KG: Überzeugung von Fahrereigenschaft darf nicht auf nachträglich zu den Akten gelangtes Lichtbild gestützt werden

StPO § 261

Ein Urteil darf nicht auf Erkenntnisse gestützt werden, die das Gericht erst nach der Hauptverhandlung erlangt hat. Dies hat das Kammergericht in Bezug auf ein nachträglich zu den Akten gelangtes Lichtbild entschieden, auf das das Amtsgericht Berlin-Tiergarten seine Überzeugung von der Fahrereigenschaft der Betroffenen gestützt hatte.

KG, Beschluss vom 14.09.2017 - 3 Ws (B) 262/17- 122 Ss 144/17 (AG Berlin-Tiergarten), BeckRS 2017, 128905

Anmerkung von
Rechtsanwalt Ottheinz Kääb, LL.M., Fachanwalt für Verkehrsrecht und für Versicherungsrecht,
Rechtsanwälte Kääb Bürner Kiener & Kollegen, München

Aus beck-fachdienst Straßenverkehrsrecht 22/2017 vom 09.11.2017

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Sachverhalt

Wegen eines qualifizierten Rotlichtverstoßes hatte das AG die Betroffene zu einer Geldbuße von 200 Euro verurteilt und ein einmonatiges Fahrverbot angeordnet. Der Bußgeldrichter war vom Tatgeschehen überzeugt, weil er die in der Hauptverhandlung anwesende Betroffene als die durch die Verkehrsüberwachungskamera fotografierte Fahrerin wiederzuerkennen glaubte. Dabei stützte er sich auf zwei Lichtbilder, von denen eines aber ausweislich des Eingangsstempels beim AG erst fünf Tage nach dem Hauptverhandlungstermin eingegangen war. Dieses Lichtbild stammte aus anderen Akten. Die Betroffene wandte sich gegen das Urteil mit der Rechtsbeschwerde und hatte damit Erfolg.

Rechtliche Wertung

Der Bußgeldsenat weist darauf hin, dass das Gericht seine Überzeugung nicht aufgrund von Tatsachen bilden kann, die nicht Gegenstand der Hauptverhandlung waren. Das Revisionsgericht könne ein angefochtenes Urteil nur «in der untrennbaren Einheit» nachprüfen, die Urteilstenor und schriftliche Urteilsgründe miteinander bilden. Das schriftliche Urteil könne nur auf Erkenntnisse gestützt werden, die prozessordnungsgemäß gewonnen wurden und zu denen die Beteiligten Stellung nehmen konnten.

Die Rechtsbeschwerde beanstande im Übrigen auch zu Recht, dass das AG den Ausschluss der älteren Schwester der Betroffenen als Fahrerin durch einen Vergleich zwischen dem in der Hauptverhandlung überreichten Lichtbild der Schwester und der Betroffenen selbst vorgenommen habe und nicht durch einen Vergleich des Lichtbilds der Schwester mit dem Lichtbild der Fahrerin. Denn der Vergleich der beiden Schwestern wäre nur dann von Bedeutung, wenn bereits feststünde, dass die Betroffene die Fahrerin war. Dies habe jedoch erst bewiesen werden sollen.

Praxishinweis

Beweiserhebungen außerhalb der Hauptverhandlung, wie hier vom AG Berlin-Tiergarten vorgenommen, kommen wohl höchst selten vor. Gerade deshalb aber ist es durchaus interessant, wie das KG die Handhabung beurteilt hat.

Redaktion beck-aktuell, 13. November 2017.