Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Kollegen Rechtsanwälte, Mainz
Aus beck-fachdienst Strafrecht 11/2018 vom 30.05.2018
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Sachverhalt
Der Beschuldigte (B) befuhr mit dem von der Firma F gemieteten Kraftfahrzeug PKW Smart mit dem amtlichen Kennzeichen […] die BAB 100 […] in östlicher Richtung. In Höhe Lichtmast 2015 fuhr er in leichten Schlangenlinien über den Seitenstreifen gegen die rechte Leitplanke, die hierbei nicht beschädigt wurde. Jedoch entstand an dem von ihm geführten Fahrzeug ein Sachschaden in Höhe von 8.177,95 Euro netto. Obwohl B den Unfall bemerkt hatte und sich seiner Feststellungspflichten bewusst war, entfernte er sich vom Unfallort, ohne weitere Feststellungen ermöglicht zu haben.
Rechtliche Wertung
Das Gericht entzieht B gemäß § 111a I StPO vorläufig die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen. Dieser Beschluss wirke gemäß § 111a III StPO zugleich als Anordnung bzw. Bestätigung der Beschlagnahme des dem B vom LABO Berlin erteilten Führerscheins (§§ 94, 98 StPO). Für den Fall der nicht sofortigen Herausgabe des Führerscheins wird die unverzügliche Durchsuchung der Wohn-, Neben-, Geschäfts- und Arbeitsräume sowie der Person des B, seiner Fahrzeuge und der von ihm benutzten und ihm nicht gehörenden Fahrzeuge zum Zwecke der alsdann dringend gebotenen Auffindung des Führerscheins angeordnet (§§ 102, 103, 105, 111b StPO).
Es seien dringende Gründe für die Annahme vorhanden, dass dem B die Erlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen wegen Ungeeignetheit demnächst durch Urteil entzogen werde (§ 69 StGB), weshalb die vorläufige Entziehung geboten sei (§ 111a I StPO i.V.m. § 69 I StGB). Dem stehe nicht entgegen, dass nach den bisherigen Erkenntnissen ein Schaden nur an dem von dem B selbst geführten PKW entstanden sei. Denn B sei nicht Eigentümer, sondern Mieter des geführten Fahrzeugs und unterliege daher gegenüber dem Vermieter der sich aus § 142 StGB ergebenden Feststellungspflicht. Teilweise werde in der Literatur die Auffassung vertreten, in Fällen des berechtigten Führens eines im fremden Eigentum stehenden Fahrzeugs reiche ein Schaden an diesem Fahrzeug für eine Strafbarkeit nach § 142 StGB und eine Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 II Nr. 3 StGB nicht aus und dies solle auch bei einem gemieteten Fahrzeug gelten. Dieser Auffassung möge in Fällen der klassischen Autovermietung zuzustimmen sein, in denen der Vermieter das Fahrzeug mangelfrei an den Mieter übergibt und bei jeder Rückgabe kontrolliert, ob das Fahrzeug mangelfrei zurückgegeben wird. Die Fälle des „Carsharing“ unterschieden sich davon jedoch in dem entscheidenden Punkt, dass hier gerade keine Kontrolle des Zustandes des Fahrzeugs bei dessen Rückgabe stattfinde, denn das Fahrzeug werde nach Ende der Nutzung durch den Mieter irgendwo stehen gelassen und dort irgendwann von einem späteren Mieter übernommen, ohne dass irgendwelche Zustandskontrollen durch den Vermieter stattfänden. In derartigen Fällen sei die Zuordnung eines (irgendwann) festgestellten Schadens zu einem bestimmten Mieter dem Vermieter nicht oder nur mit großen Schwierigkeiten möglich. Aus diesem Grund erstrecke sich der Schutzbereich des § 142 StGB jedenfalls in Fällen des „Carsharing“ auch auf den Vermieter des Fahrzeugs. Da der Schaden im vorliegenden Fall nach den bisherigen Erkenntnissen 8.177,95 Euro netto betrage und bereits von den vor Ort eingesetzten Polizeibeamten auf ca. 5.000,00 Euro geschätzt worden sei, bestünden dringende Gründe für die Annahme der späteren Entziehung der Fahrerlaubnis (§ 69 StGB).
Praxishinweis
Grundsätzlich sind Entscheidungen zu begrüßen, die neu entstandene rechtliche Unsicherheiten beseitigen. In diesem Fall begründet das Gericht allerdings eine Strafbarkeit in bedenklicher Weise mit einem Verweis auf die Ablauforganisation des Carsharing-Anbieters. Die hM geht bereits davon aus, dass ein Fremdschaden entsteht, wenn der Täter nur das von ihm zwar geführte, aber nicht in seinem Eigentum stehende Fahrzeug schädigt (vgl. MüKo-StGB-Zopfs, § 142 Rn. 29 mwN). Hier vertritt das Gericht zunächst im Hinblick auf „klassische Autovermietung“ die Gegenauffassung, nur um dann für das Carsharing doch wieder zu einer Strafbarkeit zu gelangen. Dabei ist schon nicht nachvollziehbar, weshalb das objektive Vorliegen eines tatbestandlichen Schadens von der Kontrolldichte durch den Eigentümer abhängen soll. Diese könnte höchstens für das Feststellungsinteresse von Belang sein. Dabei wäre dann jedoch zu berücksichtigen, dass etwa beim Leasing das Feststellungsinteresse von der vertraglichen Haftungsverteilung abhängen soll (Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Burmann, Straßenverkehrsrecht, § 142 StGB Rn. 19). So versuchen zahlreiche Carsharing-Anbieter, durch AGB das Haftungsrisiko für nicht gemeldete Schäden auf den jeweils letzten Nutzer zu übertragen.