BGH: An­ge­bot einer kos­ten­lo­sen an­walt­li­chen Erst­be­ra­tung nach einem Ver­kehrs­un­fall ist zu­läs­sig

BRAO § 49 b I 1 und 2; RVG §§ 4 I 1 bis 3, 34 I 2, 3

Schreibt das Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­ge­setz keine be­stimm­te Ge­bühr für eine Erst­be­ra­tung vor, gibt es keine Min­dest­ge­bühr, die unter Ver­stoß gegen § 49 I 1 BRAO un­ter­schrit­ten wer­den könn­te. Dies gilt auch hin­sicht­lich der nach § 34 I 2 RVG, § 612 II BGB bei Feh­len einer Ver­ein­ba­rung ma­ß­geb­li­chen „üb­li­chen" Ver­gü­tung. Ein Rechts­an­walt darf daher kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tun­gen für Per­so­nen an­bie­ten, die einen Ver­kehrs­un­fall er­lit­ten haben. (von der Schrift­lei­tung er­gänz­ter Leit­satz des Ge­richts)

BGH, Ur­teil vom 03.07.2017 - AnwZ (BrfG) 42/16, BeckRS 2017, 117491

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Dr. Hans-Jo­chem Mayer, Fach­an­walt für Ver­wal­tungs­recht und Fach­an­walt für Ar­beits­recht, Bühl

Aus beck-fach­dienst Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht 16/2017 vom 09.08.2017

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Ver­gü­tungs- und Kos­ten­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis des Ver­gü­tungs- und Kos­ten­rechts. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de

Sach­ver­halt

Der Klä­ger ist im Be­zirk der Be­klag­ten zur Rechts­an­walt­schaft zu­ge­las­sen und Part­ner der So­zie­tät M. und D.. Im Juni 2014 schal­te­te die So­zie­tät in einer Zei­tung fol­gen­de An­zei­ge: „Ver­kehrs­un­fall kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tung Ken­nen Sie Ihre Rech­te nach einem Ver­kehrs­un­fall? Un­se­re Kanz­lei bie­tet Ihnen ab so­fort nach einem Ver­kehrs­un­fall eine kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tung an. Si­chern Sie sich Ihrer Rech­te und ver­ein­ba­ren Sie so­fort nach einem Ver­kehrs­un­fall einen Ter­min mit un­se­rer Kanz­lei für eine kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tung. M. und D. Rechts­an­wäl­te …“.

Mit Be­scheid vom 28.5.2015 er­teil­te die Be­klag­te dem Klä­ger eine be­leh­ren­de Er­mah­nung wegen der Ver­let­zung der Grund­sät­ze an­walt­li­chen Ge­büh­ren­rechts. Der Wi­der­spruch des Klä­gers wurde mit Wi­der­spruchs­be­scheid vom 23.7.2015 zu­rück­ge­wie­sen. Er erhob in der Folge Klage. Der An­walts­ge­richts­hof hob den an­ge­foch­te­nen Be­scheid auf.

Gegen die­ses Ur­teil rich­te­te sich die vom An­walts­ge­richts­hof zu­ge­las­se­ne Be­ru­fung der Be­klag­ten, die Be­ru­fung blieb vor dem BGH ohne Er­folg.

Recht­li­che Wer­tung

Der Klä­ger habe nicht gegen be­rufs­recht­li­che Pflich­ten ver­sto­ßen, indem er eine kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tung für Per­so­nen an­ge­bo­ten habe, die einen Ver­kehrs­un­fall er­lit­ten hät­ten. Ins­be­son­de­re seien die Vor­aus­set­zun­gen des § 49 b I 1 BRAO nicht er­füllt. Nach § 49 b I 1 BRAO sei es un­zu­läs­sig, ge­rin­ge­re Ge­büh­ren und Aus­la­gen zu ver­ein­ba­ren oder zu for­dern, als das Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­ge­setz vor­se­he, so­weit die­ses nichts an­de­res be­stim­me. Die Aus­nah­me­vor­schrift des § 49 b I 2 BRAO, nach wel­cher der Rechts­an­walt die Ge­büh­ren und Aus­la­gen nach Er­le­di­gung des Auf­trags unter be­stimm­ten Vor­aus­set­zun­gen er­las­sen oder er­mä­ßi­gen dürfe, grei­fe er­sicht­lich nicht ein, weil die kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tung vorab und un­ab­hän­gig von der Be­dürf­tig­keit des Auf­trag­ge­bers an­ge­bo­ten wor­den sei.

Das RVG sehe keine be­stimm­te Ge­bühr für eine Erst­be­ra­tung vor. Die Ver­gü­tung einer Be­ra­tung in au­ßer­ge­richt­li­chen An­ge­le­gen­hei­ten sei in § 34 I RVG ge­re­gelt. Für einen münd­li­chen oder schrift­li­chen Rat oder eine Aus­kunft, die nicht mit einer an­de­ren ge­büh­ren­pflich­ti­gen Tä­tig­keit zu­sam­men­hän­ge, solle der Rechts­an­walt auf eine Ge­büh­ren­ver­ein­ba­rung hin­wir­ken, so­weit im Ver­gü­tungs­ver­zeich­nis keine Ge­büh­ren be­stimmt seien. Wenn keine Ver­ein­ba­rung ge­trof­fen wor­den sei, er­hal­te der Rechts­an­walt Ge­büh­ren nach den Vor­schrif­ten des bür­ger­li­chen Rechts, also idR nach § 612 II BGB. Sei der Auf­trag­ge­ber Ver­brau­cher, be­tra­ge die Ge­bühr für ein ers­tes Be­ra­tungs­ge­spräch höchs­tens 190 Euro. Schrei­be das Rechts­an­walts­ver­gü­tungs­ge­setz keine be­stimm­te Ge­bühr für eine Erst­be­ra­tung vor, gebe es keine Min­dest­ge­bühr, die unter Ver­stoß gegen § 49b I 1 BRAO un­ter­schrit­ten wer­den könn­te. Dies gelte auch hin­sicht­lich der nach § 34 I 2 RVG, § 612 II BGB bei Feh­len einer Ver­ein­ba­rung ma­ß­geb­li­chen „üb­li­chen“ Ver­gü­tung. In der Recht­spre­chung der An­walts­ge­richts­hö­fe, der Zi­vil­ge­rich­te in Wett­be­werbs­sa­chen und in der über­wie­gen­den Kom­men­tar- und Auf­satz­li­te­ra­tur werde eine kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tung daher für zu­läs­sig ge­hal­ten.

Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten werde die Vor­schrift des § 34 I 1 RVG nicht durch die § 4 I RVG ent­hal­te­nen Re­ge­lun­gen da­hin­ge­hend mo­di­fi­ziert, dass die ver­ein­bar­te Ver­gü­tung in einem an­ge­mes­se­nen Ver­hält­nis zu Leis­tung, Ver­ant­wor­tung und Haf­tungs­ri­si­ko der an­walt­li­chen Leis­tung ste­hen müsse.

Die Vor­schrift des § 4 I 2 RVG sei auf eine Ge­büh­ren­ver­ein­ba­rung nach § 34 I 1 RVG nicht an­wend­bar. Dies folge schon aus dem Wort­laut der Vor­schrift und ihrer Stel­lung im Ge­setz. § 4 I 2 RVG schlie­ße an § 4 I 1 RVG an. Er setz­te also eine ge­setz­lich vor­ge­schrie­be­ne Ver­gü­tung vor­aus. Für eine Ver­gü­tung, die nicht ge­setz­lich vor­ge­schrie­ben sei, gelte § 4 I 2 RVG also nicht. Eine Äqui­va­lenz­kon­trol­le finde im An­wen­dungs­be­reich des § 34 RVG nicht statt.

Die Bin­dung einer Ver­ein­ba­rung nach § 34 RVG an den Maß­stab des § 4 I 2 RVG stün­de zudem im Wi­der­spruch zu den in § 34 I 3 RVG bin­dend vor­ge­schrie­be­nen Höchst­ge­büh­ren, die un­ab­hän­gig von der wirt­schaft­li­chen Be­deu­tung und dem Um­fang der Sache gel­ten wür­den. Sie wi­der­sprä­che auch dem in der amt­li­chen Be­grün­dung zu § 34 RVG-E zum Aus­druck ge­kom­me­nen Wil­len des Ge­setz­ge­bers.

Ent­ge­gen der An­sicht der Be­klag­ten folge das ge­gen­tei­li­ge Er­geb­nis, die grund­sätz­li­che An­wend­bar­keit der §§ 3a ff. RVG auf Ver­ein­ba­run­gen nach § 34 RVG, schlie­ß­lich nicht aus § 3a I 4 RVG. Diese Vor­schrift stel­le klar, dass die Form­vor­schrif­ten § 3a I 1 und 2 RVG nicht für eine Ge­büh­ren­ver­ein­ba­rung nach § 34 RVG gel­ten. Dar­aus folge je­doch nicht, dass die üb­ri­gen Be­stim­mun­gen der §§ 3a ff. RVG auch dann an­wend­bar sind, wenn ihr Wort­laut ent­ge­gen­ste­he.

Nach § 4 I 3 RVG könne der Rechts­an­walt ganz auf eine Ver­gü­tung ver­zich­ten, wenn die Vor­aus­set­zun­gen für die Be­wil­li­gung von Be­ra­tungs­hil­fe vor­lie­gen. Die Be­klag­te wolle die­ser Vor­schrift ent­neh­men, dass ein Ver­zicht in an­de­ren als den ge­nann­ten Fäl­len nicht zu­läs­sig sei. Daran sei rich­tig, dass § 4 I 3 RVG über­flüs­sig sei, so­weit es um die Ver­gü­tung au­ßer­ge­richt­li­cher Be­ra­tun­gen im Sinne von § 34 I 1 RVG gehe. Eine ei­gen­stän­di­ge Re­ge­lung ent­hält sie nur im Hin­blick auf die au­ßer­ge­richt­li­che Ver­tre­tung des be­dürf­ti­gen Man­dan­ten. Ge­ra­de für die­sen Fall der au­ßer­ge­richt­li­chen Ver­tre­tung Be­dürf­ti­ger sei die Vor­schrift je­doch ge­schaf­fen wor­den.

Pra­xis­tipp

Die Ent­schei­dung des BGH ist dog­ma­tisch sau­ber und zwin­gend ent­schie­den. Das Er­geb­nis ist je­doch für die An­walt­schaft höchst pro­ble­ma­tisch. Kos­ten­lo­se Erst­be­ra­tun­gen nach Ver­kehrs­un­fäl­len, also in einem eher ein­fa­chen und gän­gi­gen Rechts­ge­biet, sind mit zu­mut­ba­rem an­walt­li­chen Auf­wand noch zu leis­ten. Was aber ist mit Erst­be­ra­tun­gen in kom­pli­zier­te­ren und kom­ple­xe­ren Rechts­ge­bie­ten wie zB Arzt­haft­pflicht­recht, Wett­be­werbs­recht oder Ver­wal­tungs­recht. So­li­de an­walt­li­che Leis­tung lässt sich nur er­brin­gen, wenn die Tä­tig­keit auch ver­gü­tet wird. Es bleibt frag­lich, ob der Ge­setz­ge­ber diese Kon­se­quenz ua bei der Ein­füh­rung der Zu­läs­sig­keit der pro bono-Tä­tig­keit in § 4 I 3 RVG be­dacht hat.

Redaktion beck-aktuell, 11. August 2017.

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