AG Riedlingen: Zusätzliche Gebühr auch bei nicht formell ausgesetzter Hauptverhandlung

VV 5115 RVG

Jedes Abbrechen der Verhandlung über den nach § 229 I und II StPO höchst zulässigen Zeitraum hinaus bedeutet gleichzeitig die Aussetzung der Hauptverhandlung, sodass eine zusätzliche Gebühr entstehen kann, wenn durch anwaltliche Mitwirkung ein neuer Hauptverhandlungstermin entbehrlich wird. (Leitsatz des Verfassers)

AG Riedlingen, Urteil vom 13.12.2018 - 1 C 170/17, BeckRS 2018, 34227

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 04/2019 vom 13.02.2019

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Sachverhalt

Die Klägerin war beauftragt, den Beklagten im Bußgeldverfahren vor dem Landratsamt mit nachfolgendem Übergang ins gerichtliche Verfahren vor dem AG zu vertreten. Dem Beklagten wurde vorgeworfen, die innerorts zulässige Höchstgeschwindigkeit um 21 km/h überschritten zu haben. Für den Beklagten war es von ganz eminenter Bedeutung, dass zumindest erreicht wird, dass die Geschwindigkeitsüberschreitung lediglich 20 km/h beträgt. Aus diesem Grunde wurde von Klägerseite bereits im Vorverfahren vor der Verwaltungsbehörde entsprechend vorgetragen und insbesondere im Hinblick auf den Messvorgang Fragen an das Landratsamt gestellt. Gegen den Bußgeldbescheid des Landratsamts wurde von der Klägerseite Einspruch eingelegt und der Sachverständige Dr. L. beauftragt. In der Folge wurde der Vorgang vom Landratsamt an das AG abgegeben, das Termin auf den 18.11.2016 anberaumte. Mit Beschluss vom 4.11.2016 gab das AG ein weiteres Sachverständigengutachten in Auftrag um die Ausführungen des Sachverständigen Dr. L. zu überprüfen. Am 28.4.2017 fand vor dem AG die Hauptverhandlung statt. Im Hauptverhandlungstermin wurde der Messbeamte angehört, ebenso erläuterte der Sachverständige der Dekra sein Gutachten und nahm ausführlich zum Gutachten von Herrn Dr. L. Stellung.

Auf Antrag der Klägerseite wurde dann beschlossen, die Beschilderung im Messbereich zu überprüfen. Es stellte sich dann in der Folgezeit heraus, dass der Beklagte auf seiner Fahrt durch die Ortschaft an keiner Beschilderung der 30er Zone vorbeikam. Dabei wurde dem Gericht mit Schriftsatz vom 30.6.2017 ein Kartenausschnitt überlassen, der den Fahrweg des Beklagten zeigte. Hierauf stellte das Gericht auf Anregung der Klägerseite das Verfahren gegen den Beklagten durch Beschluss ein.

Die Beklagtenseite rechnete sodann mit der Rechtsschutzversicherung des Beklagten ab. Dabei machte sie ua geltend, dass bei der zuerst eingereichten Kostenrechnung durch ein Büroversehen die Gebühr VV 5115, 5103 RVG nicht berücksichtigt worden sei. Diese falle nämlich auch an, wenn eine Hauptverhandlung bereits stattgefunden habe. Nach hM dürfe es sich dabei aber nicht nur um eine Fortsetzung des Termins handeln. Die Rechtsschutzversicherung stellte sich gleichwohl auf den Standpunkt, eine Gebühr gem. VV 5115 RVG sei nicht angefallen. Die Klägerin erhob in der Folge Klage. Der Beklagte beantragte Klagabweisung. Das Gericht erhob Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens der Rechtsanwaltskammer T. Die Klage hatte vor dem AG Erfolg.

Entscheidung: Zusätzliche Gebühr auch bei ausgesetzter Hauptverhandlung möglich; formelle Aussetzung nicht notwendig

Zu Recht sei die Gebühr „Mitwirkung Entbehrlichkeit Hauptverhandlung“ gem. VV 5115, 5103 RVG über 160 EUR in Ansatz gebracht worden.

Nach den Ausführungen der Rechtsanwaltskammer T. in ihrem schriftlichen Gutachten sei nach Auswertung der Bußgeldakten des AG und dem sich daraus ergebenden Verlauf der Hauptverhandlung davon auszugehen, dass die Hauptverhandlung lediglich unterbrochen worden sei und daher vom Grundsatz der Einheit der Hauptverhandlung ausgegangen werden müsse, was einer Anwendung der Erledigungsgebühr nach VV 5115 RVG entgegen stehen würde. Daher komme die Rechtsanwaltskammer zu dem Ergebnis, dass im vorliegenden Fall die geltend gemachte Gebühr VV 5115 RVG nicht angefallen sei.

Dieser Rechtsauffassung vermöge sich das Gericht aber nicht anzuschließen. Ausweislich des Protokolls der Hauptverhandlung vor dem AG am 28.4.2017 sei an deren Ende der Beschluss ergangen, dass das weitere Vorgehen vAw bestimmt werde. Danach habe das Gericht in der Folgezeit bestimmt, dass die Beschilderung im Messbereich nochmals zu überprüfen sei. Hiernach habe sich ein völlig anderer Sachverhalt herausgestellt, als jener, welcher in der Hauptverhandlung vom 28.4.2017 zugrunde gelegen habe. Hierauf habe die Klägerseite dem Gericht mit Schriftsatz vom 13.6.2017 – also ungefähr zwei Monate nach dem ersten Hauptverhandlungstermin – einen Kartenausschnitt mit dem Fahrweg des Beklagten überlassen. Nach Auswertung des Kartenausschnitts habe hierauf das Gericht auf entsprechenden Antrag der Klägerseite das Verfahren gegen den Beschuldigten durch Beschluss vom 10.7.2017 eingestellt. Aufgrund dieser Entscheidung, knapp 3 Monate nach der 1. Hauptverhandlung, könne überhaupt nicht zweifelhaft sein, dass die Hauptverhandlung ausgesetzt und nicht unterbrochen worden sei. Insoweit sei nämlich festzuhalten, dass zum Zeitpunkt des Einstellungsbeschlusses ein Fortsetzungstermin noch nicht bestimmt gewesen sei. Deshalb sei der Klägerseite zuzugestehen, dass jedes Abbrechen der Verhandlung über den nach § 229 I und II StPO höchst zulässigen Zeitraum hinaus gleichzeitig die Aussetzung der Hauptverhandlung bedeute. In der Konsequenz hätte deshalb nach dem AG Riedlingen ein neuer Hauptverhandlungstermin bestimmt werden müssen, mit welchem das Verfahren erneut von Anfang an durchzuführen gewesen wäre. Dieser erneute Hauptverhandlungstermin sei jedoch mit Beschluss vom 10.7.2017 verhindert worden.

Praxistipp

Die zusätzliche Gebühr VV 5115 RVG kann auch anfallen, wenn bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat. So entsteht die zusätzliche Gebühr, wenn der Verteidiger den Angeklagten in einer Hauptverhandlung verteidigt, die ausgesetzt wird; gelingt es ihm, dass das Verfahren außerhalb der Hauptverhandlung eingestellt wird, ist die Gebühr entstanden, weil es unerheblich ist, dass bereits eine Hauptverhandlung stattgefunden hat (Gerold/Schmidt/Burhoff, 23. Aufl. 2017, VV 4141 RVG Rn. 23). Anders ist es jedoch, wenn die Hauptverhandlung unterbrochen und ein Fortsetzungstermin bestimmt wird. Auch wenn es dazwischen dem Verteidiger gelingt, die Einstellung des Verfahrens zu erreichen, ist die zusätzliche Gebühr nach hM nicht entstanden (Gerold/Schmidt/Burhoff, 23. Aufl. 2017, VV 4141 RVG Rn. 23). Zutreffend hat das AG Riedlingen auch eine Verfahrensgestaltung, in der die Hauptverhandlung weder formell ausgesetzt noch unterbrochen wurde, einer Aussetzung gleichgestellt, weil die nach § 229 I und II StPO höchst zulässigen Zeiträume für eine Unterbrechung überschritten waren.

Redaktion beck-aktuell, 13. Februar 2019.

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