BSG: Raucherentwöhnung nicht auf Kosten der Krankenkasse

SGB V §§ 2, 12, 27; GG Art. 2, 3, 20

Soweit nach § 34 SGB V nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Raucherentwöhnung aus dem Leistungskatalog der GKV ausgeschlossen sind, verstößt dies nicht gegen das Grundrecht der Versicherten auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG und den Gleichheitssatz gem. Art. 3 GG. Die Einschätzung des Gesetzgebers, die Raucherentwöhnung könne auch durch nicht-medikamentöse Maßnahmen erreicht werden, hält sich im Rahmen seiner Einschätzungsprärogative bei der Gestaltung des Sozialstaats. (Leitsatz des Verfassers)

BSG, Urteil vom 28.05.2019 - B 1 KR 25/18 R, BeckRS 2019, 22883

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 21/2019 vom 25.10.2019

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Sachverhalt

Die Beteiligten streiten über die Versorgung mit einer Raucherentwöhnungstherapie und mit dem Arzneimittel „Nicotinell“. Die bei der beklagten Krankenkasse versicherte Klägerin beantragte wegen  arterieller Hypertonie und chronisch obstruktiver Lungenwegserkrankung (COPD), gestützt auf eine vertragsärztliche Verordnung, die Versorgung mit einer „Raucherentwöhnungstherapie“ sowie mit Medikamenten zur Behandlung ihrer Nikotinsucht. Die Beklagte bewilligte der Klägerin bis zu 255 EUR für die „beantragte Patientenschulung“ und lehnte eine weitergehende Versorgung der Klägerin ab. Widerspruch, Klage und Berufung blieben erfolglos: Das der Raucherentwöhnung dienende Arzneimittel „Nicotinell“ ist von der Verordnung zu Lasten der GKV gem. § 34 SGB V ausgeschlossen. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf verhaltenstherapeutische Behandlung, da nach der Psychotherapierichtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses dafür die Verhaltenstherapie nicht vorgesehen ist. Im Übrigen gehöre der behandelnde Vertragsarzt nicht zum Kreis der für psychotherapeutische Maßnahmen berechtigten Leistungserbringer.

Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, die ihrerseits einen Verstoß gegen Art. 2 GG i.V.m. Art. 3 GG rügt. Es handele sich bei der Tabak- und Nikotinabhängigkeit um eine Erkrankung mit schwerwiegenden Folgen. Der gesetzliche Ausschluss von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

Entscheidung

Das BSG weist die Revision zurück. Was die „ärztliche Raucherentwöhnungstherapie“ anlangt, fehlt es an einer Verwaltungsentscheidung, zumal die Beklagte ja eine Patientenschulung bewilligt hat.

Der Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel scheitert an § 34 SGB V. Es handelt sich dabei um ein vom Gesetz i.V.m. der Arzneimittelrichtlinie  rechtwirksam ausgeschlossenes Präparat. Der gesetzliche Leistungsausschluss verletzt weder das Recht auf körperliche Unversehrtheit gem. Art. 2 Abs. 2 GG noch das Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip. Dass die Voraussetzungen des „Nikolaus-Beschlusses“ (BVerfG NZS 2006, 84) nicht vorliegen, liegt auf der Hand, da kein zur Lebenserhaltung oder wertungsmäßig hiermit vergleichbar bestehender akuter Behandlungsbedarf besteht. Der Gesetzgeber war und ist befugt, den Versicherten die Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf eigene Kosten zuzumuten. Der grundsätzliche Ausschluss von Arzneimitteln zur Raucherentwöhnung könnte zwar eine Ungleichbehandlung in den Fällen, in denen Versicherte an einer Sucht im Ausmaß einer Erkrankung leiden, begründen. Jedoch ist die unterschiedliche Behandlung sachlich gerechtfertigt. Die Differenzierung des Gesetzes knüpft nicht an Persönlichkeitsmerkmale an, sondern an medizinisch-pharmakologische Erkenntnisse. Der Gesetzgeber stützte sich auf die frühere Einschätzung des Bundesausschusses in den Arzneimittelrichtlinien. Danach konnte das Behandlungsziel der Raucherentwöhnung ebenso auch durch nicht-medikamentöse Maßnahmen erreicht werden.

Der Ausschluss ist weder unverhältnismäßig noch unangemessen. Die Kostenbelastung der Versicherten für Medikamente zur Raucherentwöhnung steht in einem angemessenen Verhältnis zu den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen. Medikamente zur Raucherentwöhnung haben typischerweise einen geringen Preis, der die Kosten für die eingesparten Tabakwaren jedenfalls nicht signifikant übersteigt, sondern eher – wie auch bei dem von der Klägerin begehrten Arzneimittel – darunter liegt. Zudem steht den Versicherten zur Raucherentwöhnung das Angebot zur Verfügung, das der Gesetzgeber für nachgewiesen nutzbringend erachtet, nämlich Maßnahmen der Gesundheitsförderung und Prävention – bis hin zur Patientenschulung.

Praxishinweis

Die Entscheidung überzeugt sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung, auch wenn man vielleicht Zweifel daran haben kann, ob es wirklich sachgerecht ist, von einer Ungleichbehandlung zu sprechen, soweit es um Raucherentwöhnung einerseits und die Behandlung einer Sucht mit Krankheitswert i.S.d. § 27 SGB V andererseits geht. Hier sind die Grenzen so schwammig, dass schon der Bezugspunkt „Krankheitswert“ problematisch ist. Die Klägerin geht offensichtlich von einer „Krankheit“ aus, zumal sie das Rauchen als schädlichen Vorgang verknüpft mit COPD als Folgeerkrankung. Der Gesetzgeber durfte sich bei der generellen Entscheidung des Ausschlusses nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel von der GKV-Versorgung durchaus auf fachwissenschaftliche Erkenntnisse stützen, wonach die Nikotinersatztherapie eher umstritten ist (vgl. auch IQWiG, Gesundheitsinformation.de, Wie gut hilft eine Nikotinersatztherapie?).

Die Klägerin hat gegen das Urteil des BSG Verfassungsbeschwerde eingelegt.

Redaktion beck-aktuell, 25. Oktober 2019.