OLG Celle: Haf­tung des Stroh­mann-Ge­schäfts­füh­rers für So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­ge

BGB § 823 II; StGB §§ 266a, 14

Auch ein Ge­schäfts­füh­rer, der als Stroh­mann fun­giert, die Wahr­neh­mung sei­ner Kom­pe­ten­zen Drit­ten über­lasst und sich um die Aus­ge­stal­tung der Be­schäf­ti­gungs­ver­hält­nis­se nicht küm­mert, haf­tet wegen der Vor­ent­hal­tung von Ar­beit­neh­mer­an­tei­len zur So­zi­al­ver­si­che­rung und nimmt die Nicht­ab­füh­rung (im Sinne des be­ding­ten Vor­sat­zes) zu­min­dest in Kauf. (Leit­satz des Ge­richts)

OLG Celle, Ur­teil vom 10.05.2017 - 9 U 3/17, BeckRS 2017, 110011

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Felix Fi­scher, Pla­ge­mann Rechts­an­wäl­te Part­ner­schaft mbB, Frank­furt am Main

Aus beck-fach­dienst So­zi­al­ver­si­che­rungs­recht 15/2017 vom 4.8.2017

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Sach­ver­halt

Die Klä­ge­rin (Ein­zugs­stel­le) be­gehrt von der Be­klag­ten als Ge­schäfts­füh­re­rin einer GmbH, wel­che ein Call-Cen­ter be­treibt, die Nach­zah­lung von So­zi­al­ver­si­che­rungs­bei­trä­gen für zwei Ar­beit­neh­me­rin­nen, wel­che bei der GmbH als Schein­selbst­stän­di­ge tätig waren.

Be­reits im Wege des Sta­tus­fest­stel­lungs­ver­fah­rens und den Rechts­strei­tig­kei­ten vor den So­zi­al­ge­rich­ten wurde fest­ge­stellt, dass die zwei Te­le­fo­nis­tin­nen als An­ge­stell­te ein­zu­stu­fen sind.

Die Be­klag­te ließ vor­tra­gen, dass sie le­dig­lich als „Stroh­frau“ ein­ge­setzt wor­den sei und in die­ser Funk­ti­on Al­lein­ge­sell­schaf­te­rin und Al­lein­ge­schäfts­füh­re­rin war. Sie habe je­doch im In­nen­ver­hält­nis keine be­deut­sa­men Kom­pe­ten­zen in­ne­ge­habt. Diese seien von nicht näher be­zeich­ne­ten Drit­ten aus­ge­übt wor­den. Daher habe sie sich auch nicht kon­kret um die Aus­ge­stal­tung der Ver­trä­ge der Te­le­fo­nis­tin­nen ge­küm­mert.

Das LG Hil­des­heim hatte die Klage ab­ge­wie­sen. Da­ge­gen rich­tet sich die Be­ru­fung der kla­gen­den Kran­ken­kas­se.

Ent­schei­dung

Das OLG gab der Klage (bis auf eine Zins­for­de­rung) statt.

Es sah die Vor­aus­set­zun­gen von § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 266a, 14 StGB als ge­ge­ben.

Im Er­geb­nis sei es egal, ob die Be­klag­te le­dig­lich als „Stroh­frau“ für Drit­te agier­te oder ob sie Ge­schäfts­füh­re­rin im ei­gent­li­chen Sinne sei. Unter Be­zug­nah­me auf den Be­schluss des BGH vom 13.10.2016 (NStZ 2017, 149) führt der Senat aus, dass al­lein die for­ma­le Stel­lung als Ge­schäfts­füh­re­rin aus­rei­chend sei, eine Haf­tung zu be­grün­den, da mit der for­ma­len Stel­lung stets alle recht­li­chen und dem­entspre­chend auch tat­säch­li­chen Hand­lungs­ob­lie­gen­hei­ten auf die Ge­schäfts­füh­re­rin über­ge­hen. Hier­aus er­gibt sich die Stel­lung eines Hand­lungs­or­gans i.S.d. § 14 StGB.

Hin­sicht­lich der kon­kre­ten Ver­trags­ge­stal­tung stell­te das Ge­richt – im Ein­klang mit der weit über­wie­gen­den Mei­nung – fest, dass es hier­bei nicht um reine For­ma­lia geht, son­dern um das kon­kret aus­ge­stal­te­te und ge­leb­te Ver­trags­ver­hält­nis. Hier­nach han­delt es sich bei den Te­le­fo­nis­tin­nen um An­ge­stell­te der GmbH.

Auch den er­for­der­li­chen Even­tu­al­vor­satz be­jah­te das Ge­richt und ver­wies in­so­weit zum einen auf das un­sub­stan­ti­ier­te Vor­tra­gen der Be­klag­ten, sie sei davon aus­ge­gan­gen, die Be­schäf­tig­ten hät­ten sich ihre Ar­beits­zei­ten frei ein­tei­len kön­nen. Indem sie sich um nichts ge­küm­mert haben will und Drit­te für sich die Ge­schäfts­füh­rer­tä­tig­kei­ten hat aus­üben las­sen, hat sie eine sol­ches rein fak­ti­sches An­stel­lungs­ver­hält­nis bil­li­gend in Kauf ge­nom­men und somit be­dingt vor­sätz­lich ge­han­delt.

Das Ge­richt führt wei­ter aus, dass sich die Be­klag­te je­den­falls in einem ver­meid­ba­ren Ver­bots­irr­tum be­fun­den hat, hätte sie doch eine be­last­ba­re ge­gen­tei­li­ge recht­li­che Aus­kunft in Er­fah­rung brin­gen kön­nen und müs­sen.

Da sie wei­ter­hin zur Höhe nicht sub­stan­ti­iert be­strit­ten habe, sei die Kla­ge­for­de­rung fast voll­um­fäng­lich be­grün­det, mit Aus­nah­me der Zins­for­de­rung.

Pra­xis­hin­weis

Das Ur­teil des OLG Celle ist unter dem An­spruch der „Ein­heit­lich­keit der Rechts­ord­nung“ als nicht ver­wun­der­lich an­zu­se­hen.

Der BGH hatte am 13.10.2016 (a.a.O.) die Straf­bar­keit des „Stroh­mann“-Ge­schäfts­füh­rers in einem na­he­zu gleich ge­la­ger­ten Fall be­jaht. Hier­zu führ­te der 3. Straf­se­nat aus, dass eine Ver­ant­wort­lich­keit immer auch dann be­steht, wenn rein fak­tisch ein Drit­ter die Ge­schäf­te der Ge­sell­schaft führt. Wört­lich heißt es in dem Ur­teil dann wei­ter: „Ste­hen die tat­säch­li­chen Ver­hält­nis­se hin­ter sei­nen recht­li­chen Be­fug­nis­sen zu­rück, so kann und muss der Ge­schäfts­füh­rer ge­richt­li­che Hilfe in An­spruch neh­men, um sei­nen Ein­fluss gel­tend zu ma­chen, an­de­ren­falls er ge­hal­ten ist, sein Amt nie­der­zu­le­gen.“

Das heißt im Um­kehr­schluss aber nicht, dass der fak­ti­sche Ge­schäfts­füh­rer „un­ge­scho­ren“ da­von­kommt. Denn nach Auf­fas­sung des BGH (NJW 2000, 2285) ist der fak­ti­sche Ge­schäfts­füh­rer eben­so ge­eig­ne­ter Täter i.S.d. § 14 StGB. In­wie­weit dies die Pas­siv­le­gi­ti­ma­ti­on im Zi­vil­pro­zess be­grün­det, ist nicht un­um­strit­ten, wird im Er­geb­nis je­doch eher be­jaht (vgl. nur OLG Ko­blenz, BeckRS 2011, 02736; OLG Hamm, BeckRS 2014, 06529). Vor­aus­set­zung ist nach An­sicht der Ober­lan­des­ge­rich­te aber, dass der fak­ti­sche Ge­schäfts­füh­rer sich auch im Au­ßen­ver­hält­nis als Ge­schäfts­füh­rer auf­spielt. Soll­te dies der Fall sein, ist zu über­le­gen, in­wie­weit im In­nen­ver­hält­nis der „Stroh­mann“-Ge­schäfts­füh­rer Frei­stel­lung for­dern kann. Dies hängt je­doch ma­ß­geb­lich von den ver­trag­li­chen Pflich­ten des fak­ti­schen Ge­schäfts­füh­rers ab.

Der „Stroh­mann“-Ge­schäfts­füh­rer muss – der ratio der Ge­rich­te fol­gend - re­gel­mä­ßig von sei­nen Rech­ten und Pflich­ten Kennt­nis haben. Er be­gibt sich se­hen­den Auges in die „Stroh­mann“-Ei­gen­schaft und ist daher nicht wei­ter schüt­zens­wert.

Redaktion beck-aktuell, 7. August 2017.

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