VG Ol­den­burg: Her­ab­set­zung des Ge­gen­stands­wer­tes bei Un­tä­tig­keits­kla­ge einer «On­line-Kanz­lei» im Rah­men des Asyl­ver­fah­rens

RVG § 30 I, II

Der Ge­gen­stands­wert des § 30 I 1 RVG iHv 5.000 EUR ist un­bil­lig, wenn be­an­trag­tes Ziel des Kla­ge­ver­fah­rens (Un­tä­tig­keits­kla­ge nach § 75 VwGO) nur die Fort­set­zung des Asyl­ver­fah­rens ist. Ein der­ar­ti­ges Kla­ge­be­geh­ren ist weder von der Be­deu­tung für die Klä­ger, noch vom Auf­wand für deren Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten ver­gleich­bar mit einer be­an­tra­gen (Sach-)Ent­schei­dung durch das Ge­richt. Das Ge­schäfts­mo­dell eines als „On­line-Kanz­lei“ fir­mie­ren­den Rechts­an­walts be­steht darin, sich auf ei­ni­ge we­ni­ge Rechts­be­ra­tungs­pro­duk­te zu be­schrän­ken, die sich re­gel­mä­ßig wie­der­ho­len, um über die Zahl der auf diese Weise ein­ge­grenz­ten Ver­fah­ren mit ein­mal ent­stan­de­nen Auf­wand für die Er­stel­lung einer Mus­ter­vor­la­ge für das je­wei­li­ge Rechts­pro­blem und in der Fol­ge­zeit le­dig­lich ge­ge­be­nen­falls er­for­der­li­chen Ak­tua­li­sie­rung mög­lichst viele Ver­fah­ren ab­zu­de­cken und mit ins­ge­samt wenig Auf­wand ent­spre­chen­de Um­sät­ze ge­ne­rie­ren zu kön­nen. (Leit­sät­ze der Schrift­lei­tung)

VG Ol­den­burg, Ur­teil vom 06.03.2018 - 15 A 8409/17, BeckRS 2017, 144280

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Dr. Hans-Jo­chem Mayer, Fach­an­walt für Ver­wal­tungs­recht und Fach­an­walt für Ar­beits­recht, Bühl

Aus beck-fach­dienst Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht 8/2018 vom 11.04.2018

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des Ver­gü­tungs- und Kos­ten­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Mit Kos­ten­fest­set­zungs­an­trag be­an­trag­te der Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te der Klä­ger, die der Be­klag­ten auf­zu­er­le­gen­den au­ßer­ge­richt­li­chen Kos­ten des Ver­fah­rens auf der Grund­la­ge eines Ge­gen­stands­wer­tes von 5.000 EUR zu be­rech­nen. Dar­auf­hin be­an­trag­te das Bun­des­amt für Mi­gra­ti­on und Flücht­lin­ge mit Schrei­ben vom 19.2.2018, im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren der Un­tä­tig­keits­kla­ge gem. § 30 II RVG einen ge­rin­ge­ren Ge­gen­stands­wert fest­zu­set­zen. Der nach § 30 I RVG be­stimm­te Ge­gen­stands­wert sei im vor­lie­gen­den Ver­fah­ren un­bil­lig, weil der Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te der Klä­ger be­reits in der Kla­ge­schrift nur die Ver­pflich­tung der Be­klag­ten zum wei­te­ren Be­trei­ben des Ver­fah­rens be­an­tragt habe. Dem trat der Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te der Klä­ger mit Schrift­satz vom 2.3.2018 unter Dar­stel­lung des für ihn mit einer Un­tä­tig­keits­kla­ge ver­bun­de­nen Ar­beits­auf­wan­des ent­ge­gen, der min­des­tens fünf Stun­den be­tra­ge und der bei einer Streit­wert­be­mes­sung un­ter­halb von 5.000 EUR außer Ver­hält­nis zu sei­nem Ver­dienst stehe. Auch sei die mit der Un­tä­tig­keits­kla­ge be­gehr­te Fort­füh­rung des Asyl­ver­fah­rens sehr wohl für die Klä­ger von Be­deu­tung. Das Ge­richt setz­te den Ge­gen­stands­wert des Ver­fah­rens auf 2.500 EUR fest.

Recht­li­che Wer­tung

Im vor­lie­gen­den Fall sehe das Ge­richt in stRspr den Ge­gen­stands­wert des § 30 I 1 RVG iHv 5.000 EUR für un­bil­lig an, weil be­an­trag­tes Ziel des Kla­ge­ver­fah­rens (Un­tä­tig­keits­kla­ge nach § 75 VwGO) nur die Fort­set­zung des Asyl­ver­fah­rens ge­we­sen sei. Ein der­ar­ti­ges Kla­ge­be­geh­ren sei weder von der Be­deu­tung für die Klä­ger noch vom Auf­wand für deren Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten ver­gleich­bar mit einer be­an­trag­ten (Sach-) Ent­schei­dung durch das Ge­richt.

Das Ge­richt habe be­reits er­heb­li­che Zwei­fel daran, dass der von dem Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten der Klä­ger dar­ge­stell­te Zeit­auf­wand für die Ein­rei­chung einer Un­tä­tig­keits­kla­ge tat­säch­lich zu­tref­fend sei. Das Ge­schäfts­mo­dell des als „On­line-Kanz­lei“ fir­mie­ren­den Rechts­an­wal­tes be­stehe aus­weis­lich des ent­spre­chen­den In­ter­net­auf­tritts darin, sich „auf ei­ni­ge we­ni­ge ‚Rechts­be­ra­tungs­pro­duk­te‘ “ zu be­schrän­ken, die sich re­gel­mä­ßig wie­der­ho­len, um auf diese Weise über die Zahl der auf diese Weise ein­ge­grenz­ten Ver­fah­ren mit ein­mal ent­stan­de­nem Auf­wand für die Er­stel­lung einer Mus­ter­vor­la­ge für das je­wei­li­ge Rechts­pro­blem und in der Fol­ge­zeit le­dig­lich ge­ge­be­nen­falls er­for­der­li­chen Ak­tua­li­sie­run­gen mög­lichst viele Ver­fah­ren ab­de­cken und mit ins­ge­samt wenig Auf­wand ent­spre­chen­de Um­sät­ze ge­ne­rie­ren zu kön­nen. Um die ef­fi­zi­en­te Ver­fah­rens­ge­stal­tung wei­ter zu er­hö­hen werde dabei gleich­zei­tig „auf phy­si­sche Ter­mi­ne“ ver­zich­tet und diese wer­den „durch di­gi­ta­le Kom­mu­ni­ka­ti­ons­we­ge (E-Mail, Te­le­fon/-fax, Whats­app, Face­book, Skype, ua)“ er­setzt.

Da­nach ge­nü­ge es für die Ein­rei­chung einer Un­tä­tig­keits­kla­ge, dass ein Klä­ger eine Ab­lich­tung sei­nes Asyl­an­trags, etwa per Whats­App, an den Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten über­sen­de, aus dem die­ser dann das Datum des Asyl­an­trags, das Her­kunfts­land und das Ak­ten­zei­chen des Bun­des­am­tes über­neh­me und in eine im Üb­ri­gen voll­stän­dig stan­dar­di­sier­te Un­tä­tig­keits­kla­ge ein­fü­ge.

Gegen diese Art der an­walt­li­chen Tä­tig­keit sei grds. auch nichts ein­zu­wen­den. Je­doch werde durch diese Pra­xis auch au­gen­fäl­lig, warum es das er­ken­nen­de Ge­richt bei einer asyl­recht­li­chen Un­tä­tig­keits­kla­ge nach den be­son­de­ren Um­stän­den des Ein­zel­falls für un­bil­lig halte, den­sel­ben Ge­gen­stands­wert von 5.000 EUR fest­zu­set­zen, der nach § 30 I RVG auch für Ver­pflich­tungs­kla­gen nach er­gan­ge­nen asyl­recht­li­chen Ent­schei­dun­gen des Bun­des­am­tes gelte, die aber in aller Regel tat­säch­lich die „phy­si­sche“ Kon­takt­auf­nah­me eines Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten mit dem je­wei­li­gen Klä­ger und ggf. unter Hin­zu­zie­hung eines Dol­met­schers auch eine Aus­ein­an­der­set­zung mit des­sen in­di­vi­du­el­len Ver­fol­gungs­schick­sal, eine An­for­de­rung der Ver­wal­tungs­vor­gän­ge und deren Be­rück­sich­ti­gung sowie eine recht­li­che Aus­ein­an­der­set­zung mit der je­wei­li­gen Si­tua­ti­on im Her­kunfts­staat er­for­de­re, mit­hin also trotz einer auf meh­re­ren Sei­ten be­grün­de­ten Un­tä­tig­keits­kla­ge ein im Ver­gleich zu an­de­ren Asyl­kla­gen weit un­ter­durch­schnitt­li­cher Auf­wand her­vor­ge­ru­fen werde.

Das Ge­richt über­se­he dabei auch nicht, dass für den auf eine Sach­ent­schei­dung war­ten­den Aus­län­der selbst­ver­ständ­lich der Fort­gang sei­nes Ver­fah­rens von Be­deu­tung sei. Die teil­wei­se ver­tre­te­ne Auf­fas­sung, dass die Ver­pflich­tung des Bun­des­am­tes zu einer Ent­schei­dung über den Asyl­an­trag un­ab­hän­gig von des­sen Er­geb­nis für die Klä­ger den­sel­ben Stel­len­wert haben solle, wie die Ver­pflich­tung des Bun­des­am­tes zu einer Zu­er­ken­nung von Schutz nach zuvor er­folg­ter Ab­leh­nung des Asyl­an­trags, teile das Ge­richt je­doch nicht.

Pra­xis­tipp

Nach zu­tref­fen­der Auf­fas­sung kommt eine Her­ab­set­zung des Ge­gen­stands­wert nach § 30 II RVG nur in Be­tracht, wenn es sich um be­son­de­re Um­stän­de des Ein­zel­falls han­delt, die nicht dem Streit­ge­gen­stand oder Kla­ge­art ge­schul­det sind (vgl. OLG Düs­sel­dorf BeckRS 2014, 50630 mAnm Mayer FD-RVG 2014, 358036). Des­halb ist auch bei einer Un­tä­tig­keits­kla­ge keine Her­ab­set­zung des Ge­gen­stands­werts vor­zu­neh­men (vgl. zB VG Trier BeckRS 2014, 59750). Die Tat­sa­che, dass die Un­tä­tig­keits­kla­ge von einer so­ge­nann­ten „On­line-Kanz­lei“ in stan­dar­di­sier­ter Form er­ho­ben wird, än­dert nichts am Streit­ge­gen­stand oder der Kla­ge­art, der an­walt­li­che Auf­wand hat je­doch kei­nen Ein­fluss auf den Streit­wert, son­dern ist ein Pa­ra­me­ter, der al­len­falls bei der Ge­büh­ren­be­mes­sung von Rah­men­ge­büh­ren zum Tra­gen kom­men kann.

Redaktion beck-aktuell, 11. April 2018.

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