BSG: Beitragsforderungen verjähren nur, wenn eine Einrede erhoben wird

BGB § 214 I; SGB IV §§ 7 I, 25; SGB I § 45 II; SGB X § 113 II; SGB XI § 111 II; GG Art. 20 III

1. Im Hinblick auf die Versicherungspflicht der Geschäftsführer von Familiengesellschaften besteht kein Vertrauensschutz in die sogenannte "Kopf-und-Seele"-Rechtsprechung.

a) Eine verfassungsrechtlich relevante „Abkehr“ von früheren Rechtsprechungsmaßstäben zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern in Familiengesellschaften gibt es nicht.

b) Vertrauensschutz ergibt sich weder aus einer vermeintlich geänderten Verwaltungspraxis der Deutschen Rentenversicherung noch aus beanstandungsfreien vorhergehenden Betriebsprüfungen.

2. Beitragsforderungen verjähren nur, wenn der Beitragsschuldner die Einrede der Verjährung erhebt. Dass die Verjährungsregelungen des BGB nur sinngemäß im Sozialrecht anzuwenden sind, ändert hieran nichts. Offen bleibt, ob die Einrede auch in der Revisionsinstanz geltend gemacht werden kann. (Leitsätze des Verfassers)

BSG, Urteil vom 19.09.2019 - B 12 KR 21/19 R, BeckRS 2019, 34434

Sachverhalt

Ein klassischer Sachverhalt, der zur Beanstandung des sozialversicherungsrechtlichen Status eines Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführers führte: Der Vater des Beigeladenen zu 1.) übertrug seine Einzelfirma auf mehrere Gesellschaften beschränkter Haftung. Er zeichnete 60vH der Anteile, der Beigeladene zu 1.) 40vH. Beide Gesellschafter waren einzelvertretungsbefugt, zunächst war vereinbart, dass Beschlüsse mit einfacher Mehrheit zu treffen waren, später wurde vereinbart, dass jeder Gesellschafter über die Hälfte der Stimmrechte verfügte (privatrechtliche Stimmrechtsvereinbarung).

Die Betriebsprüfung führte zu Beitragsnachforderungen. Widerspruch, Klage und Berufung (§ 153 Abs. 4 SGG) blieben ohne Erfolg. Das BSG wies die Revision der klagenden GmbH zurück.

Entscheidung

Das Gericht bestätigt zunächst seine „Rechtsmacht-Rechtsprechung“, nach der Fremdgeschäftsführer einer GmbH generell nicht selbständig seien (etwa BSG, BeckRS 2018, 5024). Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH sind nur dann selbständig, wenn sie die Mehrheit der Anteile der Gesellschaft gezeichnet hätten oder in der Satzung einer Sperrminorität vereinbart sei (etwa BSG, BeckRS 2016, 67672). Nach dieser in der Zwischenzeit gefestigten Rechtsprechung des BSG war die Statusentscheidung der Beklagten zu bestätigen. Der Beigeladene zu 1 habe nur 40vH der Anteile gezeichnet, es sei allein eine schuldrechtliche Stimmrechtsbindungsabrede getroffen worden.

Auch unter Vertrauensschutzgesichtspunkten sei die Revision nicht begründet. Die Klägerin könne nicht einen sich aus Art. 20 Abs. 3 GG ergebenden Vertrauensschutz beanspruchen. Eine verfassungsrechtlich relevante „Abkehr“ von früheren Rechtsprechung zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern in Familiengesellschaften habe es nicht gegeben. Nach der Rechtsprechung des BVerfG bestehe kein schutzwürdiges Interesse am Fortbestand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Im Hinblick auf das Mitgliedschafts- und Beitragsrecht der Sozialversicherung habe es schon keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung gegeben, dass Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer selbständig sein sollten. Die für das Leistungsrecht der Arbeitslosen- und Unfallversicherung zuständigen Senate des BSG hätten zwar ihre Rechtsprechung in der Vergangenheit auf die „Kopf und Seele“-Rechtsprechung gestützt, diese Rechtsprechung sei aber immer Ausdruck der einzelfallbezogenen Auslegung und Anwendung des Typusbegriffs der Beschäftigung gewesen. Einen Obersatz, dass familiäre Bindungen gegen das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses spräche, habe es nie gegeben. Im Übrigen habe der für das Beitragsrecht zuständige Senat des BSG seine Rechtsprechung schon deutlich vor dem streitbefangenem Prüfzeitraum präzisiert. So habe er etwa ab 2006 die Bedeutung der vertraglich eingeräumten Rechtsmacht betont. Der Beschäftigungsbegriff sei schon seit langem auch kontextabhängig und bereichsspezifisch ausgelegt worden.

Vertrauensschutz ergebe sich auch nicht aus einer vermeintlich geänderten Verwaltungspraxis der Beklagten oder vorherigen Betriebsprüfungen.

Nicht hinreichend festgestellt werden könne, ob Beitragsforderungen nicht verjährt seien. Hierauf käme es aber nicht an, da die Klägerin eine entsprechende Einrede nicht erhoben habe. Dass die Verjährung nach § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV nicht von Amts wegen, sondern nur auf eine entsprechende Einrede zu beachten sei, folge aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck, Systematik und Entstehungsgeschichte insbesondere des § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB IV. Diese Norm ordne die sinngemäße Anwendung der Normen des BGB für die Hemmung, Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung an. § 214 Abs. 1 BGB berechtige den Schuldner, nach Ablauf der Verjährung, die Leistung zu verweigern. Dieses Recht könne er ausüben, müsse es aber nicht. Dass die Verjährungsvorschriften des BGB nur „sinngemäß“ Anwendung fänden, ändere daran nichts. Das Gesetz möge mit der Anordnung der bloß sinngemäßen Geltung der Vorschriften des BGB Raum für eine Berücksichtigung etwaiger sozialversicherungsrechtlicher Besonderheiten lassen. Dass und ggf. welche sozialversicherungsrechtlichen Besonderheiten aber gerade der Ausgestaltung der Verjährung als Einrede entgegenstünden, sei nicht ersichtlich. Auch das BGB kenne besonders schutzwürdige Personenkreise. Andere sozialrechtliche Vorschriften bezögen sich ebenfalls auf die Verjährungsregelungen des BGB, ohne das erkennbar sei, dass die Verjährung dort nicht als Einrede zu verstehen sei.

Praxishinweis

1. Der 12. Senat des BSG bestätigt zunächst seine „Rechtsmacht“-Rechtsprechung in Statussachen. Diese Rechtsprechung wird man als gefestigt bezeichnen und daher in der Praxis als verbindlich berücksichtigen müssen. In diesem und weiteren Urteilen vom 19.09.2019 befasst sich der 12. Senat auch mit dem in diesem Zusammenhang immer wieder vorgetragenen Einwand, Arbeitgeber könnten sich auf Vertrauensschutz berufen (dazu ausführlich Stäbler, NZS 2020, 183; zu haftungsrechtlichen Folgen Zieglmeier, DStR 2020, 230).

2. Im Hinblick auf die Ausführungen zur Verjährung überzeugt die Entscheidung des 12. Senats des BSG schon im Tatsächlichen nicht. Das BSG geht davon aus, dass die Klägerin weder in außergerichtlich, noch in den Tatsacheninstanzen oder vor dem BSG die Einrede der Verjährung erhoben habe. Es ist anerkannt, dass für die Erhebung der Verjährungseinrede keine bestimmte Form oder Ausdrucksweise verlangt wird, vielmehr genügt es, wenn sich der Schuldner dem Sinne nach auf den Ablauf der Verjährungsfrist beruft (BGH, BeckRS 2009, 14810). Dies muss, unterstellt man die Rechtsprechung des BSG, dass es keine sozialrechtlichen Besonderheiten des Verjährungsrecht geben soll, als richtig, selbstverständlich auch in beitragsrechtlichen Verfahren gelten.

Das Gericht übersieht in diesem Zusammenhang, dass von den Feststellungen der Betriebsprüfung allein der Beigeladene zu 1, der Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin betroffen war. Mit diesem führt die Klägerin den Rechtsstreit bis vor das BSG. Es sind keinerlei Hinweise zu finden, dass der Beigeladene zu 1 ein Interesse haben könnte, entgegen der auch von ihm verantworteten Handhabung, sozialversichert zu sein. So stellt er insbesondere keinen Antrag, vor allem nicht den Antrag, den Antrag der Klägerin zurückzuweisen. Hieraus folgt, dass auch die Klägerin offensichtlich kein Interesse daran haben könnte, die Feststellungen der Betriebsprüfung nur dem Grunde nach abwehren zu wollen, und nicht die Beitragsforderungen in zeitlicher Hinsicht zu begrenzen. Anzunehmen, hierin nicht die Einrede der Verjährung sehen zu können, ist irrig.

In der anwaltlichen Praxis folgt aus dieser Entscheidung aber ohne Zweifel, die Einrede der Verjährung ausdrücklich zu erheben, wie auch klarzustellen, dass (und aus welchen Gründen) die Einrede nicht erhoben wird.

Auch im Rechtlichen überzeugen die Überlegungen des BSG zur Frage der sinngemäßen Anwendung der Verjährungsvorschriften des BGB im sozialrechtlichen Beitragsrecht nicht. Angeordnet wird eben nur die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des BGB für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung. Dass es beitragsrechtliche Besonderheiten geben könnte, verneint das BSG. Das überzeugt nicht. Das Gericht geht auch nicht der Frage nach, ob es tatsächlich im Allgemeinen, losgelöst von Einzelfall, in dem es denkbar sein kann, dass Beiträge auch für einen verjährten Zeitraum nachzuentrichten sind, richtig sein kann, dass Sozialversicherungsträger Beiträge auch für einen Zeitraum nachfordern, für den an sich kein Anspruch mehr besteht. Dies kann der Gesetzesbindung unterworfenen Sozialverwaltung kaum gut zu Gesicht stehen.

Redaktion beck-aktuell, 30. März 2020.