VG München: Zweckentfremdung von Wohnraum durch sog. «Medizintourismus»

ZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 3, Art. 4 S: 1; LStVG Art. 9

1. Wer seine Wohnung wiederholt an wechselnde Personen, die sich dort nur vorübergehend zum Zwecke einer medizinischen Behandlung aufhalten, überlässt, verfolgt das Nutzungskonzept einer Fremdenbeherbergung.

2. Die Nutzung durch Medizintouristen zeichnet sich durch übergangsweises vorübergehendes Wohnen aus mit der Folge, dass die Wohnung nicht mehr die Funktion einer "Heimstadt im Alltag" hat.

VG München, Urteil vom 08.01.2020 - M 9 K 18.6032, BeckRS 2020, 336

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München und Frankfurt a.M.

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 04/2020 vom 27.02.2020

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Sachverhalt

Der Kläger wendet sich gegen die zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsuntersagung und Verpflichtung, die verfahrensgegenständliche Wohnung wieder Wohnzwecken zuzuführen.

Der Kläger ist Miteigentümer einer 2012 gebauten 3-Zimmer-Wohnung, die er nicht selbst bewohnt, sondern vermietet. Ortseinsichten durch Mitarbeiter der Beklagten wurden am 05.07.2018, 23.08.2018, 03.09.2018, 25.09.2018, 05.11.2018, 06.2018, 07.11.2018 und 08.11.2018 durchgeführt. In der Wohnung hielten sich am 05.07.2018 4 Personen aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit Kurzzeitvisa zur medizinischen Behandlung auf.

Am 23.08.2018 wurde ein Herr aus Kuwait angetroffen, der mitteilte, dass die Wohnung von insgesamt 4 Personen bewohnt werde und es die Wohnung der Familie seines Neffen sei. Er zahle keine Miete. Aufenthaltsgrund seien geschäftliche Zwecke und medizinische Behandlung. Am 25.09.2018 wurden zwei Staatsangehörige des Oman in der Wohnung angetroffen, die ausweislich der Fotos der Visa zur medizinischen Behandlung in München waren. Sie teilten mit, die Miete betrage 7.000 EUR/Monat und werde in bar an eine Frau namens "D." bezahlt, von der sie auch die Wohnung bekommen hätten. Am 08.11.2018 befanden sich nach Angaben der angetroffenen Frau A. 4 Personen in der Wohnung, die zur medizinischen Behandlung in München waren und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten stammten.

Nach Anhörung des Klägers untersagte die Beklagte diesem mit Bescheid vom 19.11.2018 die Nutzung der Wohnung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung (Nr. 1) und gab ihm auf, den Wohnraum unverzüglich nach Beendigung der Nutzung für Zwecke der Fremdenbeherbergung wieder Wohnzwecken zuzuführen (Nr. 2). Sofern der Kläger der Anordnung in Nr. 1 des Bescheides nicht innerhalb von 6 Wochen und der Anordnung in Nr. 2 des Bescheides nicht innerhalb von 3 Monaten ab Zustellung Folge leiste, werde jeweils ein Zwangsgeld in Höhe von 7.500 EUR angedroht (Nrn. 3 und 4).

Die Wohnung werde nach dem Nutzungskonzept des Klägers seit mindestens Juli 2018 vorübergehend an Medizintouristen und damit für Zwecke der Fremdenbeherbergung genutzt. Dies erfülle den Tatbestand einer Ordnungswidrigkeit (Art. 4 ZwEWG i.V.m. § 14 ZeS) und werde nach Art. 3 Abs. 2 ZwEWG hiermit unterbunden. Der Kläger und gegebenenfalls sein Miteigentümer vermieteten direkt an die Kurzzeitnutzer und seien damit Handlungsstörer im Sinne des Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG. Der von den Bewohnern angegebenen Namen "D." sei vermutlich Vermittler bzw. Erfüllungsgehilfe. Die Zweckentfremdung sei nicht genehmigt und nicht genehmigungsfähig, da kein überwiegendes schutzwürdiges privates Interesse vorläge.

Am 12.12.2018 erhob der Kläger Klage und beantragte, den Bescheid der Beklagten vom 19.11.2018 aufzuheben.

Der Kläger meint, er habe den Wohnraum nicht zur Fremdenbeherbergung genutzt. Es fehle an einer Gewinnerzielungsabsicht als Voraussetzung für eine genehmigungsbedürftige Zweckentfremdung als gewerbliche Nutzung. Der Kläger habe den Wohnraum unentgeltlich Verwandten überlassen. Bei der Ortsermittlung am 05.07.2018 sei eine weitläufige Verwandte des Klägers angetroffen worden, deren Bruder mit einer Cousine des Klägers verheiratet sei. Am 23.08.2018 habe sich in der Wohnung bei der Ortseinsicht ein Onkel des Klägers befunden. Bei der Ortsermittlung am 25.09.2018 seien Verwandte des Klägers mütterlicherseits in der Wohnung gewesen. Eine Frau mit dem Vornamen "D." sei Verwalterin der Wohnung. Diese habe offenbar, ohne dass der Kläger dies wusste, von den Verwandten des Klägers Geld verlangt. Nicht der Kläger, sondern alleine Frau "D." sei Störerin. Der Kläger halte sich nicht in Deutschland auf. Eine Liste der Verwandten aus dem Oman, aus Kuwait und aus den Vereinigten Arabischen Emiraten mit Name und Anschrift wurde als E-Mail des Klägers, datiert vom 09.12.2019, an die Beklagte und das Gericht weitergeleitet.

Die Beklagte beantragte Klageabweisung. Die Angaben des Klägers, dass es sich bei den angetroffenen Personen jeweils um Verwandte gehandelt habe und er diesen die Wohnung unentgeltlich überlassen habe, seien als bloße Schutzbehauptungen zurückzuweisen und widersprächen den Angaben der angetroffenen Personen. Die von dem Kläger vorgelegte Liste über die bei den Ortsermittlungen angetroffenen angeblichen Verwandten sei unvollständig, da der am 21.08.2019 bei der Ortsermittlung angetroffene angebliche Bruder des Klägers nicht auf der Liste stand. Es sei erneut die Vorlage einer vollständigen Liste erbeten worden. Der Kläger habe am 10.12.2019 eine solche aktualisierte Liste vorgelegt. Keiner der bei den Ortsermittlungen angetroffenen Personen habe mit Ausnahme des Neffen von einem Verwandtschaftsverhältnis zum Kläger berichtet und alle hätten zweckgebundene Visa zur medizinischen Behandlung gehabt.

Entscheidung

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der Bescheid der Beklagten vom 19.11.2018 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, Art. 3 Abs. 2 ZwEWG, § 13 Abs. 1 ZES). Eine Zweckentfremdung von Wohnraum liege vor, die nicht genehmigungsfähig sei. Sowohl die Ermessensausübung als auch die Störerauswahl seien ordnungsgemäß.

Eine Zweckentfremdung von Wohnraum im Sinne des Gesetzes und der hier einschlägigen Zweckentfremdungssatzung sei gegeben. Der Kläger habe als gemeinsam mit seinem Bruder Verfügungsberechtigten die verfahrensgegenständliche Wohnung anderen zu Wohnzwecken zugeführt, indem er sie wiederholt an wechselnde Personen, die sich vorübergehend zum Zwecke einer medizinischen Behandlung in München aufhielten, überlassen habe. Damit habe er das Nutzungskonzept einer Fremdenbeherbergung verfolgt. Die Wohnung werde damit nicht zum Wohnen genutzt, da darunter nur eine Nutzung zu verstehen sei, die sich durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, die Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises und darüber hinaus die Freiwilligkeit des Aufenthalts auszeichne. Die Nutzung durch Medizintouristen zeichne sich durch übergangsweises vorübergehendes Wohnen aus mit der Folge, dass die Wohnung nicht die Funktion einer so genannten "Heimstadt im Alltag" habe.

Der Vortrag des Bevollmächtigten, die Wohnung sei jeweils unentgeltlich an Verwandte überlassen worden, sei nicht glaubhaft und als bloße Schutzbehauptung zu werten. In der mündlichen Verhandlung habe der Klägervertreter zwar seinen Vortrag vertieft, er habe selber mit einer Frau "D." gesprochen, deren Nachname unbekannt sei und die kaum Deutsch könne. Vor dem Hintergrund, dass diese Frau "D." angeblich die Verwalterin der Wohnung ist, könne von dem Kläger und seinem Bevollmächtigten erwartet werden, dass der Nachname ebenfalls bekannt sei. Die darüberhinausgehende Behauptung, diese Frau "D." habe ohne Kenntnis des Klägers von dessen Verwandten erhebliche Beträge als Miete verlangt und erhalten, stelle danach vielmehr einen ungeeigneten Versuch dar, die Verantwortung einem Dritten zuzuschieben. Es sei nicht ansatzweise nachvollziehbar, dass die angebliche Verwandtschaft des Klägers klaglos erhebliche Beträge an Frau "D." gezahlt haben will, ohne den Kläger darüber zu informieren oder zumindest nachzufragen, warum sie Miete zahlen mussten. Es sei weiter unglaubwürdig, dass dies wiederholt längere Zeit hinweg geschah. Es sei außerdem unglaubwürdig, dass der angeblich im Ausland lebende Kläger, der eine Adresse in München habe, die Verwaltung der Wohnung jemandem überlasse, dessen Nachname unbekannt sei und der nach Angaben des Bevollmächtigten kaum Deutsch spreche.

Ungeachtet dessen, dass der Vortrag, die Verwalterin habe Geld verlangt und behalten, hier als Schutzbehauptung gewertet werde, komme es rechtlich für die Frage der Störereigenschaft darauf nicht an. Die Verwalterin sei Erfüllungsgehilfin des Klägers und ihr Handeln sei deshalb dem Kläger zuzurechnen. Die Auswahl des Klägers als unmittelbarem Handlungsstörer im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Satz 1 LStVG sei vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden.

Bedenken dagegen, dass die unter den Nrn. 3 und 4 des angefochtenen Bescheides verfügten Zwangsgeldandrohungen nach Grund und Höhe unangemessen seien, bestehen nicht; auch seien, unter Berücksichtigung der kurzzeitigen Aufenthalte der jeweiligen Touristen die Fristen angemessen.

Praxishinweis

Durch die Änderung des Grundgesetzes im Rahmen der Föderalismusreform ist die Kompetenz zum Erlass wohnungsrechtlicher Regelungen einschließlich des Rechtsbereichs des Zweckentfremdungsrechts mit Wirkung vom 01.09.2006 auf die Länder übergegangen. Der Freistaat Bayern hat davon durch das Gesetz über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZwEWG), das am 01.07.2008 in Kraft getreten und mittlerweile unbefristet ist, Gebrauch gemacht. Anders als in der Bundesermächtigung (Art 6 MietRVerbG) sollen dort nicht das Land, sondern die Gemeinden zur Festlegung der Gebiete mit Zweckentfremdungsverbot zuständig sein (Art 2 ZwEWG). Damit bestehen in Bayern nunmehr die strengsten Zweckentfremdungsregelungen aller Bundesländer. In Berlin gibt es seit dem 01.05.2014 ein neues, verschärftes Zweckentfremdungsrecht (ZwVbG, ZwVbVO). Weitere Zweckentfremdungsverbote für Wohnraum bestehen z. B. in Hamburg, Köln, Bonn, Stuttgart und Freiburg i. Br. Die niedersächsische Landesregierung hat einen Gesetzentwurf über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum beschlossen, der ein Recht der Gemeinden enthält, Zweckentfremdungssatzungen zu erlassen (Niedersächsischer Landtag Drs. 17/8117).

Nach Art 6 MietRVerbG liegt eine Zweckentfremdungshandlung dann vor, wenn der Wohnraum anderen als Wohnzwecken zugeführt wird. Der Begriff der Zweckentfremdung ist weit auszulegen. Als Zweckentfremdung ist daher jedes Handeln oder Unterlassen zu verstehen, durch das der Wohnraum seiner eigentlichen Bestimmung entzogen wird (BVerfG, Urteil vom 4. 2. 1975 - 2 BvL 5/74, NJW 1975, 727). In Betracht kommt somit – wie vorliegend – die gewerbliche Nutzung (im Einzelnen hierzu Schüller in Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 5. Auflage 2019, Kap. II Rn 37 ff.), so z.B. bei sogenanntem „Medizintourismus“ oder bei einer Vermietung über „Airbnb“ (VG München, Urteil vom 16.01.2019 - M 9 K 17.3876, BeckRS 2019, 729), was, wenn durch einen Mieter betrieben, die fristlose Kündigung des Mietverhältnisses zur Folge haben kann (LG Berlin, Hinweisbeschluss vom 27.07.2016 - 67 S 154/16, BeckRS 2016, 14632). Eine Zweckentfremdung kann aber auch allein durch das Leerstehenlassen der Wohnung vorliegen, z. B., weil eine unvermietete Wohnung zu einem höheren Preis zu veräußern ist (Schüller, aaO, Rn. 55) oder wenn der Eigentümer die Wohnung abreißt. Zu beachten ist jedoch, dass derjenige, welcher zivilrechtlich zum Abbruch eines Wohngebäudes verpflichtet ist, hierzu erst nach Erteilung einer Zweckentfremdungsgenehmigung verurteilt werden kann (BGH, Urteil vom 07.10.1977 – V ZR 131/75, WuM 1978, 244).

Redaktion beck-aktuell, 2. März 2020.