BSG: Rückzahlungspflicht der Bank nach Auflösung des Kontos des Verstorbenen

SGB VI § 118; BGB § 675o

Der Anspruch eines Trägers der Gesetzlichen Rentenversicherung gegen das Geldinstitut nach § 118 SGB VI auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind, erlischt nicht durch die Auflösung des Kontos des Rentenempfängers. (Leitsatz des Gerichts)

BSG, Beschluss vom 20.02.2019 - GS 1/18, BeckRS 2019, 2852

Anmerkung von
Prof. Dr. Christina Escher-Weingart, Universität Hohenheim

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 10/2019 vom 24.05.2019

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Sachverhalt

Im Ausgangsfall hatte die Klägerin – die Deutsche Rentenversicherung Bund – der Rentenberechtigten monatlich Witwenrente auf deren bei der beklagten Bank bestehendes Girokonto überwiesen. Die Rentenempfängerin verstarb am 19.11.2009. Die beklagte Bank erhielt am 24.11.2009 hiervon Kenntnis. Die Klägerin überwies jeweils 363,54 EUR Rente für die Monate Dezember 2009 und Januar 2010 auf das Empfängerkonto. Am 27.01.2010 zahlte die Beklagte den positiven Saldo dieses Kontos i.H.v. 1.138,53 EUR den Erbinnen der Verstorbenen aus und löschte das Konto. Die Beklagte lehnte die am 26.03.2010 erhobene Forderung der Klägerin ab, 727,08 EUR zurück zu überweisen. Das Empfängerkonto sei bereits aufgelöst worden. Das SG verurteilt die Beklagte zur Zahlung; das LSG hat auf die Berufung der Beklagten die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin, gerichtet auf Abweisung der Klage.

Der mit der Revision befasste 5. Senat des BSG beabsichtigte, die Revision zurückzuweisen, sah sich jedoch durch ein Urteil des 13. Senats des BSG vom 24.02.2016 (SGb 2017, 173 m. Anm. Escher-Weingart) an einer Zurückweisung der Revision gehindert. Diesem Urteil zufolge erlischt der Anspruch aus § 118 Abs. 3 LSGB VI nicht durch Auflösung des Empfängerkontos. Der 5. Senat hat daher dem Großen Senat die Rechtsfrage vorgelegt, ob ein Anspruch des Rentenversicherungsträgers gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs. 3 SGB VI auf Rücküberweisung von Geldleistungen, die für die Zeit nach dem Tod des Berechtigten überwiesen worden sind, die weitere Existenz des Kontos des Rentenempfängers voraussetzt.

Entscheidung: Das Regelungssystem des § 118 Abs. 3 SGB VI zeigt, dass der Rücküberweisungsanspruch nicht durch die Kontoauflösung erloschen ist

Der Große Senat schließt sich der Ansicht des 13. Senats an, wonach die Kontoauflösung dem Erstattungsanspruch des Rententrägers nicht entgegensteht. Dazu verweist der Große Senat auf den Wortlaut des § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI, wonach der Begriff „Rücküberweisung“ nicht zwingend den Fortbestand des Empfängerkontos beim Geldinstitut voraussetzt. Das Regelungssystem des § 118 Abs. 3 SGB VI zeige, dass der Rücküberweisungsanspruch nicht durch die Kontoauflösung erloschen ist. Der Gesetzgeber hat bei Schaffung des § 118 Abs. 3 SGB VI Fallgestaltungen, in denen das Geldinstitut Kenntnis vom Tod des Rentenempfängers hat, nicht nur dem Risikobereich der Rentenversicherung zuweisen wollen, sondern auch jenem des kontoführenden Geldinstituts. Der Anspruch aus § 118 Abs. 3 Satz 2 SGB VI überlagert die zivilrechtlichen Beziehungen zwischen den Kontoinhabern bzw. deren Erben einerseits und den Geldinstituten andererseits. Er begründet insoweit i.S.v. § 675o Abs. 2 BGB das Recht von Geldinstituten als Zahlungsdienstleister, die Ausführung eines ihnen erteilten autorisierten Zahlungsauftrags abzulehnen. Der Anspruch ist dahin einzuhegen, dass Geldinstituten als Zahlungsdienstleister bei der Ausführung autorisierter Zahlungsaufträge im Rahmen des § 675o Abs. 2 BGB ein auf Rentenzahlungen begrenztes Zurückbehaltungsrecht bei Verfügungen über das Konto bereits vor Eingang von Rückzahlungsverlangen, insbesondere bei einer Auflösung des betroffenen Kontos eingeräumt ist.

Praxishinweis

1. Nachdem das BSG über Jahre hinweg dem § 118 Abs. 3 SGB VI entgegen dem Wortlaut und der Entstehungsgeschichte eine Bedeutung gegeben hat, die diesem nicht innewohnt, macht jetzt der große Senat den letzten Schritt in der Kette und bezeichnet auch den Abs. 3 als öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch, um die gewünschten Ergebnisse zu rechtfertigen. Allerdings setzt sich das BSG weder damit auseinander, dass nur der Abs. 4 und nicht Abs. 3 als öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch konzipiert ist, noch befasst er sich mit den Folgen dieser Umstrukturierung der Norm.

2. Erstattungspflichtig für die überzahlte Rente ist in erster Linie der Erbe. Dessen Schuld tilgt die Bank bei der Rückerstattung der überzahlten Rente an die Rentenkasse. Eigentlich zahlt die Bank im Rahmen ihrer Zahlstellenfunktion für den Erben aus dem Konto des Erblassers. Ist dieses Konto aber bereits aufgelöst, so zahlt die Bank aus eigenem Vermögen ohne dass die fragliche Leistung je das Vermögen der Bank gemehrt hätte. Die Bank hat bei Rückerstattung aus eigenem Vermögen keinen zivilrechtlichen Erstattungsanspruch gegen den Erben. Der Girovertrag (Zahlungsdienstrahmenvertrag) ist mit der Auflösung des Kontos beendet, so dass ein vertraglicher Anspruch ausscheidet. Ein Anspruch aus Bereicherungsrecht gegen den Erben besteht nicht, da die Bank auf Grund der Einforderung durch die Rentenkasse an diese geleistet hat. Diese Leistung sperrt eine Nicht-Leistungskondiktion gegen den Erben. Damit ist mangels Regressmöglichkeit die Auslegung des BSG verfassungswidrig. Bei dieser Auslegung des Abs. 3 fehlt wie in Abs. 4 die gebotene cessio legis. Selbst wenn man das Bestehen des vom BSG genannten Zurückbehaltungsrechts unterstellt, so ändert das nichts daran, dass die Bank nach Auflösung des Kontos keinen Restitutionsanspruch mehr hat und spätestens dies die Grenzen einer verfassungsrechtlich vielleicht noch zulässigen Auslegung sprengt.

3. Ob das BSG Recht hat, dass die Rückerstattungspflicht in der Weise auf das Zivilrecht einwirkt, dass die Bank damit berechtigt ist, nach § 675 o BGB die zivilrechtlich gebotene Auskehrung der Zahlungen an den Erben zu verweigern, darf bezweifelt werden. Wo das vom BSG vielzitierte Zurückbehaltungsrecht herkommen soll, bleibt ungeklärt.

4. Den Banken kann nur noch geraten werden, sich auf den Standpunkt des BSG zu stellen und § 118 Abs. 3 SGB VI als gleichwertig mit einem Embargo anzusehen und damit Auszahlungen nach § 675o Abs. 2 BGB zu verweigern. Die Bank sollte daher ab dem Moment der Kenntnis des Todes des Kontoinhabers das Konto des Verstorbenen zunächst einmal komplett sperren, da die Höhe der möglichen Rentenansprüche der verschiedenen rentenzahlenden Stellen (Versehrtenrente neben Altersrente usw.) noch völlig unklar ist. Diese Sperrung ist erst aufzuheben, wenn alle möglichen Rentenkassen ihre Ansprüche endgültig geltend gemacht haben, was Monate dauern kann. Bis dahin platzen alle Lastschriften von dem Konto; was vielleicht gar nicht so verkehrt ist, da es dann nicht mehr der Willkür der Sozialbehörden überlassen wird, wer nach Abs. 4 in Anspruch genommen wird (siehe dazu das Urteil des LSG Berlin vom 15.11.2018 (BeckRS 2018, 39343), bei dem in erster Instanz eine Altenpflegerin, die unentgeltlich aus reiner Gefälligkeit der verstorbenen Rentnerin mit Hilfe einer Kontovollmacht zu Lebzeiten Geld geholt hatte, aber nach dem Tod der Rentnerin in keiner Weise mehr auf das Konto zugegriffen hatte, zur Rückzahlung der überzahlten Rente verurteilt wurde!), sondern es zu einem geordneten Nachlassinsolvenzverfahren kommt, falls der Erbe nicht zahlt. Dass dann wahrscheinlich in vielen Fällen die Sozialkassen für die Beerdigungskoste aufkommen müssen und später sich an dem Run um die Restbestände auf dem Konto beteiligen müssen, ist hinzunehmen. Ob dies Folgerungen mit dem Umgang von Rentnern im Geschäftsverkehr haben wird, wird sich zeigen. So ist denkbar, dass dann Rentnern nur noch gegen eine mehrmonatige Kaution die Begründung eines Dauerschuldverhältnisses angeboten wird, wobei die drohende Kontosperrung ein sachlicher Grund ist, die Rentner anders zu behandeln als andere Vertragspartner.

5. Zivilrechtlich wird den Banken wenig anderes übrig bleiben, als entweder die verfassungswidrige Rechtsprechung des BSG hinzunehmen und die entsprechenden Verluste zur Lasten aller anderen Kunden einzupreisen oder diesen Vorgang einmal im Hinblick auf das Verhältnis zum Bankkunden bis zum BGH und über die Sozialgerichtsbarkeit einmal bis zum Bundesverfassungsgericht auszuklagen.

Redaktion beck-aktuell, 27. Mai 2019.