BSG: Keine Be­frei­ung von der Ren­ten­ver­si­che­rungs­pflicht bei einer Tä­tig­keit für das BAMF

AVG § 7; SGB VI §§ 1, 6, 231; SGB X §§ 35, 31

1. § 231 SGB VI knüpft für die fort­dau­ern­de Wir­kung einer frü­her er­teil­ten Be­frei­ung von der Ren­ten­ver­si­che­rungs­pflicht an die kon­kre­te Be­schäf­ti­gung oder selb­stän­di­ge Tä­tig­keit an und for­dert eine „Iden­ti­tät“ der Be­schäf­ti­gung oder selb­stän­di­ge Tä­tig­keit. Eine an­de­re Be­schäf­ti­gung liegt schon dann vor, wenn die im we­sent­li­chen in­halts­glei­che Be­schäf­ti­gung bei einem an­de­ren Ar­beit­ge­ber auf­ge­nom­men wird.

2. Be­frei­ungs­be­schei­de, die nach § 7 Abs. 2 AVG vor In­kraft­tre­ten des SGB VI er­gan­gen sind, ent­fal­ten für eine neue Tä­tig­keit keine Wir­kung mehr, ohne dass es in­so­weit der Auf­he­bung be­durft hätte. (Leit­sät­ze des Ver­fas­sers)

BSG, Ur­teil vom 05.12.2017 - B 12 KR 11/15 R, BeckRS 2017, 143144

An­mer­kung von 
Rechts­an­walt Prof. Dr. Her­mann Pla­ge­mann, Pla­ge­mann Rechts­an­wäl­te Part­ner­schaft mbB, Frank­furt am Main

Aus beck-fach­dienst So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht 08/2018 vom 27.04.2018

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Sach­ver­halt

Die kla­gen­de Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, ver­tre­ten durch das Bun­des­amt für Mi­gra­ti­on und Flücht­lin­ge (BAMF) wen­det sich gegen einen Be­scheid der Be­triebs­prü­fung, mit dem Bei­trä­ge für den Zeit­raum vom 01.01.2004 bis 31.12.2007 für einen bei­ge­la­de­nen Rechts­an­walt und eine bei­ge­la­de­ne Rechts­an­wäl­tin (Bei­ge­la­de­ne zu 5 und 7) nach­ge­for­dert wer­den. Beide Bei­ge­la­de­nen waren in den Jah­ren 2004 bis 2007 zur An­walt­schaft zu­ge­las­sen und führ­ten ein­kom­mens­be­zo­ge­ne Bei­trä­ge an das Baye­ri­sche Rechts­an­walts­ver­sor­gungs­werk ab. Das kla­gen­de Bun­des­amt hatte auf Basis der von bei­den Bei­ge­la­de­nen vor­ge­leg­ten Be­frei­ungs­be­schei­des aus dem Jahre 1989 (Tä­tig­keit für den Frei­staat Bay­ern) und 1990 (An­ge­stell­te An­wäl­tin) keine Bei­trä­ge an die GRV ab­ge­führt.

Wi­der­spruch, Klage und Be­ru­fung blie­ben er­folg­los. Auf­grund der Tä­tig­keit der Bei­ge­la­de­nen zu 5 und 7 für die Klä­ge­rin be­stehe Ver­si­che­rungs­pflicht in der GRV und damit so­gleich Bei­trags­pflicht. Die gem. § 7 Abs. 2 AVG durch Be­scheid fest­ge­stell­te Be­frei­ung er­stre­cke sich nur auf die da­ma­li­ge Be­schäf­ti­gung, nicht je­doch auf die spä­ter für die Klä­ge­rin aus­ge­üb­te Be­schäf­ti­gung als Ent­schei­der/in. Da­ge­gen rich­tet sich die Re­vi­si­on der bei­den Bei­ge­la­de­nen, die eine Ver­let­zung der §§ 39 und 40 SGB X sowie des § 7 Abs. 2 AVG i.V.m. § 231 SGB VI rügen.

Ent­schei­dung

Das BSG weist die Re­vi­si­on zu­rück. Beide Re­vi­si­ons­klä­ger waren als Ein­zel­ent­schei­der ab­hän­gig be­schäf­tigt und konn­ten für diese Be­schäf­ti­gung einen rechts­wirk­sa­men Be­frei­ungs­be­scheid nicht vor­le­gen. Ob der ihnen zuvor er­teil­te Be­frei­ungs­be­scheid nach sei­nem In­halt auch da­hin­ge­hend hätte (miss-)ver­stan­den wer­den kön­nen, dass dies für wei­te­re Be­schäf­ti­gun­gen gilt, ist un­er­heb­lich. Die Be­frei­ungs­be­schei­de ver­lo­ren mit dem Wech­sel in die Be­schäf­ti­gung bei der Klä­ge­rin ihre Wir­kung. Rechts­grund­la­ge für die von den Re­vi­si­ons­klä­gern be­gehr­te Fest­stel­lung hin­sicht­lich der Reich­wei­te der ur­sprüng­li­chen Be­frei­ung von der Ren­ten­ver­si­che­rungs­pflicht ist § 231 Abs. 1 SGB VI, wo­nach Per­so­nen, die am 31.12.1991 von der Ver­si­che­rungs­pflicht be­freit waren, in der­sel­ben Be­schäf­ti­gung be­freit blei­ben. Von „der­sel­ben“ Be­schäf­ti­gung kann hier nicht ge­spro­chen wer­den. Dann kommt es auch nicht mehr dar­auf an, dass der Be­frei­ungs­be­scheid des ers­ten Re­vi­si­ons­klä­gers mit dem Aus­schei­den aus der Rechts­an­walts­kam­mer und der damit ver­bun­de­nen Auf­ga­be des Rechts­an­walts­be­rufs im März 1996 rechts­wid­rig ge­wor­den ist. Lie­gen die Vor­aus­set­zun­gen des § 231 Abs. 1 SGB VI nicht vor, so ist die Ren­ten­ver­si­che­rungs­pflicht in den nun­mehr aus­ge­üb­ten Be­schäf­ti­gun­gen als Ein­zel­ent­schei­der kraft Ge­set­zes ein­ge­tre­ten, so dass die Klä­ge­rin mit dem Be­triebs­prü­fungs­be­scheid zu­recht ver­pflich­tet wurde, Bei­trä­ge nach­zu­en­trich­ten.

Der an­ge­foch­te­ne Be­triebs­prü­fungs­be­scheid ist auch in­halt­lich aus­rei­chend be­stimmt. Aus dem Be­scheid er­gibt sich der Adres­sat. Dass einer der bei­den Re­vi­si­ons­klä­ger im Be­grün­dungs­text nicht er­wähnt ist, son­dern nur in der An­la­ge, än­dert daran nichts. Die Un­voll­stän­dig­keit der Be­grün­dung des streit­ge­gen­ständ­li­chen Ver­wal­tungs­akts gem. § 35 SGB X führt nicht zur Rechts­wid­rig­keit des­sel­ben. Nach § 41 Abs. 1 SGB X ist die Ver­let­zung die­ser Ver­fah­rens- oder Form­vor­schrift un­be­acht­lich. Von einer Nich­tig­keit kann nicht ge­spro­chen wer­den.

Pra­xis­hin­weis

1. Be­frei­ungs­be­schei­de, die nach § 7 Abs. 2 AVG vor In­kraft­tre­ten des SGB VI er­teilt wur­den, wur­den da­mals und auch bis in die 90er Jahre hin­ein von allen Be­tei­lig­ten da­hin­ge­hend ver­stan­den, dass die Be­frei­ung sich auch auf spä­te­re an­de­re Tä­tig­keit er­streckt. Das BSG hat dies zwar sei­ner­zeit nicht aus­drück­lich be­stä­tigt; die DRV Bund hat aber in einem ihrer Ver­laut­ba­run­gen an­läss­lich des Streits um die Be­frei­ung von Syn­di­kus­an­wäl­ten dar­auf aus­drück­lich hin­ge­wie­sen. Diese Ver­fah­rens­wei­se hätte An­lass ge­ge­ben, unter dem Ge­sichts­punkt des Ver­trau­ens­schut­zes und auch im Hin­blick auf den Sinn und Zweck der Ren­ten­ver­si­che­rungs­pflicht an­ders zu ent­schei­den – zumal auch das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt in sei­nem Be­schluss vom 22.07.2016 (FD-SozVR 2016, 380485) dazu min­des­tens An­halts­punk­te lie­fert.

2. Eine der bei­den Re­vi­si­ons­klä­ger hatte im Jahre 2016 die Zu­las­sung als Syn­di­kus­an­walt nach neuem Recht er­wirkt und nun nach § 231 Abs. 4 b SGB VI die rück­wir­ken­de Be­frei­ung auch für den hier streit­ge­gen­ständ­li­chen Zeit­raum be­an­tragt. Die­sen An­trag hat die DRV Bund zu­rück­ge­wie­sen. Ob dar­über nun ein wei­te­res Rechts­mit­tel­ver­fah­ren an­hän­gig ist, lässt sich aus der Ent­schei­dung nicht ein­deu­tig ent­neh­men. Wenn ja, stellt sich die Frage, ob die Ab­leh­nung der rück­wir­ken­den Be­frei­ung al­lein damit be­grün­det wird, dass da­mals frei­wil­li­ge Bei­trä­ge und keine Pflicht­bei­trä­ge an das Ver­sor­gungs­werk ge­zahlt wur­den. Der An­wen­dungs­be­reich die­ser Vor­schrift steht ak­tu­ell im Streit (vgl. dazu SG Ber­lin, BeckRS 2017, 100268; Keck/Mi­chae­lis, Die Ren­ten­ver­si­che­rung im SGB, § 231 SGB VI, Rn. 13; Schaf­hau­sen, NJW 2018, 1135).

Redaktion beck-aktuell, 2. Mai 2018.

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