LSG Nordrhein-Westfalen: Abänderung eines Vergleichs

SGB II § 26; BGB § 313; ZPO § 323a

Nach §§ 323 a ZPO, 202 SGG kann auch im sozialgerichtlichen Verfahren bei einem Prozessvergleich, der eine Verpflichtung zu künftig fällig werdenden wiederkehrenden Leistungen enthält, jeder Teil auf Abänderung klagen. (Leitsatz des Verfassers)

LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 15.08.2017 - L 2 AS 1822/12, BeckRS 2017, 127744

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Hermann Plagemann, Plagemann Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

Aus beck-fachdienst Sozialversicherungsrecht 22/2017 vom 10.11.2017

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Sachverhalt

Der 1962 geborene Beklagte betreibt auf dem Hof seiner mittlerweile verstorbenen Mutter einen landwirtschaftlichen Betrieb mit dem Gegenstand Pferdepension, Reitunterricht und Futtermittelgewinnung. Er meldete 2007 auch ein Gewerbe als Reitlehrer an. Seit Jahren ist zwischen ihm und dem Kläger (Jobcenter) streitig, ob und in welcher Höhe er Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II hat. Nachdem das klagende Jobcenter ab 01.01.2007 weitere Leistungen mit der Begründung abgelehnt hat, Hilfebedürftigkeit sei nicht nachgewiesen, haben die Beteiligten in einem Berufungsverfahren auf Empfehlung des Gerichts einen Vergleich geschlossen, wonach dem Beklagten ab 01.09.2009 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse gezahlt werden. Zum 01.07.2010 stellte der Kläger diese Leistungen mit der Begründung ein, durch den Tod der Mutter des Beklagten und den Erbfall sei eine neue Situation eingetreten. Der Beklagte hat daraufhin aus dem Vergleich die Vollstreckung gegen den Kläger betrieben. Einen Antrag des Klägers auf Einstellung der Zwangsvollstreckung hat das SG durch Beschluss abgelehnt. Auf einen erneuten Antrag hin, den Vergleich anzupassen, hat das SG es dem Beklagten untersagt, die Zwangsvollstreckung hinsichtlich der Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse weiterhin durchzuführen. In der Hauptsache hat das SG mit Urteil entschieden, dass Ziffer 4 des Vergleichs (betreffend Zahlung der Beiträge zur landwirtschaftlichen Alterskasse) dahingehend abgeändert wird, dass vorschussweise nur noch die Differenz zwischen dem Beitrag zur Alterskasse und dem Beitrag zu zahlen ist, der ohne Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu zahlen wäre. Dagegen hat der Kläger Berufung eingelegt mit der Begründung, dass seit dem 01.01.2011 durch eine Gesetzesänderung dem Vergleich die Geschäftsgrundlage entzogen worden sei. Seit dem 01.01.2011 werden Beiträge seitens des Grundsicherungsträgers an die Rentenversicherung nicht mehr gezahlt.

Entscheidung

Das LSG gibt der Klage des Klägers statt. Die Abänderungsklage ist nach § 323a i.V.m. § 794 ZPO zulässig und begründet. Diese Bestimmungen sind nach § 202 SGG auch im sozialgerichtlichen Verfahren anwendbar. Die Abänderungsklage ist begründet, wenn sich die Verhältnisse, die für die Festsetzung des Vertragsinhalts maßgebend gewesen sind, so wesentlich geändert haben, dass einer Vertragspartei das Festhalten an der ursprünglichen Regelung nicht mehr zugemutet werden kann. Die weiteren Voraussetzungen und der Umfang der Abänderung richten sich grundsätzlich nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts, womit auch die Grundsätze über die Störung der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB anwendbar sind.

Maßgeblich für den Abschluss des Vergleichs war, dass die zwischen den Beteiligten streitige Frage, ob und ggf. in welchem Umfang den Beklagten und den mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden weiteren Personen Leistungen nach dem SGB II zustanden. Unklar war insbesondere, ob die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft unter Berücksichtigung der vom Beklagten erzielten Einkünfte aus seinen selbständigen Tätigkeiten überhaupt bedürftig waren und ob bei der Berechnung des Bedarfs Kosten der Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen waren. Die Weitergewährung des Beitrags zur Alterskasse wurde in dem Vergleich vom 14.09.2009 vereinbart. Die damals gültige Regelung des § 26 Abs. 1 SGB II ist mit Wirkung zum 01.01.2011 weggefallen. Zwar kann eine Änderung der Rechtslage eine Anpassung erfordern; dies setzt aber voraus, dass die geänderte Rechtsgrundlage für den Vergleich maßgeblich war. Dies war hier nicht der Fall, weil die Zahlung der 104 Euro an die landwirtschaftliche Alterskasse nicht auf der Grundlage des mit Wirkung zum 01.01.2011 außer Kraft getretenen § 26 SGB II erfolgt sein kann. Diese Vorschrift war nämlich im Falle des Beklagten gar nicht einstimmig.

Dennoch besteht ein Anspruch des Klägers auf Anpassung. Die Beteiligten haben in dem Vergleich keine befristete Regelung getroffen, sind aber offenbar davon ausgegangen, dass das Hauptsacheverfahren, auf das sich die Verlängerungsklausel bezogen hat, kurzfristig nach Abschluss des Vergleichs beendet werden kann und nicht erst Jahre später, nämlich am 10.10.2016. Die ergänzende Verlängerungsklausel sollte dementsprechend ersichtlich nicht für weitere Jahre und insbesondere nicht unabhängig von Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse erfolgen. Dies zeigt schon der Umstand, dass in dem Vergleich zunächst nur eine Regelung für sechs Monate getroffen worden ist. Das LSG bezeichnet den Tod der Mutter des Beklagten am 11.11.2009 als eine maßgebliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, so dass jedenfalls ab dem 01.01.2011 eine Abänderung des Vergleichs gerechtfertigt ist.

Praxishinweis

1. Eine sehr lesenswerte Entscheidung, die sich mit dem Problem auseinandersetzt, dass ein Vergleich oftmals nur aus einer bestimmten Situation heraus verständlich ist und im Laufe der Zeit durchaus seinen Sinn verlieren kann.

2. Auch in anderen Rechtsgebieten, z.B. dem der gesetzlichen Unfallversicherung, stellt sich immer wieder die Frage, ob ein Vergleich abänderbar ist, sei es nach § 44 SGB X oder auch § 48 SGB X, z.B. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 20.10.2016 (BeckRS 2016, 107449) zur Heraufsetzung der vergleichsweise festgelegten MdE gem. § 48 SGB X.

Redaktion beck-aktuell, 16. November 2017.