LSG Bayern: Zusatzleistungen des Arbeitgebers als beitragspflichtiges Arbeitsentgelt

SGB IV § 14; SvEV § 1; EStG §§ 3, 40

1. Ein wirksam vereinbarter Lohnverzicht kann von der Betriebsprüfung nicht derart ignoriert werden, dass unter Bezug auf das Entstehungsprinzip SV-Beiträge aus der Lohndifferenz nachgefordert werden.

2. Haben Arbeitnehmer und Arbeitgeber zugleich mit dem Lohnverzicht anderweitige Leistungen vereinbart, die an sich pauschal versteuert werden können, kommt eine Beitragspflicht dennoch in Betracht. Privilegiert sind nämlich allenfalls solche (Sach-)Leistungen bzw. Zuschüsse, die „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erbracht werden. Daran fehlt es, soweit auf die Leistung gemäß Arbeitsvertrag ein Anspruch besteht – insbesondere dann, wenn das Versprechen der Zusatzleistung einhergeht mit dem Verzicht auf Barlohn („Gehaltsumwandlung“). (Leitsätze des Verfassers)

LSG Bayern, Urteil vom 14.09.2017 - L 14 R 586/14, BeckRS 2017, 138002

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 06/2018 vom 29.03.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Sozialversicherungsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Sozialversicherungsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Sozialversicherungsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Die Klägerin betreibt ein Einrichtungszentrum. Ende 2009 schloss die nicht tarifgebundene Klägerin mit diversen Beschäftigten, den Beigeladenen zu 1 bis 8, eine ergänzende Vereinbarung zum jeweiligen Arbeitsvertrag. Gemäß Ziffer I. wurde der Barlohn bei unveränderter Arbeitszeit ab 01.01.2010 um einen exakt bestimmten Bruttobetrag reduziert, im Wege des sogenannten Entgeltverzichts. Gemäß Ziffer II. gewährt die Klägerin bestimmte Leistungen, die nicht unter den Freiwilligkeitsvorbehalt fallen, nämlich Gutscheine, Waren oder Dienstleistungen, deren Wert im jeweiligen Monat 44 EUR nicht überschreiten soll, eine Internetpauschale – gegen Nachweis -, Restaurantschecks zu einem Wert von jeweils 5,07 EUR, Zuschuss zu den Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Fahrt zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und Zuschüsse für Kinderbetreuung (jeweils gegen Nachweis). Der Arbeitgeber verpflichtet sich, die pauschale Lohnsteuer abzuführen. Im Rahmen der Betriebsprüfung gelangt die beklagte DRV zu dem Ergebnis, dass auch ab 01.01.2010 das zuvor gültige Bruttoentgelt vollumfänglich zu verbeitragen ist. Eine Umwandlung des geschuldeten Arbeitsentgelts zur Finanzierung der genannten Zuschüsse sei in der Sozialversicherung nicht möglich. Die fehlenden Beiträge aus den umgewandelten Entgelten würden nachgefordert. Hinzu kamen Säumniszuschläge.

Der Widerspruch wurde zurückgewiesen. Das Urteil des BSG vom 02.03.2010 (NZS 2011, 267) sei hier nicht relevant. Im vorliegenden Fall sei das Erfordernis der Zusätzlichkeit nicht erfüllt. Das SG hat die Entscheidung zum Teil abgeändert und entschieden, dass die Tankgutscheine, da der monatliche Vorteil 44 EUR nicht überschritten werde, eine Beitragspflicht nicht auslösen würden. Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Die Internetpauschale und die Entfernungspauschale würden i.S.d. § 40 Abs. 2 EStG „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ erbracht, so dass sie steuerlich begünstig sind und nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SvEV bei der Berechnung des sozialversicherungspflichtigen Entgelts ausgenommen sei.

Entscheidung

Das LSG weist die Berufung im Wesentlichen zurück. Die Restaurantgutscheine seien nicht in voller Höhe sondern nur in Höhe des Sachbezugs als sozialversicherungspflichtiges Entgelt zu berücksichtigen. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

Zuschüsse für die Internetnutzung, für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und für die Kinderbetreuung sowie die Restaurantgutscheine sind bei der Bestimmung des sozialversicherungspflichtigen Entgelts zu berücksichtigen. Nach der Rechtsprechung des BSG unterscheidet sich die Entgeltumwandlung von einer bloßen Abrede über die Verwendung des laufenden Lohnes dadurch, dass die Leistungspflicht des Arbeitgebers für die Zukunft arbeitsvertraglich geändert wird. Die bisherige Schuld des Arbeitgebers, das Arbeitsentgelt zu zahlen, wird zukunftsgerichtet erneuert (noviert) und durch die nunmehr vereinbarten Entgeltmodalitäten ersetzt (BSG, a.a.O.). Die bestehenden Arbeitsverträge wurden im vorliegenden Fall in der Tat rechtswirksam abgeändert. Im Zuge dieser Abänderung wurden den Arbeitnehmern entsprechend zusätzliche Leistungen bindend zugesagt. Diese Zuschüsse also nicht „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ gewährt, sondern sind Äquivalent für den Lohnverzicht, so dass sie als Arbeitsentgelt zu verbeitragen sind und das Privileg des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SvEV nicht eingreift, da die Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 Satz 2 EStG nicht vorliegen.

Praxishinweis

1. Der Klassiker: In der Innenstadt verödet der stationäre Einzelhandel zugunsten des Internethandels und der Einkaufszentren auf dem flachen Land. Um das Geschäft nicht schließen zu müssen, haben die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf Lohn verzichtet. Sie erhalten Zuschüsse, die pauschal versteuert werden und als beitragsfrei behandelt wurden. Beide Parteien profitieren davon also, so dass das Ladengeschäft fortgeführt werden konnte – auch wenn vielleicht nicht alle Arbeitnehmer in gleicher Weise von den Zuschüssen profitierten.

Bedenkt man, dass Gegenstand der aktuellen Koalitionsvereinbarung die Absenkung der Rentenversicherungsbeiträge für Minijobber, die Zeitungen austragen, ist, könnte man durchaus an einen Lohnkostenzuschuss seitens der öffentlichen Hand denken, die ein existenzielles Interesse daran haben muss, dass der Einzelhandel in den Innenstädten verbleibt und diese nicht veröden.

2. Hätten die Vertragsparteien zum 01.01.2010 lediglich den Entgeltverzicht vereinbart und hätte der Arbeitgeber später – vielleicht mit einer Karenzzeit von drei oder sechs Monaten – die erwähnten Zuschüsse zusätzlich zum Arbeitsentgelt gewährt und pauschal versteuert, stellt sich die Frage, ob nun die Zuschüsse sozialversicherungsfrei sind. Da nun der Nachweis fehlt, dass die Zuschüsse „Gegenleistung“ für den Gehaltsverzicht sind, handelt es sich um Zuschüsse, die „zusätzlich zum ohnehin gezahlten Entgelt“ erbracht werden, also nach § 40 Abs. 2 EStG privilegiert sind. Das mag konstruiert klingen, entspricht aber der Realität. Die hier relevanten Zuschüsse werden vom Arbeitgeber immer nur dann gezahlt, wenn es ihm darum geht, dem Arbeitnehmer Vorteile zukommen zu lassen, um entsprechende Lohnerhöhungen zu vermeiden. Das LSG nimmt dazu Bezug auf ein Rundschreiben des Bundesfinanzministeriums der Finanzen vom 22.05.2013 und ein Urteil des BFH vom 19.09.2012 (BFHE 239, 85).

3. Soweit zwischen den Parteien zusätzlich ein Mietvertrag darüber geschlossen wurde, dass der Arbeitnehmer die Außenfläche seines Kfz als Werbefläche an die Klägerin für einen Mietzins von 21 EUR/ Monat vermietet, handelt es sich – so das LSG ausdrücklich – um Leistungen aus einem gesonderten Rechtsverhältnis und nicht um Lohnzahlungen, vgl. dazu BFH, Urteil vom 06.09.2004 (NJW 2005, 703).

4. Das LSG Baden-Württemberg hat mit Urteil vom 10.05.2016 (BeckRS 2016, 68918) zu einer vergleichbaren Konstellation im Wesentlichen mit gleicher Argumentation entschieden.

Redaktion beck-aktuell, 5. April 2018.