OLG Hamm: Vermummungsverbot in Fußballstadien

VersG §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2; StGB § 40 II, III; StPO §§ 140 II 1, 267 III, 335 I

1. Auch ein Fußballspiel, das in einem umfriedeten und teilweise überdachten Stadion stattfindet, ist eine öffentliche Veranstaltung unter freiem Himmel iSd §§ 17a, 27 II VersG.

2. Enthalten die Urteilsgründe zu den für die Bemessung der Tagessatzhöhe einer Geldstrafe maßgebenden persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Angeklagten lediglich die Angaben zu dessen Familienstand, Berufsbezeichnung und Wohnort, ist das für die revisionsgerichtliche Nachprüfung, ob die gesetzlichen Vorgaben gem. § 40 II, III StGB eingehalten wurden, nicht ausreichend.

3. Die Beiordnung eines Verteidigers ist nicht bei jeder zu erwartenden Freiheitsstrafe gerechtfertigt, sondern idR erst bei einer Freiheitsstrafe ab einem Jahr.

4. Der Angeklagte kann innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erklären, dass er von der ursprünglich eingelegten Berufung zur Revision übergeht. (Leitsätze des Verfassers)

OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2017 - 4 RVs 158/17, BeckRS 2017, 140642

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 04/2018 vom 22.02.2018

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Sachverhalt

Der Angeklagte (A) vermummte sich am 31.7.2016 in einem Fußballstadion bei einem Spiel, indem er sich eine schwarze Kapuze über den Kopf zog und einen schwarzen Schal über Mund und Nase zog, so dass nur noch seine Augenpartie erkennbar war. Zudem trug er eine Schirmmütze, die die Stirnpartie verdeckte. Dies tat er, um die Feststellung seiner Identität zu verhindern. A wusste, dass eine derartige Aufmachung im Fußballstadion nicht erlaubt ist. Das AG hat den A am 31.5.2017 wegen Teilnahme an einer sonstigen öffentlichen Veranstaltung unter freiem Himmel in einer Aufmachung, die geeignet und den Umständen nach darauf gerichtet ist, die Feststellung der Identität zu verhindern, zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 45 EUR verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich A mittels der Revision.

Rechtliche Wertung

Die Revision ist nur hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs erfolgreich. Die vom AG getroffenen Feststellungen trügen eine Verurteilung des A wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen §§ 17a II Nr. 1, 27 II Nr. 2 VersG. Es bestünden keine Zweifel, dass das Versammlungsgesetz des Bundes vorliegend Anwendung finde. Denn das Bundesland NRW habe bislang von der ihm insoweit zustehenden Gesetzgebungskompetenz keinen Gebrauch gemacht mit der Folge, dass das Versammlungsgesetz als Bundesrecht fortgelte, Art. 125a I GG. Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung handele es sich bei einem Fußballspiel um eine „Veranstaltung unter freiem Himmel“ iSv § 27 II VersG. Sonstige öffentliche Veranstaltungen unter freiem Himmel seien grundsätzlich alle jedermann zugänglichen Veranstaltungen gleich zu welchem Zweck. Unschädlich sei insoweit, dass das Stadion umfriedet und jedenfalls teilweise überdacht sei. Für die Annahme, dass auch Fußballspiele vom Schutzbereich der Norm umfasst werden sollen, spreche bereits maßgeblich der Sinn und Zweck der Vorschrift. Mit der Einführung der Strafvorschrift des § 27 II VersG habe der Gesetzgeber auf „Erfahrungen bei großen Sport- und Unterhaltungsveranstaltungen“ reagieren wollen. Bezweckt sei insbesondere eine Eindämmung der sog. Fangewalt, wie sie auch im Zusammenhang mit Fußballspielen der Bundesliga und Länderspielen zu beobachten sei. Bei dem von A besuchten Fußballspiel handele es sich auch um eine öffentliche Veranstaltung. Unschädlich sei insoweit, dass er eine Eintrittskarte benötigte, um das Stadion betreten zu können. Ein Fußballspiel sei grundsätzlich für jedermann zugänglich. Jeder könne eine Eintrittskarte erwerben und der Veranstaltung beiwohnen. Im Vorfeld sei für den jeweiligen Veranstalter nicht absehbar, wer im Besitz einer solchen Eintrittskarte sei und an der Veranstaltung teilnehmen werde. Ebenso sei unerheblich, dass vor dem Einlass in das Stadion Kontrollen erfolgten. Denn diese würden in erster Linie durchgeführt, um die Sicherheit des Fußballspiels zu gewährleisten, nicht aber, um lediglich einem von Beginn an bestimmbaren und begrenzten Personenkreis den Zutritt zu ermöglichen. Die Überprüfung der Beweiswürdigung zeige ebenfalls keinen Rechtsfehler zum Nachteil des A auf. […] Die Strafzumessungserwägungen ließen – die Bestimmung der Tagessatzhöhe ausgenommen – Rechtsfehler zum Nachteil des A nicht erkennen. […] Die zulässig erhobene Verfahrensrüge, mit welcher ein Verstoß gegen § 140 StPO geltend gemacht wird, sei unbegründet.

Das Urteil leide jedoch hinsichtlich der Bemessung der Tagessatzhöhe an einem Mangel. Die Höhe des Tagessatzes werde nach Maßgabe des § 40 II StGB, ggf. unter Anwendung des § 40 III StGB bestimmt. Danach richte sich die Höhe eines Tagessatzes nach den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Täters, wobei die Verhältnisse im Zeitpunkt der Entscheidung maßgebend seien. Das Urteil enthalte hinsichtlich der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des A lediglich die Feststellung, dass dieser ledig, von Beruf Papiermacher sei und in P lebe. Auf der Grundlage nur dieser Feststellungen vermöge der Senat nicht zu überprüfen, ob die Bestimmung der Tagessatzhöhe, welche das AG aufgrund der wirtschaftlichen Verhältnisse mit 45 EUR bemessen habe, den gesetzlichen Vorgaben entspreche. Dementsprechend sei das Urteil lediglich hinsichtlich der Höhe des Tagessatzes der verhängten Geldstrafe mit den hierzu getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache insofern zur neuen Verhandlung und Entscheidung an eine andere Abteilung des AG zurückzuverweisen gewesen, welches auch über die Kosten der Revision zu befinden habe. Einer Aufhebung hinsichtlich der Anzahl der Tagessätze habe es hingegen nicht bedurft, da es sich insofern um grundsätzlich getrennte Entscheidungen handele.

Praxishinweis

Die politisch angestrebte Eindämmung sog. Fangewalt bei Sportveranstaltungen beschäftigt – sozusagen „über die Bande“ des VersG – schon seit einiger Zeit die Gerichte. Dass die gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung das Zusammenkommen von Stadionbesuchern (inkl. An- und Abreise, vgl. OLG Hamm BeckRS 2017, 128330) nicht als Versammlung, sondern als „sonstige öffentliche Veranstaltung“ qualifiziert, mithin als für jedermann zugängliche örtliche Zusammenkunft von Personen, die einen bestimmten Gegenstand haben und organisiert werden, überzeugt noch (vgl. Rathgeber, FD-StrafR 2016, 375037). Dogmatisch unsauber wird es jedoch regelmäßig beim Tatbestandsmerkmal „unter freiem Himmel“, wobei zu Veranstaltungen in geschlossenen Räumen abzugrenzen ist. Entscheidend ist dabei eine fehlende Abschließung nach außen, die prinzipielle Unüberschaubarkeit, die jederzeitige Möglichkeit weiteren Hinzutretens und die damit verbundene Störanfälligkeit und Gefahrenträchtigkeit (Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, 217. EL Oktober 2017, § 14 VersG). Es erscheint abwegig, den Begriff anders auszulegen als für Versammlungen iSv §§ 14 ff. VersG. Daher lässt sich die Argumentation einzelner Amtsgerichte, die bestehenden Einfriedungen und Zugangssperren würden eine Veranstaltung „unter freiem Himmel“ ausschließen, sehr gut nachvollziehen (vgl. Rathgeber FD-StrafR 2016, 379653). Somit bleibt der Eindruck, dass regelmäßig zugunsten der guten politischen Absicht über handwerkliche Mängel des Gesetzgebers hinweg entschieden wird.

Redaktion beck-aktuell, 28. Februar 2018.