BGH: 15-Minuten-Zeittaktklausel in anwaltlicher Vergütungsvereinbarung gegenüber Verbrauchern unwirksam

BGB § 307 I, II Nr. 1

1. Eine formularmäßige Vergütungsvereinbarung, welche eine Mindestvergütung des Rechtsanwalts in Höhe des Dreifachen der gesetzlichen Vergütung vorsieht, ist jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam, wenn das Mandat die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Mandanten betrifft und die Vergütungsvereinbarung zusätzlich eine Erhöhung des Gegenstandswertes um die Abfindung vorsieht.

2. Die formularmäßige Vereinbarung eines Zeithonorars, welche den Rechtsanwalt berechtigt, für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes zu berechnen, benachteiligt den Mandanten jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. (Aus den Leitsätzen des Gerichts)

BGH, Urteil vom 13.02.2020 - IX ZR 140/19, rechtskräftig (OLG München), BeckRS 2020, 4566

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 08/2020 vom 16.04.2020

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Vergütungs- und Kostenrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Vergütungs- und Kostenrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Vergütungs- und Kostenrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Der Kläger hatte den beklagten Rechtsanwalt mit der Wahrnehmung seiner Rechte gegenüber seinem Arbeitgeber beauftragt, der ihm den Abschluss eines Aufhebungsvertrages angeboten hatte. Die vorformulierte Vergütungsvereinbarung sah unter anderem vor, dass die Abrechnung des Zeitaufwandes im 15-Minuten-Takt (0,25 Stunden) erfolgt und für angefangene 15 Minuten jeweils ein Viertel des Stundensatzes (von 290 EUR pro Stunde plus Umsatzsteuer) berechnet wird. Ferner war vorgesehen, dass der Mandant in allen Fällen - Beratung, außergerichtliche und gerichtliche Vertretung - mindestens das Dreifache der gesetzlichen Vergütung nach dem RVG schuldet und zudem eine Abfindung abweichend von der gesetzlichen Regelung dem Gegenstandswert hinzugerechnet wird.

Der Beklagte handelte mit dem Arbeitgeber des Klägers einen Abwicklungsvertrag aus, nach welchem das Arbeitsverhältnis beendet wurde und der Kläger eine Abfindung von 10.000 EUR brutto sowie ein wohlwollendes qualifiziertes Arbeitszeugnis erhielt. Der Arbeitgeber überwies insgesamt 9.875,99 EUR an den Beklagten. Der Beklagte verrechnete das vereinnahmte Fremdgeld mit seiner Vergütungsforderung in Höhe von insgesamt 11.276,44 EUR und forderte den Kläger zur Zahlung des seiner Ansicht nach noch offenen Betrages von 1.400,45 EUR auf.

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangte der Kläger Zahlung von 9.875,99 EUR nebst Zinsen und Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten nebst Zinsen. Der Beklagte erhob Widerklage auf Zahlung von 1.400,45 EUR. Er rechnete hilfsweise ein Zeithonorar von 5.173,53 EUR ab. Unter Anwendung der Zeitklausel behauptete er einen Aufwand von 25 Stunden und 15 Minuten. Das Berufungsgericht verurteilte den Beklagten unter Abweisung der Widerklage zur Zahlung von 8.495,59 EUR nebst Zinsen. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgte der Beklagte seine in der Berufungsinstanz zuletzt gestellten Anträge auf Abweisung der Klage und Verurteilung des Klägers zur Zahlung von 1.400,45 EUR nebst Zinsen weiter. Die Revision hatte keinen Erfolg.

Entscheidung: Fünfzehn-Minuten-Zeittaktklausel im Rechtsverkehr mit Verbrauchern unwirksam

Der Beklagte habe nur mit einer Vergütungsforderung von 1.541,45 Euro aufrechnen können. Die vorformulierte Vergütungsvereinbarung unterliege der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB. Eine formularmäßige Vergütungsvereinbarung, die eine Mindestvergütung des Rechtsanwalts in Höhe des Dreifachen der gesetzlichen Vergütung vorsehe, sei jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern wegen unangemessener Benachteiligung des Mandanten unwirksam, wenn das Mandat die Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Mandanten betreffe und die Vergütungsvereinbarung zusätzlich eine Erhöhung des Gegenstandswertes um die Abfindung vorsehe (§ 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB). Die Vergütungsvereinbarung diene einseitig, ohne jede Rücksicht auf die Interessen des Mandanten, der Optimierung der Anwaltsvergütung.

Der Beklagte könne ein Zeithonorar von 290 EUR zuzüglich der Umsatzsteuer pro Arbeitsstunde verlangen. Er dürfe jedoch nur die tatsächlich aufgewandte Arbeitszeit abrechnen. Die Fünfzehn-Minuten-Zeittaktklausel benachteilige den Mandanten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Ob die formularmäßige Vereinbarung eines Fünfzehn-MinutenTaktes einer Inhaltskontrolle nach § 307 BGB standhalte, habe der Senat bisher offengelassen. Er entscheide die Streitfrage nun dahin, dass eine formularmäßig vereinbarte Fünfzehn-Minuten-Zeittaktklausel gemäß § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern unwirksam sei.

Der Mandant sei beim Abschluss von anwaltlichen Vergütungsvereinbarungen typischerweise in besonderem Maße schutzbedürftig. Bei dem Vertragsgegenstand der Beratung und Vertretung in Rechtsangelegenheiten (§ 3 Abs. 1 BRAO) handele es sich um eine immaterielle Leistung, deren Wert er kaum ermessen könne. Hinzu komme die asymmetrische Informationsverteilung zwischen Mandant und Rechtsanwalt hinsichtlich der Erfolgsaussichten der Rechtssache sowie des zu ihrer sachgerechten und möglichst erfolgreichen Betreuung erforderlichen Aufwands. Wie viel Zeit der Rechtsanwalt tatsächlich aufwende, sehe der Mandant nicht. Dem unredlichen Rechtsanwalt eröffneten sich umfangreiche Missbrauchsmöglichkeiten. Eine - auch formularmäßig vereinbarte - Abrechnung nach dem Zeitaufwand werde hierdurch zwar nicht ausgeschlossen. Der Senat habe die individualvertragliche Vereinbarung eines Stundenhonorars bisher für unbedenklich gehalten, wenn diese Honorarform unter Würdigung der Besonderheiten des Einzelfalls sachgerecht und die geltend gemachte Bearbeitungszeit sowie der ausgehandelte Stundensatz angemessen erschienen sei. Nichts anderes gelte im Grundsatz für die Vereinbarung eines Zeithonorars in Allgemeinen Geschäftsbedingungen. Ein Zeithonorar, das zusätzlich eine Abrechnung nach mehr oder weniger großen Zeitintervallen vorsehen, führe jedoch zu einer noch größeren Gefährdung der Interessen des Mandanten.

Es gebe durchaus gute Gründe für eine Abrechnung nach Zeittakten. Der Rechtsanwalt, der etwa durch einen Anruf oder eine Rückfrage eines Angestellten in seiner Arbeit gestört werde, müsse sich erst wieder einarbeiten, wenn er sich nach Ende der Unterbrechung erneut seiner eigentlichen Arbeit zuwende. Das koste Zeit. Eine Zeittaktklausel biete dem Mandanten überdies einen Anreiz, Rückfragen und Bemerkungen möglichst geordnet und gesammelt zu übermitteln und den Rechtsanwalt nicht unnötig durch wiederholte E-Mails oder Anrufe in seiner Arbeit zu unterbrechen. Dem stünden jedoch die berechtigten Interessen des Mandanten gegenüber, nur diejenige Arbeitszeit zu bezahlen, die der Rechtsanwalt tatsächlich auf seine Angelegenheit verwandt habe. Welcher Zeittakt angesichts dessen noch vertretbar wäre, bedürfe im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Ein Zeittakt von fünfzehn Minuten, der auch durch die belanglosesten Tätigkeiten des Rechtsanwalts ausgelöst werde und beliebig oft zur Anwendung gebracht werden könne, sei keinesfalls gerechtfertigt. Sie würde es dem Rechtsanwalt zum Beispiel ermöglichen, die auch nur flüchtige Durchsicht des E-Mail-Eingangsfachs in jeder Angelegenheit, in der eine E-Mail eingegangen sei, mit einem Viertel des vereinbarten Stundensatzes in Ansatz zu bringen. Auch Unterbrechungen, die ohne äußeren Anlass auf der eigenen Entschließung des Anwalts beruhten, könnten den Zeittakt neu beginnen lassen und zu einer Vervielfachung der Vergütung führen.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH beschäftigt sich mit einer ganzen Palette von Streitfragen bei Vergütungsvereinbarungen. Ihr vorausgegangen war die Entscheidung des OLG München (Endurteil vom 05.06.2019 - 15 U 319/18 Rae, BeckRS 2019, 10656 m. Anm. Mayer FD-RVG 2019, 418159). Besonders bedeutsam für die Praxis ist, dass nach dem BGH eine formularmäßig vereinbarte Zeittaktklausel von 15 Minuten jedenfalls im Rechtsverkehr mit Verbrauchern den Mandanten entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Die Zulässigkeit von Zeittaktklauseln war bislang umstritten (siehe hierzu näher Mayer in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019 § 3a RVG Rn. 65 m. w. N.). Immerhin erkennt der BGH an, dass gute Gründe für die Abrechnung nach Zeittakten bestehen. Allerdings nimmt er nicht zu der Frage Stellung, welcher Zeittakt noch vertretbar wäre.

Redaktion beck-aktuell, 16. April 2020.