OLG Frankfurt a.M.: Kein Amtshaftungsanspruch des Mieters aufgrund einer unwirksamen Mietbegrenzungsverordnung

BGB §§ 556d, 839; GG Art. 34

1. Der Erlass einer unwirksamen Mietpreisbegrenzungsverordnung ist keine Verletzung einer drittgerichteten Amtspflicht i.S.v. § 839 BGB.

2. Eine Staatshaftung besteht auch nicht unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes.

OLG Frankfurt a.M., Urteil vom 13.02.2020 - 1 U 60/19, BeckRS 2020, 1848

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München und Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 05/2020 vom 12.03.2020

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Sachverhalt

Die Klägerin verlangt aus abgetretenem Recht Schadensersatz von dem beklagten Land wegen der Unwirksamkeit der von der Landesregierung am 17.11.2015 erlassenen Mietpreisbegrenzungsverordnung.

Die Zedenten haben beginnend am 15.2.2017 eine 67 m² große Wohnung angemietet, die sich in einem Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt i.S.v. § 556d Abs. 2 BGB befindet. Die vereinbarte Kaltmiete beträgt 11,50 EUR/m²; ortsüblich waren 7,45 EUR/m².

Die Klägerin hat aus abgetretenem Recht Rückforderungen der Zedenten gegen die Vermieterin vor dem Amtsgericht gerichtlich geltend gemacht. In einer Parallelsache entschied das Landgericht als Berufungsgericht, dass die Mietpreisbegrenzungsverordnung unwirksam sei. Daraufhin hat die Klägerin dem beklagten Land den Streit verkündet; das Amtsgericht hat die Klage wegen Nichtigkeit der Verordnung abgewiesen.

Mit der vorliegenden Teilklage macht die Klägerin gegen das beklagte Land aus abgetretenem Recht der Zedenten als Schaden geltend, dass ihnen bei Wirksamkeit der Verordnung ein Rückzahlungsanspruch gegen die Vermieterin i.H.v. 221,43 EUR für die im August 2017 gezahlte Miete zugestanden hätte.

Die Klägerin hält die Voraussetzungen eines Amtshaftungsanspruchs gemäß § 839 BGB für gegeben. Die Verordnung sei unwirksam, weil die vorgeschriebene Begründung fehle, jedenfalls nicht mitveröffentlicht worden sei. Der Erlass der fehlerhaften Verordnung verletze eine dem beklagten Land gegenüber den Zedenten obliegende Amtspflicht. Das beklagte Land sei verpflichtet gewesen, von der Verordnungsermächtigung Gebrauch zu machen, weil anders der Zweck des § 556d Abs. 2 BGB nicht erreicht werden könne und weil sich aus der sozialpolitischen Zielrichtung des Gesetzes ein individueller Anspruch der Mieter auf Erlass einer Rechtsverordnung ergebe. Ergänzend beruft sich die Klägerin auf einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff.

Das beklagte Land bezweifelt die Aktivlegitimation der Klägerin und ist der Ansicht, dass ein Amtshaftungsanspruch nicht bestehe, insbesondere, weil es keine drittbezogene Amtspflicht verletzt habe. Es fehle auch an dem für einen Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff erforderlichen Eingriff in eine Eigentumsposition der Zedenten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung einer Amtspflicht bestehe nicht, weil bei der Gesetzgebung nur Aufgaben der Allgemeinheit wahrgenommen würden. Die weitergehende Ansicht, dass es für die Amtshaftung nur auf die Beeinträchtigung subjektiv öffentlicher Rechte des Bürgers ankomme, habe der Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Bei dem Erlass von Rechtsverordnungen bzw. für das Untätigbleiben des Verordnungsgebers gelte nichts anderes. Ein Maßnahme- oder Einzelfallgesetz, bei dem eine Haftung wegen Amtspflichtverletzung in Betracht komme, liege nicht vor, denn die Mietpreisbegrenzungsverordnung richte sich nicht lediglich an einen beschränkten Kreis von Normadressaten. Die bei dem Erlass der Mietpreisbegrenzungsverordnung verletzte Begründungspflicht diene auch nur dem Schutz der Eigentümer. Ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff bestehe nicht, weil die Klägerin einen Entschädigungsanspruch für Verlust oder Beeinträchtigung des Eigentums nicht geltend mache. Eine andere Beurteilung sei auch nicht wegen unionsrechtlicher Staatshaftungsgrundsätze möglich, da es nicht um die Umsetzung von Unionsrecht gehe und eine richterliche Rechtsfortbildung der innerstaatlichen Amtshaftung in diese Richtung unzulässig sei.

Hiergegen richtet sich die vom Landgericht zugelassene Berufung der Klägerin.

Entscheidung

Die Berufung ist nicht begründet.

Das Landgericht habe seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, dass nach st. Rspr. des BGH wegen Nachteilen, die Bürgern durch die Gesetzgebung entstehen, regelmäßig keine Amtshaftungsansprüche bestehen. Denn die gesetzgebenden Staatsorgane nehmen regelmäßig ausschließlich Aufgaben der Allgemeinheit wahr. Diese Aufgaben seien nicht auf bestimmte Personen oder Personenkreise gerichtet, so dass die Drittgerichtetheit als Tatbestandsmerkmal des § 839 BGB, also die besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten fehle.

Nur der unmittelbar durch eine Rechtsgutsverletzung Betroffene solle Ersatzansprüche haben. Diese Beschränkung finde in § 839 BGB ihre Entsprechung im Drittbezug der Amtspflicht und stehe deshalb der Ausdehnung der Haftung auf Nachteile, die durch legislative Akte entstehen, entgegen

Zudem regele die Mietpreisbegrenzungsverordnung keinen Einzelfall und betreffe auch nicht wie etwa ein Bebauungsplan nur eine überschaubare Gruppe von Grundstückseigentümern, sondern verbietet in den größten Kommunen Hessens eine Nachvermietungsmiete, die die ortsübliche Miete um mehr als 10% übersteige. Diese Regelung belaste nicht einzelne, durch die Verordnung identifizierbare Eigentümer und Vermieter und begünstige nicht einzelne identifizierbare Mieter, sondern richte sich an alle Mieter und Vermieter, deren Mietwohnungen in den fraglichen Gebieten belegen sind und bei denen es zu einer Nachvermietung kommt. Es handle sich daher um eine abstrakt-generelle Regelung, die mit einem „Verwaltungsakt in Gesetzesform“, also einer Einzelfallregelung, nicht vergleichbar sei.

Der hessische Verordnungsgeber habe mit dem Erlass der nachträglich als unwirksam erkannten Mietpreisbegrenzungsverordnung auch nicht in eine grundrechtlich geschützte Position der Zedenten eingegriffen, was aber Voraussetzung für die Annahme einer Haftung nach der von der Klägerin befürworteten Ansicht wäre. § 556d BGB in Verbindung mit einer ein Gebiet mit angespanntem Wohnungsmarkt festlegenden Rechtsverordnung berühre vor allem das Eigentumsrecht der Vermieter, die bei der Gestaltung der Miethöhe in Nachvermietungsfällen die Miethöhe nicht frei vereinbaren können. Diese Beschränkung des Eigentums solle eine sozialpolitische Absicht verwirklichen, nämlich der Verdrängung einkommensschwächerer Mieter aus begehrten städtischen Wohnlagen entgegenwirken. Diesem Schutzzweck entspreche aber keine grundrechtlich geschützte Position von Mietern. Es gebe kein Grundrecht auf Anmietung einer Wohnung zu einem das ortsübliche Niveau nicht oder nur wenig überschreitenden Preis.

Amtshaftungsansprüche der Zedenten bestehen auch nicht unter dem Gesichtspunkt eines vermeintlichen Anspruchs auf Erlass einer wirksamen Mietpreisbegrenzungsverordnung noch wegen berechtigten, aber enttäuschten Vertrauens auf die Wirksamkeit dieser Verordnung.

Ein Anspruch der Zedenten auf Erlass einer wirksamen Mietpreisbegrenzungsverordnung bestehe nicht, so dass offenbleiben könne, ob unter diesem Gesichtspunkt überhaupt eine Amtshaftung für Rechtsetzungsakte bestünde. § 556d BGB und die darauf beruhenden Rechtsverordnungen verfolgen ein sozialpolitisches Ziel. Sozialstaatliche Zielsetzungen verdichten sich - mit Ausnahme des Schutzes des Existenzminimums - regelmäßig nicht zu staatlichen Handlungspflichten gegenüber Einzelnen oder Gruppen. Mangels einer solchen individuellen Rechtsposition komme es hier nicht darauf an, ob die durch § 556d BGB ermächtigten Landesregierungen staatsrechtlich verpflichtet seien, Mietpreisbegrenzungsverordnungen zu erlassen, wenn die tatsächlichen Verhältnisse eines angespannten Wohnungsmarkts vorliegen.

Das beklagte Land hafte für den bei der Verordnungsgebung vorgekommenen Fehler den Zedenten auch nicht wegen enttäuschten Vertrauens auf die Gültigkeit der Mietpreisbegrenzungsverordnung.

Hierfür müsse zunächst objektiv gerechtfertigt gewesen sein, auf den Bestand der Regelung zu vertrauen. Dafür sei maßgeblich, inwieweit objektiv vorhersehbar gewesen ist, dass eine Regelung keinen Bestand haben würde. Es sei schon zweifelhaft, ob es überhaupt ein objektiv gerechtfertigtes Vertrauen in die Gültigkeit einer Rechtsverordnung geben könne. Denn anders als formelle Parlamentsgesetze gebe es bei Rechtsverordnungen kein verfassungsgerichtliches Verwerfungsmonopol (Art. 100 GG). Im Unterschied zu Verwaltungsakten, die trotz etwaiger Fehler bei ihrem Erlass regelmäßig zunächst als wirksam zu behandeln seien, sei eine unter Verletzung von höherrangigen Rechtsnormen erlassene Rechtsverordnung ohne weiteres nichtig und unwirksam. Demgemäß sei jedem Gericht die Prüfung übertragen, ob eine Rechtsverordnung rechtsgültig erlassen sei; sei das nicht der Fall, sei die Verordnung nicht anzuwenden.

Insbesondere bei der hier zu beurteilenden Mietpreisbegrenzungsverordnung haben aber auch schon frühzeitig Umstände vorgelegen, die an der Gültigkeit der Verordnung zweifeln lassen konnten. Denn § 556d Abs. 2 S. 5 - 7 BGB verlange explizit, dass die Verordnung in qualifizierter Weise begründet werden muss. Eine solche Begründung habe der hessische Verordnungsgeber aber der Verordnung nicht beigefügt, so dass von Beginn an objektiv Zweifel an der Wirksamkeit der Verordnung berechtigt gewesen seien, mag sich das Veröffentlichungserfordernis auch nicht wörtlich aus dem Gesetz ergeben. Überdies handle es sich bei der Mietpreisbegrenzungsverordnung insgesamt um rechtliches Neuland. Es liege in der Natur einer solchen Neuregelung, dass eine gerichtliche Überprüfung erst nach und nach erfolge. Ein geschütztes Vertrauen in die Beständigkeit einer solchen Regelung trotz bereits Ende 2016 anhängiger gerichtlicher Auseinandersetzungen, in denen auch die Gültigkeit solcher Mietpreisbegrenzungsverordnungen bezweifelt worden sei, könne daher nicht angenommen werden.

Die Revision wurde zugelassen.

Praxishinweis

Bereits das LG München I (Endurteil vom 21.11.2018 – 15 O 19893/17, BeckRS 2018, 29534) hatte mit der gleichen Argumentation bzgl. der ebenfalls unwirksamen Bayerischen Mieterschutzverordnung entschieden, dass der Staat grundsätzlich nicht für den Erlass eines unwirksamen Gesetzes in Anspruch genommen werden kann und somit Mieter wegen der unwirksamen Mietpreisbremse keinen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Freistaat Bayern haben. Dieser Rechtstreit ist noch nicht rechtskräftig (Berufung: OLG München - 1 U 4582/18).

Die vorliegende Entscheidung steht im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH, wonach wegen Nachteilen, die Bürgern durch die Gesetzgebung entstehen, regelmäßig keine Amtshaftungsansprüche bestehen. Denn die gesetzgebenden Staatsorgane nehmen regelmäßig ausschließlich Aufgaben der Allgemeinheit wahr. Diese Aufgaben sind nicht auf bestimmte Personen oder Personenkreise gerichtet, so dass die Drittgerichtetheit als Tatbestandsmerkmal des § 839 BGB, also die besondere Beziehung zwischen der verletzten Amtspflicht und dem geschädigten Dritten fehlt (st. Rspr. z.B BGH, Urteil vom 08.11.1996 - V ZR 7/96, NJW 1997, 457). Dies gilt ebenso, wenn dem Gesetzgeber vorgeworfen wird, eine bestimmte gebotene Regelung nicht erlassen zu haben (BGH, Urteil vom 24.10.1996 - III ZR 127/91, NJW 1997, 123), nicht nur bezüglich formeller Gesetze, sondern auch für Rechtsverordnungen und Satzungen (BGH, Urteil vom 10.12.1987 - III ZR 220/86, NJW 1988, 478).

Redaktion beck-aktuell, 12. März 2020.