LSG Niedersachsen-Bremen: Der Ausschluss der Scans von der Dokumentenpauschale ist nicht verfassungswidrig

VV 7000 RVG; GG Art. 20 a

VV 7000 RVG in der Fassung des 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes ist nicht verfassungswidrig, insbesondere ist kein Verstoß gegen Art. 20 a GG ersichtlich. Die Befürchtung, dass die mit d 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz eingeführte Neuregelung „im Zweifel den Tod vieler Bäume zur Folge habe", weil man nur die einscannten Dokumente nachher ausdrucken muss, um eine Erstattungsfähigkeit herbeizuführen, überzeugt nicht. Soweit der Gesetzgeber nur Kopien, also die Reproduktion einer Vorlage auf ein körperlichen Gegenstand, beispielsweise Papier, Karton oder Folie, als erstattungsfähig im Sinne des Kostenrechts ansieht, hält er sich im Rahmen seines weit gefassten Gestaltungsspielraums. (Leitsatz der Schriftleitung)

LSG Niedersachsen-Bren, Beschluss vom 08.05.2017 - L 7 AS 5/16 B, BeckRS 2017, 110935

Anmerkung von
Rechtsanwalt Dr. Hans-Jochem Mayer, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Bühl

Aus beck-fachdienst Vergütungs- und Kostenrecht 11/2017 vom 07.06.2017

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Sachverhalt

Der Beschwerdeführer wurde mit Beschlüssen des Sozialgerichts in drei später verbundenen Klageverfahren jeweils d dortigen Kläger als Prozessbevollmächtigter ab Antragstellung, d 29.4.2014, beigeordnet.

Das Verfahren endete in der mündlichen Verhandlung durch Vergleich. In der Folge beantragte der Beschwerdeführer die Erstattung der Gebühren des beigeordneten Rechtsanwalts für seine Tätigkeit im Klageverfahren und machte dabei ua eine Dokumentenpauschale (VV 7000 Nr. 1 a RVG) für 84 digital gescannte Seiten aus Behörden- und Gerichtsakten iHv 30,10 EUR netto geltend. Mit Beschluss vom 18.11.2015 setzte die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle die d Beschwerdeführer aus der Staatskasse zu gewährende Vergütung auf 1.808,44 Euro fest. Dabei setzte sie die vom Beschwerdeführer geltend gachten Gebühren antragsgäß fest mit Ausnahme der Dokumentenpauschale iHv 30,10 EUR netto. Zur Begründung führte sie ua aus, dass das Einscannen keinen Ersatzanspruch begründe. Hiergegen legte der Beschwerdeführer 2015 Erinnerung ein. Das Sozialgericht wies mit Beschluss vom 13.1.2016 die Erinnerung zurück und lies die Beschwerde wegen grundsätzlicher Bedeutung zu. Gegen den am 20.1.2016 gestellten Beschluss legte der Beschwerdeführer Beschwerde ein und regte an, das Verfahren nach Art. 100 GG d Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung der Frage vorzulegen, ob VV 7000 RVG nF mit Art. 20 a GG zu vereinbaren sei. Die Auffassung des Gesetzgebers führe im Umkehrschluss dazu, dass die eingescannten Dokumente nachträglich ausgedruckt werden müssten, um nach d Gesetzeswortlaut eine Erstattungsfähigkeit herbeizuführen. Wäre dies tatsächlich die Intention des Gesetzgebers, habe er umweltrechtliche Bedenken völlig unberücksichtigt gelassen. Die mit d 2. KostRMoG eingeführte Neuregelung werde im Zweifel den Tod vieler Bäume zur Folge haben. Dies sei mit Art. 20 a GG nicht zu vereinbaren. Das Sozialgericht half der Beschwerde nicht ab, die Beschwerde hatte vor d LSG Niedersachsen-Bren keinen Erfolg.

Rechtliche Wertung

Die Voraussetzungen von VV 7000 RVG seien vorliegend nicht erfüllt. Der Beschwerdeführer habe von der Verwaltungsakte keine Fotokopien g. VV 7000 Nr. 1 RVG gefertigt, sondern Teile davon eingescannt. Ein Ausdruck sei nicht erfolgt. Das Einscannen selbst begründe keinen Ersatzanspruch nach VV 7000 RVG. Bis zum Inkrafttreten des 2. KostRMoG habe die Herstellung und Überlassung u.a. von Ablichtungen für einen Ersatzanspruch genügt. Überwiegend sei in Rspr. und Lit. nur vertreten worden, dass durch Einscannen eine Ablichtung iSv VV 7000 RVG aF entstanden war, die zu ein Ersatzanspruch nach VV 7000 Nr. 1 RVG aF habe führen können. Dies habe der Gesetzgeber aber zum Anlass einer Neuregelung der VV 7000 RVG genommen, sodass der bisher vertretenen Auffassung der Boden entzogen worden sei. Mit der Verwendung des Begriffes „Kopie" anstelle von „Ablichtung" habe gerade erreicht werden sollen, dass das Einscannen nicht erfasst ist. Aus der Gesetzesbegründung ergebe sich eindeutig, dass das Einscannen nicht erfasst ist. Eine Kopie im Sinne des anwaltlichen Vergütungsrechts nach VV 7000 RVG sei insoweit nur die Reproduktion einer Vorlage auf ein körperlichen Gegenstand, beispielsweise auf Papier, Karton oder Folie. Eine Berücksichtigung von bloßen Scans scheide aus.

Die unterschiedliche Erstattung von Kopien in Papierform und Ablichtungen in elektronischer Form führten auch nicht zu einer ungleichen Behandlung identischer Sachverhalte. Sie beachte vielmehr die unterschiedlichen Arbeitsschritte und Kosten. Die besonders zeitintensive Sichtung der Akten auf den zu kopierenden Inhalt entfalle bei ein Aktenscan ebenso wie Kosten, die der Rechtsanwalt beim Kopieren ua für Papier, Toner, Aktenordner und Lagerraum aufwenden müsste.

Auch bestehe im Übrigen kein Raum für eine analoge Anwendung von VV 7000 Nr. 1 a RVG, weil aufgrund der eindeutigen Gesetzesbegründung keine planwidrige Regelungslücke gegeben sei.

Des Weiteren sei VV 7000 RVG in der Fassung des 2. KostRMoG nach Auffassung des Senats nicht verfassungswidrig, insbesondere ist kein Verstoß gegen Art. 20 a GG ersichtlich. Subjektive Rechte ergäben sich nicht aus Art. 20 a GG. Als Staatszielbestimmung gebe Art. 20 a GG den Staatsorganen zwar ein grundlegendes Ziel vor, das anzustreben sie verfassungsrechtlich verpflichtet seien. Die Wahl der Mittel zur Zielverwirklichung stehe ihnen frei, und auch die Konkretisierung des unbestimmt formulierten Ziels sei ihnen überlassen. Daraus ergebe sich ein weiter Gestaltungsspielraum für den Gesetzgeber, im Rahmen dessen die Verwirklichung des Staatsziels nicht justitiabel sei.

Soweit der Gesetzgeber grundsätzlich nur Kopien, also die Reproduktion einer Vorlage auf ein körperlichen Gegenstand, beispielsweise Papier, Karton oder Folie, als erstattungsfähig iSd Kostenrechts ansehe, halte sich der Gesetzgeber damit im Rahmen seines weit gefassten Gestaltungsspielraums.

Praxistipp

Der Ausschluss von Scans von der Dokumentenpauschale VV 7000 RVG ist unbefriedigend und sachlich nicht gerechtfertigt. Denn der Personalaufwand beim Scannen und Kopieren ist nahezu identisch. Außerd erfordert ein Einscannen im größeren Umfang eine technisch aufwendigere Büroausstattung als für die bloße Anfertigung von Fotokopien. Es ist daher zu hoffen, dass der Gesetzgeber zumindest de lege ferenda eine Korrektur vornehmen wird.

Redaktion beck-aktuell, 7. Juni 2017.