LG Berlin: Maßgebliche Vormiete i.S.d. § 556e BGB bei Mieterhöhungen im Rahmen der Mietpreisbremse

BGB §§ 556d, 556e, 556g

1. Im Rahmen des § 556e Abs. 1 BGB ist auf das zeitlich letzte vom Vermieter vor Invollzugsetzung der §§ 556d ff. BGB geschlossene Wohnraummietverhältnis abzustellen.

2. Es steht der Anwendung des § 556e Abs. 1 BGB nicht entgegen, dass die nach den §§ 556d ff. BGB zu beurteilende Anschlussvermietung dem Wohnraummietverhältnis nicht nahtlos nachfolgt, sondern der Vermieter die Mietsache zuvor leerstehen lässt, selber nutzt oder zu anderen als Wohnzwecken (hier: Büro) vermietet.

3. Der Gesetzgeber hatte den – atypischen – Fall der Vermietung einer zuvor zu Wohnzwecken vermieteten Mietsache zu gewerblichen Zwecken unmittelbar vor Abschluss des nach den §§ 556d ff. BGB zu beurteilenden Mietverhältnisses nicht vor Augen.

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 09/2019 vom 09.05.2019

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Sachverhalt

Die Klägerin begehrt als Mieterin einer Wohnung die Feststellung der unter Beachtung der sog. Mietpreisbremse höchstzulässigen Miete sowie die Rückzahlung überzahlter Mieten.

Die beklagte Vermieterin schloss am 01.08.2011 mit Frau X einen Wohnraummietvertrag über die streitgegenständliche Wohnung. Als Gesamtmiete waren dabei 950 EUR pro Monat vereinbart. Im Anschluss daran vermietete die Beklagte die streitgegenständlichen Räume aufgrund eines am 13.12.2012 geschlossenen Gewerberaummietvertrages an die Y-GmbH zu einer Gesamtmiete von 900 EUR als Büro. Nach Beendigung dieses Mietverhältnisses schloss die Beklagte mit der Klägerin am 14.04.2016 einen Wohnraummietvertrag über die genannten Räume mit Wirkung ab dem 01.05.2016. Dabei vereinbarten die Parteien eine monatliche Miete von 950 EUR. Das von der Beklagten an die Klägerin mitvermietete Inventar entsprach dabei dem an die Mieterin X zur Verfügung gestellten mit Ausnahme eines Tisches, eines Stuhles und eines Bettes; letztere wurden von der Beklagten lediglich der Mieterin X, nicht aber der Klägerin zur Verfügung gestellt. Seit dem 01.08.2011 schloss die Beklagte über die genannten Verträge hinaus keine weiteren Mietverträge über die streitgegenständlichen Räume.

Mit Schreiben vom 24.04.2017 rügte die Klägerin gegenüber der Beklagten einen Verstoß gegen die sog. Mietpreisbremse und machte eine rechtsgrundlose Überzahlung von monatlich 222,24 EUR geltend.

Entscheidung: Beim Vergleich ist auf das letzte Wohnraummietverhältnis abzustellen

Die Klage hat keinen Erfolg.

Der auf Feststellung der preisrechtlich zulässigen Miete gerichtete Antrag sei ebenso unbegründet wie der Antrag auf Rückzahlung überzahlter Miete.

Unabhängig von der Frage, ob die sog. Mietpreisbremse für Berlin verfassungswidrig ist – wovon die Kammer ausgehe -, sei die von den Parteien getroffene Mietzinsabrede wirksam. Sie sei nicht gem. § 556g Abs. 1 Satz 1 und 2 BGB teilweise unwirksam, da die Parteien durch Vereinbarung einer Miete i.H.v. monatlich 950 EUR nicht zu Ungunsten der Klägerin von den §§ 556d ff. BGB abgewichen seien. Die Klägerin könne sich gem. § 556e Abs. 1 Satz 1 BGB mit Erfolg auf die Vereinbarung einer Miete in nämlicher Höhe mit der Vormieterin berufen.

Gem. § 556e Abs. 1 Satz 1 BGB dürfe eine Miete bis zur Höhe der Vormiete vereinbart werden, die der vorherige Mieter zuletzt schuldete. Diese Voraussetzungen seien erfüllt. Die Beklagte habe mit der Mieterin X am 01.08.2011 einen Wohnraummietvertrag über die streitgegenständliche Wohnung geschlossen und dabei Miete i.H.v. 950 EUR vereinbart. Es spiele keine Rolle, dass die Wohnung als „möblierte Wohnung laut Inventarliste“ vermietet worden sei, denn auch der Klägerin sei die Wohnung teilmöbliert überlassen worden. Die Abweichung im überlassenen Inventar seien marginal und fiele daher bei der Preisbemessung der Miete nicht ins Gewicht.

Bei der Mieterin X habe es sich um die Mieterin, welche die „vorherige Miete“ i.S.d. § 556e Abs. 1 Satz 1 „zuletzt schuldete“, gehandelt. Abzustellen sei dabei auf das letzte Wohnraummietverhältnis, das der Vermieter vor Invollzugsetzung der §§ 556d ff. BGB durch Erlass einer landesrechtlichen Verordnung i.S.d. §§ 556d Abs. 1, Abs. 2 BGB begründet habe. Es sei für die Beklagte insoweit zunächst unschädlich, dass das mit der Mieterin X begründete Mietverhältnis nicht unmittelbar bis zur Begründung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses angedauert habe. § 556e Abs. 1 BGB verlange für die Berücksichtigung der Vormiete keinen nahtlosen Anschluss des nach den §§ 556d ff. BGB zu beurteilenden Mietverhältnisses an das Vormietverhältnis.

Der Anwendung des § 556e Abs. 1 BGB stehe es auch nicht entgegen, dass die Beklagte die Mietsache nach vorheriger Vermietung zu Wohnzwecken unmittelbar vor der – nach den §§ 556d ff. BGB zu beurteilenden – Anschlussvermietung an die Beklagte nicht erneut als Wohn-, sondern als Gewerberaum an die Y-GmbH vermietet hatte. Der Umstand der gewerblichen Vermietung sei für die Anwendung des § 556e Abs. 1 BGB ebenso wenig beachtlich wie die Höhe der dabei vereinbarten Miete:

Der Gesetzgeber habe den atypischen Fall der Vermietung einer zuvor zu Wohnzwecken vermieteten Mietsache zu gewerblichen Zwecken unmittelbar vor Abschluss des nach den §§ 556d ff. BGB zu beurteilenden Mietverhältnisses nicht vor Augen gehabt. Er sei stattdessen von einem einheitlichen Vertragszweck bei der „Anschlussvermietung von Wohnungen“ ausgegangen. Dabei habe er vorausgesetzt, dass es sich bei dem Vormietverhältnis stets um ein Wohnraummietverhältnis handle. Andernfalls hätte er keine Ausführungen dazu gemacht, dass und warum das Vormietverhältnis seinerseits den Anforderungen der §§ 556d ff. BGB entsprechen muss. Denn es seien allein Wohn-, nicht aber Gewerberaummietverhältnisse, die dem Anwendungsbereich der §§ 556d ff. BGB unterfallen.

Daher sei § 556e Abs. 1 BGB zur Meidung einer den Wertungen der Art. 3 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG widersprechenden Ungleichbehandlung der Normadressaten in seiner unmittelbaren, zumindest aber in der ansonsten gebotenen analogen Anwendung verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass für die Vormiete i.S.d. § 556e Abs. 1 BGB ohne Rücksicht auf die nachfolgende Nutzung auf das zeitlich letzte Wohnraummietverhältnis vor der den Bestimmungen des § 556d ff. BGB unterfallenden Anschlussvermietung abzustellen ist.

Praxishinweis

Das LG Berlin musste sich mit der Frage auseinandersetzen, ob die Vormiete gemäß § 556e Abs. 1 BGB auch eine aus einem unmittelbar vor dem streitgegenständlichen Wohnraummietverhältnis geschlossenen Gewerberaummietverhältnis sein kann.

Die Vormiete ist in § 556e Abs. 1 BGB als „die Miete, die der vorherige Mieter zuletzt schuldete“ legaldefiniert. Diese Miete kann der Vermieter vom neuen Mieter verlangen, unabhängig davon, ob sie 110% der ortsüblichen Vergleichsmiete übersteigt, solange der Vormieter sie rechtlich geschuldet hat (Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, § 556e BGB, Rn. 5), die Mietzinsvereinbarung mit ihm also zulässig war. Der Gesetzgeber wollte mit dieser Norm dem Vermieter einen verlässlichen und nicht von Zufälligkeiten der Art und des konkreten Zeitpunkts der Anschlussvermietung abhängigen Bestandsschutz zur Schaffung von Investitionssicherheit gewähren (vgl. BT-Drucks. 18/3121, S. 30). Aus diesem Grund ist § 556e Abs. 1 BGB selbst dann anwendbar, wenn die Mietsache vor der Anschlussvermietung zeitweilig leersteht (Artz in Münchner Kommentar, 7. Auflage 2016, § 556e BGB, Rn. 3; Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 13. Auflage 2017, § 556e BGB Rn. 8) oder selbst vom Vermieter genutzt wird (Theesfeld in Beck-Online Kommentar MietR, 15. Edition 2019, § 556e BGB, Rn. 4a; aA Fleindl in Beck Online Großkommentar, 2018, § 556e BGB Rn. 8). Das LG Berlin entscheidet vorliegend, dass auch eine unmittelbar vor dem neuen Wohnraummietverhältnis bestandene gewerbliche Nutzung der Mieträume und die in diesem Gewerberaummietverhältnis gezahlte Miete keine Vormiete iSd § 556e Abs. 1 BGB ist. Dies ist allein schon aufgrund der Gesetzessystematik richtig, denn in den Anwendungsbereich der §§ 556d ff. BGB fallen nur Wohnraummietverhältnisse. Darüber hinaus ist die Identität der beiden Mietverhältnisse (Vormietverhältnis und aktuelles Mietverhältnis) in persönlicher, sachlicher und rechtlicher Hinsicht ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal des § 556e Abs. 1 BGB (Emmerich in Staudinger MietNovG 2015, § 556e BGB, Rn. 5). Daraus folgt z.B., dass § 556e Abs. 1 BGB keine Anwendung findet, wenn das Vormietverhältnis mit dem neuen Mietverhältnis räumlich nicht identisch ist. Nichts Anderes kann daher auch für ein vorheriges Gewerberaummietverhältnis gelten, da es sich nicht rechtlich mit einem Wohnraummietverhältnis gleicht.

Redaktion beck-aktuell, 14. Mai 2019.