VG Neustadt a.d. Weinstraße: Waffenbehörde darf grundsätzlich von der Richtigkeit eines rechtskräftigen Strafbefehls ausgehen

StGB §§ 240 I; §§ 5 Ia, WaffG 45 II, 46 II, 50; SprengG §§ 8a, 34

Die Waffenbehörde darf von der Richtigkeit eines rechtskräftigen Strafbefehls ausgehen und ihn ihrer Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 5 II Nr. 1a WaffG zugrunde legen. Sofern keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Verurteilung auf einem offensichtlichen Irrtum beruht haben könnte oder sich als missbräuchlich darstellt muss die Behörde keine eigene Beurteilung des strafrechtlich relevanten Vorgangs vornehmen. (Leitsatz des Verfassers)

VG Neustadt a.d. Weinstraße, Urteil vom 04.07.2017 - 5 K 72/17.NW, BeckRS 2017, 119560

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 17/2017 vom 31.08.2017

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Strafrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Strafrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Strafrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der S ist Sportschütze mit zwei Waffenbesitzkarten (WBK), auf die jeweils mehrere Waffen eingetragen waren. Mit Strafbefehl vom 6.8.2015 wurde gegen ihn wegen Nötigung im Straßenverkehr eine Gesamtstrafe von 60 Tagessätzen zu je 40 EUR festgesetzt. Gegen den Strafbefehl wurde kein Einspruch eingelegt. Nachdem die Waffenbehörde hiervon erfahren hatte, gab sie S mit einem Anhörungsschreiben Gelegenheit, zu dem beabsichtigten Widerruf der WBK wegen Unzuverlässigkeit Stellung zu nehmen. Über seinen Rechtsanwalt trat S dieser Absicht entgegen und machte ua geltend, der Strafbefehl sei nur deshalb rechtskräftig geworden, weil es versäumt worden sei, rechtzeitig Einspruch einzulegen. Auf den Widerspruch des S hin hob der Stadtrechtsausschuss mit Widerspruchsbescheid vom 8.12.2016 den Bescheid der Waffenbehörde auf. Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat die Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion Trier (ADD) am 20.1.2017 Beanstandungsklage erhoben. Sie ist der Auffassung, der Widerspruchsbescheid sei im angefochtenen Umfang rechtswidrig, da der Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis zu Recht erfolgt sei.

Rechtliche Wertung

Das VG hebt den Widerspruchsbescheid des Stadtrechtsausschusses auf, soweit dieser die Verfügung der Beklagten vom 9.6.2016 aufhebt. Die Beanstandungsklage sei gemäß § 17 I AGVwGO iVm § 16 VII AGVwGO RP zulässig und auch begründet. Der Widerruf der WBK und der Munitionserwerbsberechtigung sowie die Nebenentscheidungen seien gerechtfertigt gewesen. S fehle nämlich die waffenrechtliche Zuverlässigkeit, da die Voraussetzungen des § 5 II Nr. 1a WaffG vorlägen. Die Nötigung im Straßenverkehr sei eine vorsätzliche Straftat, die Geldstrafe betrage 60 Tagessätze und der Strafbefehl sei erst seit 29.9.2015 rechtskräftig. Er begründe damit die sog. Regelvermutung der Unzuverlässigkeit. Die Waffenbehörde habe von der Richtigkeit des Strafbefehls ausgehen und ihn ihrer Beurteilung zugrunde legen dürfen. Anhaltspunkte dafür, dass die Verurteilung auf einem offensichtlichen Irrtum beruht haben könnte oder sich als missbräuchlich darstelle, bestünden nicht. Eine eigene Beurteilung des strafrechtlich relevanten Vorgangs habe die Behörde daher nicht vornehmen müssen. Auch der Stadtrechtsausschuss sei nicht davon ausgegangen, sei aber der Auffassung gewesen, dass Gründe für ein Abweichen von der Regelvermutung vorlägen. Die für seine Entscheidung im Wesentlichen maßgebenden Umstände und Zweifel hätten jedoch in dem jetzigen Klageverfahren im Wesentlichen geklärt bzw. ausgeräumt werden können. Das betreffe zum einen die Frage, aufgrund welcher Umstände der Strafbefehl überhaupt rechtskräftig geworden sei. Während der Stadtrechtsausschuss die Ausführungen des Vertreters des dortigen Widerspruchsführers offenbar missverstanden habe und davon ausgegangen sei, dass ein Kanzleiversehen zum Unterbleiben des Einspruchs geführt hätte, habe dieser in der mündlichen Verhandlung beim Gericht unmissverständlich klargestellt, dass in der Kanzlei tatsächlich niemals ein Auftrag des S zur Einlegung des Einspruchs eingegangen sei und dass sich das erst spät, nämlich nach Ergehen des Ausgangsbescheids, herausgestellt habe. Ein Wiedereinsetzungsantrag gegenüber dem AG wäre hier sinnlos gewesen. Es sei aber auch festzustellen, dass sich S offenbar nicht genug darum gekümmert habe. Möglicherweise seien ihm die weiteren Konsequenzen des Strafbefehls erst bewusst geworden, nachdem der waffenrechtliche Bescheid in der Welt gewesen sei. Es treffe im Übrigen zu, dass der Beigeladenenvertreter in seinen schriftlichen Äußerungen immer nur den allgemeinen Begriff „Versäumnis“ verwandt habe. Die Zweifel, die der Stadtrechtsausschuss inhaltlich an der Berechtigung des Strafbefehls wegen Nötigung gehabt habe, seien nicht (mehr) geeignet, diesen Strafbefehl in einem so besonderen Licht erscheinen zu lassen, dass von der Widerlegung der Regelvermutung waffenrechtlicher Unzuverlässigkeit ausgegangen werden kann. Der Eindruck, dass die Identifikation des S durch die Zeugen auf schwachen Füßen gestanden habe, sei beim Rechtsausschuss durch den vollständigen Inhalt der Ermittlungsakte erzeugt worden. Eine echte Wahllichtbildvorlage als Mittel der Identifikation habe sich daraus nicht nachvollziehen lassen, sodass zunächst nur die eigene, recht vage Beschreibung der Zeugen blieb. Nachdem die ADD jedoch in der mündlichen Verhandlung die Teile der Akte des Strafverfahrens in Kopie habe vorlegen können, die die im Strafbefehlsverfahren tatsächlich durchgeführte Wahllichtbildvorlage belegten, könne nun davon ausgegangen werden, dass der damalige Zeuge den S in einer Weise identifiziert habe, die den üblichen Standards entspreche und in Fällen, in denen eine Ermittlung vor dem Strafrichter nicht stattfinde, auch als ausreichend zuverlässig anerkannt sei. Der S sei zwar dennoch bei seiner Angabe geblieben, er habe an diesem Tag den Wagen nicht selbst gefahren, sondern sei mit seiner Ehefrau, weil es sich um den „Kennenlerntag“ gehandelt habe, wie jedes Jahr im Cabrio unterwegs gewesen. Er habe jedoch nicht sagen können, wer stattdessen der Fahrer des Wagens zu dem damaligen Zeitpunkt war. Er gab insoweit an, er habe den Kombi sehr oft an Dritte verliehen und manchmal gar nicht gewusst, wer ihn nun gerade habe. Diese Aussage sei nicht geeignet, die Umstände der Tat in einem derart milden Licht erscheinen zu lassen, dass ein Abweichen von der Regelvermutung der Unzuverlässigkeit geboten wäre. Sie stelle nur nach wie vor die Richtigkeit des Strafbefehls in Frage. Das führe hier aber angesichts dessen Rechtskraft und der Bindungswirkung für das verwaltungsrechtliche Verfahren nicht weiter. Sei er hingegen der Fahrer des Wagens gewesen, dann habe er zwei unmittelbar aufeinanderfolgende strafbare Nötigungen im Straßenverkehr begangen, die mit unbeherrschtem, aggressivem Verhalten verbunden waren und sicherlich keine Bagatelle darstellten. Der Widerspruchsbescheid sei auch nicht im Übrigen rechtmäßig. Diese Nebenentscheidungen seien aber ebenfalls nicht rechtlich zu beanstanden.

Praxishinweis

Im Idealfall berücksichtigt die Verteidigung bereits im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens mögliche verwaltungsrechtliche Konsequenzen für den Beschuldigten. Hinsichtlich der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit ist jedoch zu beachten, dass auch die (mehrfache) Verurteilung die Regelvermutung des § 5 II Nr. 1a WaffG auslösen kann, selbst wenn in der Summer weniger als 60 Tagessätze verhängt wurden (vgl. Rathgeber FD-StrafR 2015, 368397).

Die das Strafverfahren abschließende Entscheidung in einem folgenden Verwaltungsverfahren inhaltlich anzugreifen, erweist sich regelmäßig als schwierig. Es gilt der Grundsatz, dass die zuständige Verwaltungsbehörde die strafgerichtlichen Tatsachenfeststellungen ihrer Entscheidung zugrunde legen darf, solange nicht gewichtige Anhaltspunkte für deren Unrichtigkeit bestehen. Ein Beispiel ist das Vorliegen neuer Tatsachen oder Beweismittel, die nach § 359 Nr. 5 StPO die Zulässigkeit eines Wiederaufnahmeverfahrens begründen würden (vgl. nur Rathgeber FD-StrafR 2016, 382764).

Redaktion beck-aktuell, 1. September 2017.