkeit des Strafurteils. Zudem habe das LG in seinem Urteil festgehalten, dass der Beschränkung der Berufung beider Angeklagter auf den Strafausspruch faktisch eine Geständniswirkung zukomme. Es habe daher auf die Vernehmung von Zeugen und umfangreiche weitere Beweiserhebungen zur inneren Tatseite verzichtet werden können. Daraus sei zu entnehmen, dass der Berufungsrichter auch den subjektiven Tatbestand für gegeben erachtet habe. Anderenfalls müsse man ihm unterstellen, er habe sehenden Auges ein materiell falsches Urteil gesprochen. Neue Beweismittel lägen nicht vor. Unerheblich sei es angesichts der großen Gesamtmenge, dass die StA einzelne Flaschen herausgegeben hat. In der außerdienstlichen Pflichtwidrigkeit liege auch ein außerdienstliches Dienstvergehen. Das Verhalten sei geeignet, Achtung und Vertrauen zu beeinträchtigen. Gerade bei einem Polizisten, der Straftaten verfolgen und aufklären solle, beeinträchtige es das Vertrauen sowohl des Dienstherrn wie der Allgemeinheit in besonderer Weise, wenn er selbst Straftaten begeht.

Praxishinweis

Im hier relevanten – langen – Verfahrenszeitraum hatte sich das Disziplinarrecht geändert. Das OVG wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass § 2 III StGB auch im Disziplinarrecht Anwendung finde. Da jedoch das neue Recht nur festhalte, was zuvor bereits aufgrund der Rechtsprechung geltendes Recht gewesen sei, habe tatsächlich keine Rechtsänderung vorgelegen. Aus strafrechtlicher Sicht bedeutsamer sind die Entscheidungen zur Frage der Bindungswirkung strafgerichtlicher Verurteilungen. Droht einem Angeklagten ein dem Strafverfahren nachfolgendes Disziplinarverfahren, so ist nicht allein auf die 1-Jahres-Grenze zu achten, sondern insbesondere auch auf die tatsächlichen Feststellungen zu allen Umständen, die für die Beurteilung der dienstlichen Pflichtverletzung von Bedeutung sind. Dass dabei allerdings auch eine „faktische Geständniswirkung“ Bedeutung haben soll, das Strafgericht also die notwendigen Feststellungen nicht positiv festgehalten muss, geht sehr weit. Dies lässt zugleich noch einmal Bedenken daran aufkommen, ob eine Beschränkung der Berufung im Wege der Verständigung erfolgen kann (vgl. auch Thür. OLG, Beschl. v. 06.12.2018 – 1 OLG 121 Ss 70/18, Rn. 44).

Redaktion beck-aktuell, 8. April 2019.

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