BGH: Prozesskostenhilfe für Mahnverfahren trotz zu erwartenden Widerspruchs des Antragsgegners möglich

1. Die hinreichende Erfolgsaussicht für ein Mahnverfahren kann nicht alleine deshalb verneint werden, weil ein Widerspruch des Antragsgegners zu erwarten ist.

2. In einem solchen Fall kann auch nicht ohne Weiteres die Mutwilligkeit der beabsichtigten Rechtsverfolgung (§ 114 Abs. 2 ZPO) angenommen werden. Hierfür bedarf es vielmehr der Würdigung aller Umstände des Einzelfalls (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 31.08.2017 - III ZB 37/17 Rn. 9 f., NJW-RR 2017, 1469; Beschlüsse vom 28.11.2017 - X ZA 1/16 und X ZA 2/16, BeckRS 2017, 135867 und BeckRS 2017, 135866; Beschluss vom 11.01.2018 - III ZB 87/17 Rn. 8, FamRZ 2018, 601). (von der Redaktion bearbeitete Leitsätze des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 21.08.2019 - VII ZB 48/16, rechtskräftig (LG Berlin), BeckRS 2019, 21274

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 21/2019 vom 17.10.2019

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Sachverhalt

Der Antragsteller war Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der K. N. Am 28.12.2015 beantragte er beim zuständigen AG die Gewährung von Prozesskostenhilfe für den Erlass eines Mahnbescheids gegen den weiteren Beteiligten wegen einer Forderung aus Werkvertrag/Werklieferungsvertrag in Höhe von 4.429,80 EUR nebst Zinsen. Das AG hörte den weiteren Beteiligten an, der angekündigt hatte, gegen einen etwaigen Mahnbescheid Widerspruch einzulegen. Daraufhin wies das AG den Antrag mangels Erfolgsaussicht zurück. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde des Antragstellers blieb erfolglos. Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrte der Antragsteller unter Aufhebung und Abänderung der angefochtenen Beschlüsse, ihm für die Durchführung des Mahnverfahrens Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Die Rechtsbeschwerde hatte in der Sache Erfolg.

Entscheidung: Mahnverfahren von nicht bedürftigen Parteien auch häufig bei absehbarem Widerspruch genutzt

Die Durchführung eines Mahnverfahrens müsse nicht auf das Ziel beschränkt sein, einen Vollstreckungsbescheid zu erlangen. Das Mahnverfahren biete dem Gläubiger weitere Vorteile, die unabhängig von der Möglichkeit seien, einen Vollstreckungsbescheid zu erlangen, und die in der Praxis nicht unerhebliche Bedeutung hätten. Es könne als Vorstufe zum Klageverfahren dienen (§§ 696 f. ZPO), was im Vergleich zur unmittelbaren Klageerhebung mit Erleichterungen verbunden sei. So könne das Mahnverfahren beim AG nach näherer Maßgabe von § 689 ZPO, auch ohne anwaltliche Hilfe, eingeleitet werden. Es bedürfe lediglich einer vergleichsweise einfachen hinreichenden Individualisierung des geltend gemachten Anspruchs und (noch) nicht der schlüssig aufgearbeiteten Klagebegründung und der Ermittlung, Beschaffung und genauen Bezeichnung der gegebenenfalls notwendigen Beweismittel. Diese Erleichterungen spielten vor allem - jedoch nicht nur dann - eine Rolle, wenn der Eintritt der Verjährung drohe. Denn die Zustellung des Mahnbescheids führe zur Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 3 BGB.

Die Praxis zeige, dass aus diesen Gründen Mahnverfahren von nicht bedürftigen Parteien häufig auch dann genutzt würden, wenn ein Widerspruch absehbar sei. Würde man einem bedürftigen Gläubiger allein wegen eines zu erwartenden Widerspruchs diese Vorteile versagen, indem man ihn auf ein Klageverfahren verweisen und für ein Mahnverfahren keine Prozesskostenhilfe gewähren würde, stünde er schlechter als derjenige, der die Kosten für das Mahnverfahren aus eigenen Mitteln aufbringen könne. Für eine solche Schlechterstellung finde sich im Gesetz keine Rechtfertigung. Im Streitfall könne daher eine hinreichende Aussicht auf Erfolg der beabsichtigten Rechtsverfolgung des Antragstellers nicht wegen des vom Antragsgegner angekündigten Widerspruchs verneint werden.

Die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers erscheine auch nicht als mutwillig im Sinne des § 114 Abs. 1 Satz 1, § 114 Abs. 2, § 116 Satz 2 ZPO. Die Voraussetzung fehlender Mutwilligkeit gelte auch für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Mahnverfahren. Dort sei entscheidend, ob eine wirtschaftlich leistungsfähige Partei bei verständiger Würdigung aller Umstände von der Rechtsverfolgung im Wege des Mahnverfahrens absehen würde. Hiernach könne die Einleitung eines Mahnverfahrens nicht allein aus dem Grund als mutwillig angesehen werden, dass voraussichtlich ein Widerspruch des Antragsgegners erfolgen würde. Denn es sei regelmäßig nicht anzunehmen, dass ein Gläubiger, der die Kosten selbst aufbringen müsste, bei verständiger Würdigung aller Umstände nur deshalb diesen Weg nicht wählen würde. Aus den oben bereits dargestellten Gründen spreche häufig im Gegenteil einiges dafür, gleichwohl zunächst das Mahnverfahren zu wählen. Insbesondere könne dem Gläubiger nicht entgegengehalten werden, im Falle des zu erwartenden Widerspruchs und der Überleitung in ein Klageverfahren entstünden Mehrkosten, die etwa ein nicht bedürftiger Gläubiger nicht aufbringen würde. Dies sei nicht der Fall. Die im Rechtsstreit insgesamt anfallenden Kosten unterschieden sich im Endergebnis allenfalls unwesentlich von denjenigen, die anfallen würden, wenn unmittelbar Klage erhoben werde. Damit erscheine die Wahl des Mahnverfahrens regelmäßig als eine nicht von vornherein unvernünftige Möglichkeit, ein als notwendig erscheinendes Klageverfahren einzuleiten.

Der Bundesgerichtshof habe zwar bereits in mehreren Fällen, in denen der Antragsgegner angekündigt hatte, er werde gegen einen eventuellen Mahnbescheid unverzüglich Widerspruch einlegen, angenommen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung des Antragstellers mutwillig erscheine. Diese Entscheidungen stünden indes, wie der III. Zivilsenat und der X. Zivilsenat auf Anfrage mitgeteilt hätten, der vorstehenden Beurteilung nicht entgegen. Sie beruhten danach auf einer Gesamtbetrachtung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalls, aus denen abzuleiten sei, ob eine verständige Partei, die auch das Kostenrisiko in Verbindung mit den Prozessaussichten berücksichtige und abwäge, das Mahnverfahren einleiten würde. Da keine weiteren Umstände festgestellt seien, die auf eine Mutwilligkeit hindeuteten, sei die Beantragung eines Mahnbescheids im Streitfall nicht mutwillig.

Praxishinweis

Der III. Senat des BGH hatte bereits im Beschluss vom 11.01.2018 (Az.: III ZB 87/17, BeckRS 2018, 619) und der X. Zivilsenat in den Beschlüssen vom 28.11.2017 (Az.: X ZA 1/16, BeckRS 2017, 135867) und vom 31.08.2017 (Az.: III ZB 37/17, NJW-RR 2017, 1469) jeweils die beabsichtigte Rechtsverfolgung im Mahnverfahren als mutwillig qualifiziert, wenn der Antragsgegner angekündigt hatte, gegen einen eventuellen Mahnbescheid unverzüglich Widerspruch einzulegen. Zu Recht rückt der BGH in der berichteten Entscheidung davon ab und honoriert das Interesse des Antragstellers im Mahnverfahren, die mit dem Mahnbescheid verbundene verjährungshemmende Wirkung herbeizuführen (siehe zur Thematik auch Fischer in Musielak/Voit, ZPO, 19. Aufl. 2019, ZPO § 114, Rn. 44).

Redaktion beck-aktuell, 18. Oktober 2019.