AG Hamburg-Blankenese: Bindungswirkung eines präzise ausformulierten Tagesordnungspunkts

WEG §§ 22 I, 46

1. Ein ganz präziser Antrag ohne übergeordneten Tagesordnungspunkt engt die Beschlussmöglichkeiten ein.

2. Grundsätzlich ist es nicht erforderlich, vorformulierte Beschlussanträge in die Tagesordnung der Ladung aufzunehmen. Selbst wenn dies erfolgt, bleibt es den Wohnungseigentümern unbenommen, von einem solchen Beschlussantrag nach ihrem Ermessen abzuweichen. Sie dürfen nur nicht von dem Gegenstand des angekündigten Beschlusses abweichen.

AG Hamburg-Blankenese, Beschluss vom 29.01.2020 - 539 C 14/19, BeckRS 2020, 6408

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München und Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 09/2020 vom 07.05.2020

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Sachverhalt

Die Parteien bilden eine Wohnungseigentümergemeinschaft in Hamburg, die von der S-GmbH verwaltet wird. Die Verwalterin lud am 12.03.2019 zur Versammlung auf den 29.04.2019, um 18:00 Uhr ein.

Als TOP 9 waren angekündigt

a) Diskussion und ggf, Beschlussfassung über die Reaktivierung der Sandkiste oder Ersatz der alten durch eine neue hinter dem Haus 57

b) Findung der Interessenlage über die Entfernung der Sandkisten hinter den Häusern 53,61,65,69. …

c) Erweiterung der Spielfläche mit Sandkiste hinter dem Haus 67 für einen zentralen Treffpunkt in der Anlage. …

Zu TOP 9a wurde folgender im Tenor genannter Beschluss gefasst:

„Die Wohnungseigentümergemeinschaft beschließt die Firma H für die Instandsetzung/Reaktivierung der Sandkiste im Bereich des Hauses 65 zu beauftragen. Die Kosten belaufen sich auf € 2.909,55. Die Finanzierung erfolgt aus der Instandhaltungsrücklage“

Die Tagesordnungspunkte 9b und 9c entfielen.

In der Klagebegründung moniert die Klägerin unter anderem:

Unangekündigt sei zum TOP 9a, der nur die Sandkiste hinter dem Haus 57 betraf, plötzlich und für die Klägerin überraschend die Reaktivierung der Sandkiste im Bereich des Hauses 65 beschlossen worden.

Die Beschlussfassung sei nicht ansatzweise angekündigt worden. Eine Reaktivierung der Sandkiste sei lediglich bei Haus 57 angedacht gewesen und hätte zur Abstimmung gestellt werden können. Auch inhaltlich sei der Beschluss zu beanstanden, da bereits 1986 beschlossen worden sei, sämtliche Sandkisten nicht weiter als solche zu nutzen, sondern zu bepflanzen.

Aus Sicht der Klägerin als direkt Betroffener hätte ein solcher Beschluss - wäre er richtig angekündigt worden - nur einstimmig getroffen werden können.

Die Beklagten meinen, der angegriffene Beschluss sei nicht bereits aus formalen Gründen für ungültig zu erklären. Aus der Einladung zu TOP 9 ergäbe sich, dass grundsätzlich über die Aktivierung von Sandkisten oder einen Ersatz verhandelt werden sollte. Die Themen seien hinreichend kommuniziert worden und jeder Eigentümer sei hinreichend „vorgewarnt“ worden, dass hier Beschlüsse gefasst werden sollten.

Entscheidung

Die zulässige Klage ist begründet.

Die Klägerin habe zu Recht einen Ankündigungsmangel gerügt. Unter TOP 9 sei nicht allgemein über die Reaktivierung bzw. Umwidmung aller Sandkisten eine Diskussion und ggf. Beschlussfassung angekündigt worden, sondern TOP 9a betreffe lediglich die Sandkiste hinter Haus 57. Wie die Gemeinschaft auf die Idee kommen könne, unter diesem Tagesordnungspunkt über eine Sandkiste hinter dem Haus 65 zu beschließen, sei nicht nachvollziehbar. Ein Wohnungseigentümer des Hauses 65 hätte bei diesem Tagesordnungspunkt entweder zu Hause bleiben oder während der Versammlung den Saal verlassen können, ohne befürchten zu müssen, dass ein Beschluss über die Sandkiste hinter seinem Haus gefasst werden könnte.

Unter TOP 9b sei kein Beschluss gefasst worden. Zwar sei in der Beschlussankündigung das Haus 65 erwähnt, aber nur im Zusammenhang mit der Entfernung von Sandkisten. Auch hier hätte der angesprochene Wohnungseigentümer aus Haus 65 der Abstimmung fernbleiben können.

Zu TOP 9c werde lediglich die Sandkiste hinter dem Haus 67 erwähnt, hier gelte das zu TOP 9a Gesagte entsprechend.

Die Rechtsauffassung der Beklagten, dass die Tagesordnung zu TOP 9 „grundsätzlich über die Aktivierung von Sandkisten oder ein Ersatz“ Diskussion und Beschlussfassung angekündigt habe, werde nicht geteilt. Gerade durch die detaillierte Aufschlüsselung hinsichtlich der einzelnen Sandkisten hinter bestimmten Häusern, sei von vorneherein der Gegenstand der möglichen Beschlussfassung eingegrenzt gewesen. Genau diese Grenzen habe die Gemeinschaft bei ihrer Beschlussfassung nicht eingehalten. Ebenfalls sei nicht nachvollziehbar, wieso die Klägerin „vorgewarnt“ gewesen sein sollte. Das Gegenteil sei der Fall. Durch die Tagesordnung sei die Klägerin viel mehr in Sicherheit gewiegt worden, was eine mögliche Reaktivierung der Sandkiste hinter Haus 65 (das sie bewohne) betrifft.

Vor diesem Hintergrund könne dahingestellt bleiben, ob die Reaktivierung einer Sandkiste eine bauliche Veränderung im Sinne des § 22 Abs. 1 WEG darstelle oder die erneute Herstellung des teilungserklärungsgemäßen Zustandes.

Praxishinweis

Dem Urteil ist zuzustimmen.

Es ist grundsätzlich nicht erforderlich, präzise vorformulierte Beschlussanträge in die Ladung aufzunehmen (BayObLG, Beschluss vom 23.04.1998 - 2Z BR 41–98, NZM 1999, 175); § 124 Abs. 3 Satz 1 AktG ist insoweit nicht analog anzuwenden (Hügel/Elzer, WEG, 2. Auflage 2018, § 23 WEG Rn 48). Geschieht dies dennoch, ist es nur unschädlich, solange nicht vom Gegenstand des angekündigten Beschlusses abgewichen wird (LG München I, Urteil vom 30.11.2009 - 1 S 23229/08, ZWE 2010, 138; LG Düsseldorf, Urteil vom 14.03.2013 – 19 S 88/12, NJW-RR 2013, 148).

Dies ist jedoch vorliegend geschehen. Durch die präzise Vorformulierung des Beschlussantrages in der Ladung hatten die Wohnungseigentümer keinen Spielraum, etwas Abweichendes zu beschließen, da der Beschlussgegenstand hierauf begrenzt war.

Redaktion beck-aktuell, 7. Mai 2020.