OLG Frankfurt a.M.: Grenze zur Geringwertigkeit einer Sache bei 50 EUR

StGB §§ 243 I, 248a

1. Die Grenze zur Geringwertigkeit einer Sache i. S. der §§ 243 Abs. 2, 248a StGB liegt bei 50,- € (Bestätigung von OLG Frankfurt [1. Strafsenat], NStZ-RR 2008, 311).

2. Ein zugebilligter vertypter Strafmilderungsgrund kann - jedenfalls im Zusammenwirken mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen - Anlass geben, trotz Vorliegens eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall zu verneinen. Die Darlegungen des Tatrichters müssen erkennen lassen, dass er sich dieser Möglichkeit bewusst ist. (Leitsätze des Gerichts)

OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 28.10.2016 - 1 Ss 80/16, BeckRS 2016, 19975

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Simone Weber, Knierim & Krug Rechtsanwälte, Mainz

Aus beck-fachdienst Strafrecht 25/2016 vom 15.12.2016

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Sachverhalt

Das AG hat den A wegen Diebstahls in zwei Fällen, wobei es in einem Fall beim Versuch blieb, zu einer Gesamtgeldstrafe von 110 Tagessätzen verurteilt. Das AG hat in seinem Urteil keine ausdrückliche Wertangabe bzgl. des gestohlenen Mountain-Bikes genannt. Für die Tat ging es dennoch von dem Strafrahmen eines Diebstahls im besonders schweren Fall gemäß § 243 I 2 Nr. 2 StGB (Freiheitsstrafe von 3 Monaten bis zu 10 Jahren) aus. Dieser Strafrahmen wurde vom AG einmal gemildert, da nicht ausgeschlossen werden konnte, dass A bei der Tat aufgrund seiner Drogenabhängigkeit nur vermindert steuerungsfähig war. Eine weitere Milderung erfolgte, da die Tat im Versuch steckenblieb. Gegen dieses Urteil hat A (Sprung-)Revision eingelegt. Mit seiner Revision rügt A allgemein die Verletzung materiellen Rechts. Die GenStA hat in ihrer Stellungnahme beantragt, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Sie führt auf, dass sich aber aus dem Gesamtzusammenhang der Urteilsgründe erschließe, dass das fahrtüchtige Mountain-Bike keine geringwertige Sache gewesen sei.

Rechtliche Wertung

Auf die Revision des A wird das Urteil im Strafausspruch einschließlich der zuzuordnenden Feststellungen aufgehoben, die zulässige Revision sei damit teilweise begründet. Unbegründet ist die Revision hinsichtlich des Fehlens der Prozessvoraussetzung des § 248a StGB, da die GenStA das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung für diese Tat im Revisionsverfahren bejaht habe. Eine solche Erklärung sei in der Revisionsinstanz möglich.

Hingegen halte der Strafausspruch revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Grundsätzlich sei die Strafzumessung Aufgabe des Tatrichters, da er allein in der Lage sei, sich aufgrund der Hauptverhandlung einen umfassenden Eindruck von Tat und Täter zu verschaffen. Das Revisionsgericht könne nur in Fällen eingreifen, in denen Rechtsfehler vorliegen. Dies sei dann der Fall, wenn der Richter von einem falschen Strafrahmen ausgegangen sei, seine Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft seien, rechtlich anerkannte Strafzwecke außer Acht gelassen worden seien oder wenn sich die Strafe von ihrer Bestimmung, gerechter Schuldausgleich zu sein, soweit nach oben oder unten inhaltlich löse dass ein grobes Missverhältnis zwischen Schuld und Strafe bestehe. Die Strafrahmenbestimmung bei der Bemessung der Einzelstrafe für die Tat sei hier rechtsfehlerhaft erfolgt. Das AG habe einen falschen und für A ungünstigeren Strafrahmen angewandt. Die Annahme eines besonders schweren Falls halte aus mehreren Gründen einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Hinsichtlich der Tat könne nicht ausgeschlossen werden, dass sich die Tat auf eine geringwertige Sache bezogen habe, sodass ein besonders schwerer Fall des Diebstahls bereits aus diesem Grund ausscheide. Dabei halte der Senat daran fest, dass die Grenze der Geringwertigkeit bei 50 EUR anzusetzen sei. Im Urteil fehle jegliche Wertangabe bezüglich des Mountain-Bikes. Es finden sich auch keine Feststellungen dazu, um welches Fabrikat es sich handele oder welches Alter das Mountain-Bike aufweise. Ein Erfahrungssatz, dass fahrtüchtige Mountain-Bikes einen Wert von mehr als 50 EUR haben, existiere nicht. Darüber hinaus habe das AG die für die Annahme eines besonders schweren Falles gebotene Gesamtwürdigung nicht vorgenommen. Selbst bei der Verwirklichung eines Regelbeispiels sei im Anschluss noch eine Gesamtwürdigung der Tat und der Persönlichkeit des Täters erforderlich, da die Fälle nur „in der Regel“ einen besonders schweren Fall des Diebstahls begründen. Die indizielle Wirkung eines verwirklichten Regelbeispiels könne im Einzelfall durch andere Strafzumessungsfaktoren derart entkräftet sein, dass auf den normalen Strafrahmen zurückzugreifen sei. Insbesondere könne ein zugebilligter vertypter Strafmilderungsgrund – jedenfalls im Zusammenwirken mit den allgemeinen Strafmilderungsgründen – Anlass geben, trotz Vorliegens eines Regelbeispiels einen besonders schweren Fall zu verneinen. Bejaht der Tatrichter einen besonders schweren Fall trotz Vorliegens eines vertypten Strafmilderungsgrunds, müssen seine Darlegungen grundsätzlich erkennen lassen, dass die Möglichkeit, wegen dieses Milderungsgrundes – allein oder in Zusammenspiel mit anderen Umständen – entweder den besonders schweren Fall zu verneinen oder aber den Strafrahmen des besonders schweren Falls zu mildern bewusst sei. Der Richter habe im vorliegenden Fall das Regelbeispiel bejaht, aber keine Ausführungen zu der im Anschluss gebotenen Gesamtabwägung getroffen. Aus diesem Grund sei zu besorgen, dass sich das AG dieser Möglichkeit nicht bewusst war.

Praxishinweis

In seiner Entscheidung befasst sich das OLG Frankfurt zunächst knapp mit praxisrelevanten Fragen der Geringwertigkeit, die nicht nur bei einem Diebstahl im besonders schweren Fall, sondern auch als Strafantragserfordernis in § 248a StGB dank vielfacher Verweise im StGB relevant wird. In Einklang mit der Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. OLG Zweibrücken NStZ 2000, 526; OLG Hamm NJW 2003, 3145 = BeckRS 2003 30324439) und aktueller Kommentarliteratur (Eser in Schönke/Schröder, StGB, § 248a Rn. 10; Hohmann in MüKoStGB § 248a Rn. 6) hält das OLG Frankfurt in seiner Entscheidung für die Geringwertigkeit an der 50-EUR-Grenze fest. Wurde nach der Einführung des Euros zunächst in Anlehnung an den früheren DM Wert ein Betrag von um die 25/30 EUR angesetzt, scheint sich diese 50-EUR-Grenze nun weitestgehend durchzusetzen (aA Fischer § 248a Rn. 25 mwN). Begründet wird dies vor allem mit der allgemeinen Wert- und Preisentwicklung sowie der Verkehrsanschauung (vgl. hierzu Henseler StV 2007, 323). Bei der tatsächlichen Feststellung der Geringwertigkeit, so mahnt das OLG Frankfurt, darf sich das Gericht nicht von allgemeinen Erfahrungssätzen leiten lassen, es muss hierzu Feststellungen treffen. Abschließend weist das OLG Frankfurt noch auf die Grundsätze der Strafzumessung bei dem Zusammentreffen von Regelbeispiel und besonderen gesetzlichen Milderungsgründen hin (vgl. hierzu eingehend Sobota HRRS 2015, 339 ff. mwN) und mahnt auch hier zur umfassenden Darlegung.

Redaktion beck-aktuell, 16. Dezember 2016.