LG Berlin: Überprüfung der Plausibilität des Eigennutzungswunsches

BGB §§ 546, 556d, 573 II Nr. 2; ZPO § 286

Der Eigennutzungswunsch des Vermieters ist vom Gericht auf Bestreiten des Mieters hin auf seine Plausibilität zu überprüfen. Dabei spielen die bisherigen Lebensverhältnisse des Vermieters bzw. der berechtigten Person ebenso eine Rolle wie die Vorgeschichte der Kündigung im Hinblick auf Auseinandersetzungen im Mietverhältnis.

LG Berlin, Urteil vom 21.11.2018 - 65 S 142/18, BeckRS 2018, 30289

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 10/2019 vom 23.05.2019

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Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Eigenbedarfskündigung, die von der kündigenden GbR damit begründet wird, dass die 60-jährige Gesellschafterin die Wohnung (Sub-Standard) künftig als Zweitwohnung in der Stadt nutzen wolle, um ihren einstündigen Arbeitsweg abzukürzen und unter der Woche vor allem in den Wintermonaten dort zu nächtigen. In dieser Zeit möchte sie auf das Auto verzichten und stattdessen öffentliche Verkehrsmittel nutzen oder sogar Fahrrad fahren. Würde sie eine andere Wohnung in derselben Gegend anmieten, wäre dies doppelt so teuer. Die Gesellschafterin habe in Hinblick auf eine nicht ausreichende Altersvorsorge ein Interesse daran, die Kosten für eine Stadtwohnung gering zu halten. Vor der Kündigung hatte die GbR vom Mieter die Zustimmung zu einer Mieterhöhung verlangt, wogegen dieser sich zur Wehr setzte. Das AG hat der Räumungsklage stattgegeben. Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Berufung.

Entscheidung: Unstimmigkeiten lassen es in der Gesamtschau als möglich erscheinen, dass andere Gründe als der Eigennutzungswunsch der Gesellschafterin der Klägerin den Ausspruch der Kündigung getragen haben

Die Berufung hat Erfolg.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der von dieser inne gehaltenen Wohnung. Das LG Berlin sei auf der Grundlage der umfassend zu würdigenden Umstände des Einzelfalls in ihrer Gesamtschau nicht mit dem nach § 286 ZPO erforderlichen Grad der Gewissheit davon überzeugt, dass der Ausspruch der Kündigung auf dem ernsthaften, bestimmt verfolgten, nachvollziehbaren und von vernünftigen Erwägungen getragenen Wunsch beruhe, dass die Gesellschafterin der Klägerin die von der Beklagten bewohnte Wohnung während der Wintermonate als „Stadtwohnung“ selbst nutzen wolle.

Gemäß § 573 Abs. 1, 2 Nr. 2 BGB liege ein zur Kündigung berechtigendes Interesse des Vermieters einer Wohnung insbesondere dann vor, wenn er die Wohnung für sich benötige. Beim Kriterium des „Benötigens“ in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB handle es sich um einen objektiv nachprüfbaren unbestimmten Rechtsbegriff, der voraussetze, dass der Vermieter ernsthafte, vernünftige und nachvollziehbare Gründe habe, die Wohnung selbst zu nutzen. Der Wunsch und der Wille allein, die Wohnung für sich oder andere berechtigte Personen zu nutzen, reiche nicht aus; hinzutreten müsse u.a. ein Nutzungsinteresse von hinreichendem Gewicht und ein nicht übermäßiger Bedarf. Nach § 573 Abs. 3, 568 BGB seien die Gründe, die das berechtigte Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses begründen, in dem Kündigungsschreiben anzugeben.

Der zentrale Grund, den die Klägerin im Kündigungsschreiben zur Begründung des Eigenbedarfs ihrer Gesellschafterin angibt, sei der Fahrtweg zwischen dem Wohnsitz der Klägerin und ihrem Büro; sie möchte unter der Woche, vor allem in den Wintermonaten in einer „Stadtwohnung“ übernachten und nicht immer auf das Auto angewiesen sein, sondern auch öffentliche Verkehrsmittel nutzen und den weiteren (allerdings längeren) Weg von der U-Bahn-Station zum Büro (in den Wintermonaten) zu Fuß zurücklegen. Isoliert betrachtet erscheine der Wunsch nach einer Verkürzung des Arbeitsweges - wenngleich begrenzt auf die Wintermonate - im Wege der Begründung eines Zweitwohnsitzes vernünftig und nachvollziehbar. Allerdings komme es auf die Umstände des Einzelfalls an, wobei auch zu berücksichtigen sei, dass der Zweitwohnsitz in derselben Stadt begründet werden soll.

Bei lebensnaher Betrachtung sei es schon schwer nachvollziehbar, dass die Gesellschafterin der Klägerin gerade in den Wintermonaten auf das Auto verzichten und den Weg ins Büro durch öffentliche Verkehrsmittel und Fußwege zurücklegen möchte. Hinzu komme, dass die Klägerin im Kündigungsschreiben insoweit auf das Alter der Gesellschafterin verweise, das bei etwa 60 Jahren liege. Der Ehemann der Gesellschafterin habe ausgesagt, dass seine Frau sich vorstellen könne, mit dem Fahrrad ins Büro zu fahren. Bei lebensnaher Betrachtung erscheine es wenig plausibel, dass die Gesellschafterin der Klägerin, die den Arbeitsweg, der seit etwa 23 Jahren dem jetzigen entspreche, mit dem Auto zurücklegt, nunmehr im Alter von fast 60 Jahren im Herbst/Winter auf das Fahrrad umzusteigen beabsichtige, d.h. zu einer Jahreszeit, in der selbst passionierte Radfahrer eher auf das Fahrrad verzichten, was der Zeuge - im Termin vor dem Landgericht darauf angesprochen - auch einräumte.

Darüber hinaus überzeuge auch nicht, dass die Gesellschafterin nur zur Verkürzung des Arbeitswegs in eine weit unter dem heutigen Ausstattungsniveau liegende Sub-Standard-Wohnung ziehen wolle, obwohl sie bislang in einem großzügigen modernen Einfamilienhaus lebe. Dies sei umso mehr unstimmig, als für die erforderliche Modernisierung der gekündigten Wohnung umfangreiche Investitionen erforderlich seien, die Gesellschafterin aber behaupte, sich keine angemessene Mietwohnung in der Umgebung leisten zu können. Schließlich spreche gegen die Plausibilität eines ernsthaft verfolgten Eigennutzungswunsches auch, dass die Eigenbedarfskündigung in einem zeitlichen Zusammenhang mit einer Mieterhöhung erfolgt sei, gegen die sich der Mieter zur Wehr gesetzt habe.

Diese Unstimmigkeiten ließen es in der Gesamtschau möglich erscheinen, dass andere Gründe als der Eigennutzungswunsch der Gesellschafterin der Klägerin den Ausspruch der Kündigung getragen haben.

Praxishinweis

Das LG Berlin stimmt im Grundsatz mit dem BGH überein, dass sich eine teilrechtsfähige (Außen-) Gesellschaft bürgerlichen Rechts - wie vorliegend die Klägerin - in entsprechender Anwendung des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB (unter anderem) auf den Eigenbedarf eines ihrer Gesellschafter berufen kann (BGH, Urteil vom 14.12.2016 - VIII ZR 232/15, WuM 2017, 94).

Bei einer Eigenbedarfskündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB muss jedoch der Eigennutzungswunsch plausibel vorgetragen werden. Das LG Berlin hatte daran vorliegend Zweifel, die sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls ergaben. Zwar kann eine Eigenbedarfskündigung für eine Zweit- oder Ferienwohnung (BGH, Beschluss vom 21.08.2018 - VIII ZR 186/17, BeckRS 2018, 26263, besprochen in FD-MietR 2018, 411765) begründet sein, allerdings ist dies fraglich – und erfordert dadurch eine erhebliche substantiierte Darstellung des Eigennutzungswunsches – wenn die betreffende Wohnung in derselben Stadt liegt, wie der Hauptwohnsitz des Nutzers dieser Wohnung (LG Hamburg, Urteil vom 07.05.1992 - 307 S 409/91, NJW-RR 1992, 1365).

Redaktion beck-aktuell, 23. Mai 2019.