LSG Baden-Würt­tem­berg: Be­schäf­ti­gung beim (Aus­bil­dungs-)An­walt

SGB VI § 5; SGB IV § 7

Ein Rechts­re­fe­ren­dar, der zur Aus­bil­dung in der Pflicht­sta­ti­on einer Kanzlei­ge­mein­schaft von Rechts­an­wäl­ten zu­ge­wie­sen wird und dort auf­grund einer schrift­li­chen Ver­ein­ba­rung mit der An­walts­so­zie­tät einen An­spruch auf Ver­gü­tung für Leis­tun­gen hat, die über den not­wen­di­gen Teil der Aus­bil­dung hin­aus­ge­hen, ist in die­ser ge­son­dert ver­gü­te­ten Tä­tig­keit bei der An­walts­so­zie­tät ver­si­che­rungs­pflich­tig be­schäf­tigt. (Leit­satz des Ver­fas­sers)

LSG Baden-Würt­tem­berg, Ur­teil vom 25.07.2017 - L 11 KR 3980/16, BeckRS 2017, 129260

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Prof. Dr. Her­mann Pla­ge­mann, Pla­ge­mann Rechts­an­wäl­te Part­ner­schaft mbB, Frank­furt am Main

Aus beck-fach­dienst So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht 24/2017 vom 08.12.2017

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des So­zi­al­ver­si­che­rungs­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de


Sach­ver­halt

Der Klä­ger be­gehrt die Er­stat­tung des Ar­beit­neh­mer­an­teils von Bei­trä­gen zur ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung, die wäh­rend der Pflicht­sta­ti­on Rechts­be­ra­tung im ju­ris­ti­schen Vor­be­rei­tungs­dienst für ihn ent­rich­tet wur­den.

Der 1986 ge­bo­re­ne Klä­ger ab­sol­vier­te von No­vem­ber 2012 bis No­vem­ber 2014 den ju­ris­ti­schen Vor­be­rei­tungs­dienst in Rhein­land-Pfalz und er­hielt in die­sem Zeit­raum durch­ge­hend Un­ter­halts­bei­hil­fe i.H.v. mo­nat­lich 1.072 EUR brut­to. Im Zeit­raum No­vem­ber 2013 bis Juli 2014 wies ihn der Prä­si­dent des OLG zur Aus­bil­dung in die Pflicht­sta­ti­on Rechts­be­ra­tung einer Kanzlei­ge­mein­schaft von Rechts­an­wäl­ten zu, der Bei­ge­la­de­nen zu 1. Diese zahl­te dem Klä­ger in den Mo­na­ten No­vem­ber und De­zem­ber 2013 und vom 01.05. bis 31.07.2014 eine mo­nat­li­che Ver­gü­tung von brut­to 2.250 EUR bzw. 3.750 EUR und führ­te den Ge­samt­so­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trag ab. Der Ar­beit­neh­mer­an­teil zur Ren­ten­ver­si­che­rung be­lief sich für diese Zeit­räu­me auf ins­ge­samt 1.488,40 EUR. Der Klä­ger be­an­trag­te Er­stat­tung gem. § 26 Abs. 2 SGB IV, weil diese Bei­trä­ge zu Un­recht ge­zahlt wor­den seien. Re­fe­ren­da­re un­ter­lä­gen gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI nicht der Ver­si­che­rungs­pflicht in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung. Der Dienst­herr habe ihm eine An­wart­schaft auf Ver­sor­gung nach be­am­ten­recht­li­chen Grund­sät­zen zu­ge­si­chert.

Die Be­klag­te lehnt mit an­ge­foch­te­nem Be­scheid die Er­stat­tung ab. Von einem ein­heit­li­chen Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis (zum Dienst­herrn) im Rah­men der Aus­bil­dung sei nur aus­zu­ge­hen, wenn die zu­sätz­li­che Ver­gü­tung durch die An­walts­sta­ti­on ohne Rechts­grund ge­währt werde. Hier lag der Zah­lung des Ar­beits­ent­gelts eine ent­spre­chen­de ver­trag­li­che Ver­ein­ba­rung über eine Zweit­be­schäf­ti­gung zu­grun­de. Gegen den ab­leh­nen­den Wi­der­spruchs­be­scheid erhob der Klä­ger Klage. Das SG hat die Be­klag­te unter Auf­he­bung des an­ge­foch­te­nen Be­schei­des ver­ur­teilt, dem Klä­ger 1.488,40 EUR zzgl. 4 % Zin­sen ab 01.01.2016 zu er­stat­ten. Die Tä­tig­keit des Klä­gers bei der bei­ge­la­de­nen Rechts­an­walts­ge­mein­schaft sei gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI in der ge­setz­li­chen Ren­ten­ver­si­che­rung ver­si­che­rungs­frei ge­we­sen. Das BSG habe mit Ur­teil vom 31.03.2015 (BeckRS 2015, 70953) ge­klärt, dass bei einem Rechts­re­fe­ren­dar, der im Rah­men sei­nes Vor­be­rei­tungs­diens­tes eine zu­sätz­li­che Ver­gü­tung er­hal­te, diese ins­ge­samt ver­si­che­rungs­frei sei. Da­ge­gen rich­tet sich die Be­ru­fung der be­klag­ten Ein­zugs­stel­le. Vor­lie­gend sei eine Tren­nung der vom Aus­bil­dungs­zweck frei­en Be­schäf­ti­gung und der Aus­bil­dungs­be­schäf­ti­gung ge­ge­ben. Es liege ein von bei­den Sei­ten un­ter­schrie­be­ner Ar­beits­ver­trag zwi­schen Klä­ger und Bei­ge­la­de­nen vor.

Ent­schei­dung

Das LSG gibt der Be­ru­fung der Be­klag­ten statt und weist die Klage ins­ge­samt ab. Nach § 26 Abs. 2 SGB IV sind zu Un­recht ent­rich­te­te Bei­trä­ge zu er­stat­ten. Die sei­tens der Bei­ge­la­de­nen ge­zahl­ten Bei­trä­ge sind nicht zu Un­recht ge­zahlt wor­den. Hier be­stand neben dem ver­si­che­rungs­frei­en Aus­bil­dungs­ver­hält­nis ein ge­son­der­tes ver­si­che­rungs­pflich­ti­ges ab­hän­gi­ges Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis zwi­schen dem Klä­ger und der Bei­ge­la­de­nen. Eine Ge­währ­leis­tungs­er­stre­ckung der Ver­sor­gungs­an­wart­schaft durch die obers­te Lan­des­ver­wal­tungs­be­hör­de auf die­ses Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis lag nicht vor. Das BSG hat zur ein­stu­fi­gen Ju­ris­ten­aus­bil­dung kei­nen Zwei­fel daran ge­habt, dass Rechts­prak­ti­kan­ten bzw. Re­fe­ren­da­re auch wäh­rend der Zeit in einem Aus­bil­dungs­ver­hält­nis zu dem aus­bil­den­den Bun­des­land stan­den, in dem die prak­ti­sche Aus­bil­dung nicht bei Ge­rich­ten oder Be­hör­den die­ses Lan­des, son­dern bei an­de­ren Per­so­nen oder Stel­len er­folg­te. Ent­schei­dend war dabei, dass auch wäh­rend die­ser Zei­ten das „Rechts­prak­ti­kan­ten­ver­hält­nis“ zu dem be­tref­fen­den Land ein­schlie­ß­lich der Zah­lung des Un­ter­halts­zu­schus­ses fort­be­stand. Ent­spre­chen­des gilt für die hier zu be­ur­tei­len­de Ju­ris­ten­aus­bil­dung in Rhein­land-Pfalz. Die­ses, hier ver­tre­ten durch den Prä­si­den­ten des OLG, ist Dienst­herr und be­stimmt al­lein, auch durch Zu­wei­sun­gen zu den Sta­tio­nen auf An­trag der Re­fe­ren­da­re, den Aus­bil­dungs­gang, ist wei­sungs­be­rech­tigt und ent­schei­det über die Ge­wäh­rung von Ur­laub etc.

Im vor­lie­gen­den Fall hatte neben dem Land Rhein­land-Pfalz wäh­rend der Zeit der Pflicht­sta­ti­on Rechts­be­ra­tung je­doch die Bei­ge­la­de­ne eine wei­te­re Ar­beit­ge­ber­stel­lung ge­gen­über dem Klä­ger inne. Als Ar­beit­ge­ber im so­zi­al­ver­si­che­rungs­recht­li­chen Sinne ist re­gel­mä­ßig der­je­ni­ge an­zu­se­hen, zu dem einer – der Be­schäf­tig­te – in einem per­sön­li­chen Ab­hän­gig­keits­ver­hält­nis steht. Ar­beit­ge­ber ist bei al­le­dem mit­hin stets der­je­ni­ge, dem der An­spruch auf die vom Be­schäf­tig­ten nach Ma­ß­ga­be des Wei­sungs­rechts ge­schul­de­te Ar­beits­leis­tung zu­steht und der dem Be­schäf­tig­ten dafür als Ge­gen­leis­tung zur Ent­gelt­zah­lung ver­pflich­tet ist. Für den Fall, dass meh­re­re Rechts­sub­jek­te als Ar­beit­ge­ber eines Be­schäf­tig­ten in Be­tracht kom­men, ent­hält das So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht Son­der­re­ge­lun­gen, etwa für den Be­reich der Ar­beit­neh­mer­über­las­sung. Hier er­gibt sich die Ar­beit­ge­ber­stel­lung des Bei­ge­la­de­nen aus der zwi­schen ihm und dem Klä­ger ge­schlos­se­nen schrift­li­chen Ver­ein­ba­rung.

Pra­xis­hin­weis

1. Das LSG stellt völ­lig zu Recht dar­auf ab, dass die An­walts­kanz­lei mit der Zah­lung einer sol­chen Ver­gü­tung von dem Rechts­re­fe­ren­dar Leis­tun­gen ein­kauft. Ob diese „über­ob­li­ga­to­risch“ sind oder nicht, ist un­er­heb­lich. Das Ent­gelt er­rech­net sich nach Ma­ß­ga­be von Wo­chen­ar­beits­ta­gen, wäh­rend derer der Re­fe­ren­dar seine Ar­beits­kraft der An­walts­kanz­lei zur Ver­fü­gung ge­stellt hat.

2. Die an­ders­lau­ten­de Ent­schei­dung des LSG Nord­rhein-West­fa­len vom 27.04.2017 (FD-SozVR 2017, 393609) be­ruht auf der – wenig über­zeu­gen­den – Aus­sa­ge der An­walts­kanz­lei, sie habe dem Rechts­re­fe­ren­dar ein mo­nat­li­ches Ent­gelt ge­zahlt, je­doch „nicht im Rah­men einer von der Aus­bil­dung ab­trenn­ba­ren Zweit­be­schäf­ti­gung“. Dies ist nicht nur le­bens­fremd, son­dern be­han­delt die Zah­lung ma­te­ri­ell-recht­lich als „Ge­schenk“.

3. Ak­tu­ell wird auf Lan­des­ebe­ne immer noch dar­über be­ra­ten, wie sol­che Art Zah­lun­gen von An­walts­kanz­lei­en an­ge­sichts der Ent­schei­dung des BSG vom 31.03.2015 (a.a.O.) nun wirk­lich be­han­delt wer­den sol­len. Die von ein­zel­nen Lan­des­be­hör­den dazu er­son­ne­nen Ver­pflich­tun­gen, z.B. Zu­wei­sung unter der Be­din­gung, dass die An­walts­kanz­lei die An­stel­lungs­kör­per­schaft von et­wai­gen Nach­for­de­run­gen der So­zi­al­ver­si­che­rungs­trä­ger frei­stellt, ver­ken­nen § 5 SGB VI und § 28g SGB IV.

Redaktion beck-aktuell, 11. Dezember 2017.

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