OLG Frankfurt a. M.: Keine Fortwirkung der Pflichtverteidigerbestellung für das Wiederaufnahmeverfahren

StPO § 143 I

Nach § 143 Abs. 1 StPO n. F. wirkt die Pflichtverteidigerbestellung nicht mehr für das Wiederaufnahmeverfahren fort. (Leitsatz des Gerichts)

OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 06.03.2020 - 1 Ws 29/20, 1 Ws 30/20, rechtskräftig (LG Darmstadt), BeckRS 2020, 3895

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 07/2020 vom 02.04.2020

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Sachverhalt

Das Landgericht Frankfurt a. M. verurteilte den Antragsteller wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und wegen (vorsätzlicher) Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren und acht Monaten. Das Urteil war seit dem 13.12.2012 rechtskräftig. Am 15.08.2019 stellte der Verurteilte mit selbst gefertigtem Schriftsatz den Antrag, das Verfahren wieder aufzunehmen und beantragte zugleich, ihm für das Wiederaufnahmeverfahren einen Verteidiger zu bestellen. Mit Beschluss vom 16.12.2019 verwarf das Wiederaufnahmegericht den Antrag gemäß § 368 Abs. 1 StPO wegen Formmangels als unzulässig. Den Antrag auf Bestellung eines Verteidigers wies es unter Hinweis auf die ständige Rechtsprechung des Senats zurück, wonach die frühere Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwältin A im Wiederaufnahmeverfahren fortgelte. Dagegen wandte sich der Verurteilte mit der sofortigen Beschwerde. Die sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Entscheidung: Pflichtverteidigerbestellung mit rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens beendet

Der Sache nach handele es sich um zwei gesonderte Rechtsmittel. Sowohl die Entscheidung über den Wiederaufnahmeantrag (§ 372 Satz 1 StPO) als auch die Ablehnung der Bestellung eines Pflichtverteidigers (§ 142 Abs. 7 Satz 1 StPO) seien mit der sofortigen Beschwerde anzufechten. Beide sofortigen Beschwerden seien auch zulässig, insbesondere rechtzeitig eingelegt worden. Die Beschwerdefrist (§ 311 Abs. 2 StPO) sei durch die Zustellung an die frühere Pflichtverteidigerin, Rechtsanwältin A, nämlich nicht wirksam in Lauf gesetzt worden. Die Voraussetzungen des § 145a Abs. 1 StPO lägen nicht vor. Weder sei Rechtsanwältin A mit bei den Akten befindlicher Vollmacht gewählte Verteidigerin des Verurteilten für das Wiederaufnahmeverfahren, noch habe ihre Bestellung zur Pflichtverteidigerin fortbestanden. Letzteres ergebe sich aus der am 13.12.2019 in Kraft getretenen Neufassung des § 143 Abs. 1 StPO. Danach ende die Bestellung des Pflichtverteidigers nunmehr mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens. Ausnahmen seien nur noch für das abgetrennte Einziehungsverfahren (§ 423 StPO) und die nachträgliche Gesamtstrafenbildung (§ 460 StPO) vorgesehen. Mit dieser Regelung habe der Gesetzgeber erstmals ausdrücklich die Dauer der Bestellung eines Pflichtverteidigers regeln wollen, die nun - von den genannten Ausnahmefällen abgesehen - mit der Rechtskraft der Entscheidung automatisch ende. Angesichts dieser neuen Gesetzeslage sei die frühere Rechtsprechung des Senats überholt. Sie werde ausdrücklich aufgegeben.

In der Sache hätten beide Rechtsmittel keinen Erfolg. Das LG habe den Wiederaufnahmeantrag gemäß § 368 Abs. 1 StPO zu Recht als unzulässig verworfen, weil dieser entgegen § 366 Abs. 2 StPO weder von einem Rechtsanwalt unterschrieben noch zu Protokoll der Geschäftsstelle angebracht worden sei. Auch die Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung des Antrags auf Pflichtverteidigerbestellung sei unbegründet. Die Beiordnung eines Verteidigers gemäß § 364a StPO setze voraus, dass der Wiederaufnahmeantrag bei vorläufiger Bewertung hinreichende Aussicht auf Erfolg habe. Dazu seien zumindest in knapper Form substantiiert die Tatsachen darzulegen, die hinreichende Anhaltspunkte für die Erfolgsaussicht des Antrags böten. Daran fehle es hier. Keiner der in § 359 StPO genannten Wiederaufnahmegründe werde mit der Antragsschrift dargetan. Deren Inhalt erschöpfe sich in unbehelflichen Ausführungen zu vermeintlichen Verfahrensfehlern und der Darlegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers. Die ergänzenden und zusammenhanglosen Ausführungen zu einem Alibizeugen und angeblichen Falschaussagen seien nicht nachvollziehbar und versetzten das Wiederaufnahmegericht nicht ansatzweise in die Lage, die Voraussetzungen des Wiedereinsetzungsgrundes § 359 Nr. 5 StPO zu prüfen.

Praxishinweis

Die Tätigkeit des Rechtsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren nach den §§ 359 ff. StPO ist gemäß § 17 Nr. 13 RVG eine eigene Angelegenheit, jedoch entsteht nach Vorbemerkung 4.1.4 VV RVG keine Grundgebühr, und zwar auch nicht für den Rechtsanwalt, der erstmals im Wiederaufnahmeverfahren für den Mandanten tätig wird (Burhoff in Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl. 2019, Vorbemerkung 4.1.4 Anm. 2). Im Wiederaufnahmeverfahren entstehen die Vergütungsbestände der Nrn. 4136 ff. VV RVG. So erhält nach Nr. 4136 VV RVG der Rechtsanwalt für die Vorbereitung des Wiederaufnahmeantrags eine Geschäftsgebühr in Höhe der Verfahrensgebühr für den 1. Rechtszug. Damit werden das Betreiben des Geschäfts im Wiederaufnahmeverfahren und die für die Stellung des Antrags erforderlichen Tätigkeiten abgedeckt (Kroiß in Mayer/Kroiß, RVG, 7. Aufl. 2018, VV 4136 - 4140 RVG, Rn. 2).

Redaktion beck-aktuell, 2. April 2020.