LG München I: Rechtsmissbräuchliche Umgehung der Kündigungsvorschriften

BGB §§ 242, 546 I, 573 II Nrn. 2, 3, § 573 III 1

1. Eine Aktiengesellschaft kann sich nicht nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Eigenbedarf eines ihrer Vorstände oder eines Angehörigen ihrer Vorstände berufen.

2. Überträgt eine Aktiengesellschaft zur Umgehung dieser Einschränkung des Kündigungsrechts wegen Eigenbedarfs einen geringfügigen Miteigentumsanteil (hier: 5/100) im Wege der Schenkung auf die Tochter eines Vorstands und kündigt sodann die aus der Kapitalgesellschaft und dieser natürlichen Person bestehende Vermietergemeinschaft wegen Eigenbedarfs, so kann hierin eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Kündigungsvorschriften liegen, die zur Unwirksamkeit der Kündigung nach § 242 BGB führt.

LG München I, Urteil vom 10.07.2019 - 14 S 15871/18, BeckRS 2019, 16346

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Memminger & Partner, München und Frankfurt

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 16/2019 vom 14.08.2019

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Sachverhalt

Die Parteien streiten in um die Räumung und Herausgabe einer von der Beklagten angemieteten Wohnung nach einer Eigenbedarfskündigung vom 25.07.2017. Die Beklagten haben die streitgegenständliche Wohnung vom Rechtsvorgänger der Klagepartei mit Mietvertrag vom 08.09.2004 gemietet. Die Klägerin zu 1) ist eine AG, die Klägerin zu 2) ist eine Tochter eines Vorstandsmitglieds dieser AG. Mit notariellem Vertrag vom 06.07.2017 erwarb die Klägerin zu 2) von der Klägerin zu 1) einen 5/100 Miteigentumsanteil an der streitgegenständlichen Wohnung. Ein 95/100 Miteigentumsanteil verblieb im Eigentum der Klägerin zu 1). Die Eintragung der Klägerin zu 2) in das Grundbuch erfolgte am 19.07.2017. Die Klägerinnen hörten insoweit auf einen anwaltlichen Rat und handelten in der Absicht, eine Kündigungsmöglichkeit wegen Eigenbedarfs zu schaffen. Die Übertragung des Miteigentumsanteils erfolgte unentgeltlich im Wege der Schenkung der Klägerin zu 1) an die Klägerin zu 2). Es besteht keine vertragliche Verpflichtung zur Rückübertragung des Miteigentums der Klägerin zu 2) an die Klägerin zu 1). Insoweit wurde der Verzicht auf ein Rückforderungsrecht erklärt.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 25.07.2017 kündigte die Klagepartei das Mietverhältnis wegen Eigenbedarf zum 30.04.2018.

Die Beklagten widersprachen der Kündigung mit Schreiben vom 26.02.2018. Die vor dem Amtsgericht erhobene Räumungsklage blieb ohne Erfolg; bereits der Nutzungswille sei zwischen Kündigung und Beendigung des Mietverhältnisses entfallen. Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung.

Die Beklagten halten das Verhalten der Klagepartei für treuwidrig. Die vertragliche Konstruktion zwischen den beiden Klägerinnen in Bezug auf die verfahrensgegenständliche Wohnung sei bewusst gewählt worden, um eine Kündigung wegen Eigenbedarfs zu ermöglichen. Dabei könne die Aktiengesellschaft selbst gar keinen Eigenbedarf geltend machen. Durch die Übertragung „eines unbedeutenden Winzanteils“ an eine Familienangehörige des Vorstands sei ein Kündigungstatbestand geschaffen worden, der in keinem wirtschaftlichen Verhältnis zum Eigentumsanteil stehe. Die Aktiengesellschaft habe einer Aktionärin und Tochter des Vorstandsvorsitzenden einen unbedeutenden Anteil geschenkt, um hierdurch künstlich eine „BGB Gesellschaft/Gemeinschaft“ zu erzeugen. Ein solches Vorgehen, das zielgerichtet eine Rechtslage schaffe, die es erst möglich machen solle, dass eine Aktiengesellschaft für die „Tochter des Vorstandsvorsitzenden“ Eigenbedarf geltend machen kann, stelle ein klares Umgehungsgeschäft dar.

Entscheidung

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Zwar sei die Kündigung formell wirksam gewesen (hierzu der weitere Beitrag in FD-MietR 2019, 419292). Das Räumungsverlangen stelle sich jedoch unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls als rechtsmissbräuchlich dar, § 242 BGB.

Ein Verstoß gegen § 242 BGB führe zur Unwirksamkeit der Kündigung. In der vorliegenden Konstellation ergebe sich ein Verstoß gegen Treu und Glauben und damit eine unzulässige Rechtsausübung daraus, dass die Klägerinnen ein eigentumsrechtliches Konstrukt geschaffen haben, mit dem bewusst umgangen werden soll, dass Kapitalgesellschaften wegen Eigenbedarfs nicht kündigen können. Grundsätzlich sei davon auszugehen, dass einfachen Vermietermehrheiten ein Kündigungsrecht nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zustehe. Soweit mehrere natürliche Personen Miteigentum an einer Immobilie haben, sei ebenfalls anerkannt, dass sich grundsätzlich jede dieser Personen auf Eigenbedarf berufen könne und eine ordentliche Kündigung stützen könnene des jeweiligen Miteigentumsanteils in aller Regel nicht entscheidend.

Auch eine teilrechtsfähige (Außen-)Gesellschaft des bürgerlichen Rechts könne sich in entsprechender Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB auf den Eigenbedarf eines oder mehrerer ihrer Gesellschafter oder deren Angehörigen berufen.

Eigenbedarf könne eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts dabei auch zugunsten solcher Gesellschafter geltend machen, die erst nach Abschluss des in Rede stehenden Mietvertrags bzw. nach Eintritt der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in das Mietverhältnis Gesellschafter geworden sind. Wie bei einer aus mehreren Bruchteilseigentümern bestehenden Vermietergemeinschaft, bei der der nachträglich hinzukommende Bruchteilseigentümer nach § 566 BGB in den Mietvertrag eintrete, sei es auch dem nachträglich hinzukommenden GbR-Gesellschafter möglich, Eigenbedarf an der von der Gesellschaft vermieteten Wohnung geltend zu machen.

Grundlegend anders verhalte es sich jedoch bei juristischen Personen, Kapitalgesellschaften und Vereinen. Sie haben als Vermieter kein Kündigungsrecht nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB, da eine Nutzung als Wohnung durch sie nicht in Betracht komme. Allein der Wohnbedarf von Gesellschaftern (auch wirtschaftlich vollumfänglich dispositionsfähigen Alleingesellschaftern), gesetzlichen Vertretern oder Angestellten reiche hierfür nicht aus, da diese weder Vermieter seien, noch zu dem privilegierten Personenkreis gehören.

In der vorliegenden Konstellation sei eine diesbezügliche treuwidrige Umgehung dieser bedeutsamen Einschränkung des Kündigungsrechts nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB zu sehen. Zwar sei bei rein formaler Betrachtung durchaus zu berücksichtigen, dass hier die Klägerin zu 2) - eine natürliche Person - Miteigentümerin der Wohnung ist. Grundsätzlich könne sie sich damit selbst auf eine Bedarfslage nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB berufen. Diese Betrachtungsweise greife jedoch bei sorgfältiger Würdigung der Gesamtumstände des vorliegenden Einzelfalls zu kurz. Die vorliegende Konstellation sei insbesondere nicht mit dem Fall einer einfachen Vermietermehrheit vergleichbar. So sei zum einen zu berücksichtigen, dass die streitgegenständliche Wohnung zunächst nur im Eigentum der Klägerin zu 1) - einer Kapitalgesellschaft nach § 1 Abs. 1 AktG - stand. Der (nur) von dieser ausgesprochenen vorangegangenen Eigenbedarfskündigung habe daher per se der Erfolg versagt bleiben müssen. Diese Beschränkung des Kündigungsrechts nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB habe die Klagepartei sodann zu umgehen versucht, indem ein lediglich 5% umfassender Miteigentumsanteil auf die Klägerin zu 2) übertragen wurde.

Hinzu komme, dass die Klägerin zu 2) (unmittelbar) lediglich einen Anteil von 3% der Aktien der Klägerin zu 1) halte und die Übertragung des gänzlich untergeordneten 5/100 Miteigentumsanteils ohne jegliche Gegenleistung der Klägerin zu 2) unentgeltlich erfolgt sei. In dieser Konstellation ein auf Eigenbedarf gestütztes Kündigungsrecht der Klägerinnen anzunehmen, würde einem der Grundgedanken des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB - wonach eine Kapitalgesellschaft eben keinen Eigenbedarf geltend machen kann - in signifikanter Weise widersprechen. Dies könne indes nicht angehen, zumal der Klagepartei hier auch bewusst gewesen sei, dass durch die Übertragung eines 5/100 Miteigentumsanteils an die Klägerin zu 2) ein der Klägerin zu 1) nicht zustehendes Kündigungsrecht geschaffen werden sollte.

§ 573 BGB bilde das Kernstück des mietrechtlichen Bestandsschutzes. Der in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB formulierte Kündigungstatbestand solle den Mieter - unter Berücksichtigung der Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 GG - vor dem Risiko unkalkulierbarer Eigenbedarfskündigungen durch einen nicht überschaubaren Personenkreis schützen. Zusammen mit der gesetzgeberischen Reaktion in Form des nachträglich eingeführten § 577a Abs. 1a BGB lasse sich durchaus der Wille des Gesetzgebers erkennen, dem von Vermietermehrheiten ausgehenden, erhöhten Verdrängungsrisiko entgegenzuwirken.

Vor diesem Hintergrund stelle der geltend gemachte Eigenbedarf ein Umgehungsgeschäft dar. Ein solcher Umgehungstatbestand würde mit dem nicht hinnehmbaren Risiko der Schwächung und Aushebelung grundlegender mieterschützender Vorgaben des Wohnraummietrechts einhergehen. Das von den Klägerinnen geschaffene Rechtskonstrukt würde nämlich (u.a.) einer Aktiengesellschaft ein Wirtschaftsmodell eröffnen, das im Wesentlichen vorsehe, einer Vielzahl an Personen einen untergeordneten Anteil an einer Wohnung zu übertragen, um dann einem Mieter wegen Eigenbedarfs kündigen zu können. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Klagepartei vorliegend einerseits die mit einer Unternehmensbeteiligung einhergehenden Vorteile für sich in Anspruch nehmen, sich andererseits aber zugleich uneingeschränkt auf die Möglichkeit zur Eigenbedarfskündigung berufen können solle. Die hier gewählte Gestaltungsform sei überdies - schon in Ansehung des Miteigentumsanteils einer Aktiengesellschaft von 95/100 - weder mit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts noch mit einer einfachen Vermietermehrheit vergleichbar.

Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass es sich bei der Klägerin zu 1) auch nicht um eine reine „Familien-Aktiengesellschaft“ handle, da zwar der Großteil, nicht jedoch alle Anteile der AG von Mitgliedern der Familie der Klägerinnen gehalten werden.

Praxishinweis

Grundsätzlich können nur natürliche Personen wegen Eigenbedarfs gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kündigen. Der BGH (Urteil vom 27.06.2007 - VIII ZR 271/06, NJW 2007, 2845) macht zwar für den Fall, dass sich ein Gesellschafter einer GbR auf Eigenbedarf beruft, eine Ausnahme; diese Rechtsprechung lässt sich aber nicht auf Personenhandelsgesellschaften – wie zB vorliegend auf eine Aktiengesellschaft – übertragen (BGH, Urteil vom 15.12.2010 – VIII ZR 210/10, NJW 2011, 993). In solchen Fällen kommt unter Umständen eine Kündigung wegen eines gesteigerten Betriebsbedarfs nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB in Betracht, wenn die Wohnung aus dringenden betrieblichen Gründen für eine bestimmte Person benötigt wird (BGH, Urteil vom 23.05.2007 – VIII ZR 122/06, NZM 2007, 639, Anmerkung Bub/Bernhard, FD-MietR 2007, 238478).

Vorliegend entscheidet das LG München I, dass die schenkweise Übertragung eines geringen Eigentumsanteiles lediglich der Umgehung der Kündigungsvorschriften diente und damit rechtsmissbräuchlich war. Der BGH (Urteil vom 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, NZM 2017, 111) hat im Zusammenhang der Zulässigkeit einer Kündigung einer GbR wegen Eigenbedarfs eines ihrer Gesellschafters entschieden, dass Missbrauchsfälle unter Anwendung von § 242 BGB begegnet werden können. Einen solchen Missbrauchsfall hat das LG München I vorliegend richtigerweise angenommen. Wo die Grenze der Treuwidrigkeit aufhört, ist stets Einzelfallentscheidung. Vorliegend spricht das Gesamtbild für eine rechtsmissbräuchliche Umgehung der Kündigungsvorschriften, die gerade den Mieter schützen sollen. Hier deutet zum einen schon die geringfügige Schenkung (5%) darauf hin, dass damit lediglich die Klägerin zu 2) als natürliche Person einen Eigentumsanteil erhält, um die Eigenbedarfskündigung durchzusetzen. Auf die Übertragung eines höheren Eigentumsanteils hat man wohl schon aus steuerlichen Gründen verzichtet.

In die Erwägungen hätte das Berufungsgericht auch einbeziehen können, dass der Klägerin zu 1) gegen die Klägerin zu 2) ein Rückgewähranspruch gemäß §§ 57, 62 AktG zusteht, da das Verhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht angemessen war und ein Veräußerungsvertrag zwischen AG und Aktionär nur zum Marktpreis zulässig ist. Zudem verwirklicht der Schenkungsvertrag und dessen Vollziehung jedenfalls objektiv den Tatbestand der Untreue gemäß § 266 StGB; Teilnehmer an dieser Straftat sind die Klägerin zu 2), deren Vater als Vorstand der AG und der beratende Anwalt.

Auch das Argument, dass Kapitalgesellschaften würde bei Akzeptanz durch die Gerichte ein Wirtschaftsmodell in die Hand gegeben, womit Mieter zugunsten von Aktionären oder sogar deren Angehörigen aus ihren Wohnungen verdrängt werden können, überzeugt.

Redaktion beck-aktuell, 16. August 2019.