AG Hamburg-Blankenese: Bewertung einer Eigenbedarfskündigung als treuwidrig nach erfolgloser Verwertungskündigung

BGB § 573 II Nrn. 2, 3, III

1. Eine Eigenbedarfskündigung, die lediglich die Angabe zur gewünschten Selbstnutzung des Elternhauses, das Vorliegen einer körperlichen Behinderung und die futuristisch angedachte Variante, dass möglicherweise in absehbarer Zeit weitere Räume einer Pflegeperson zur Verfügung gestellt werden sollen, enthält, ist bereits formell ungenügend und unwirksam.

2. Eine während eines Räumungsrechtsstreits nach einer Verwertungskündigung erklärte Eigenbedarfskündigung ist rechtsmissbräuchlich, da beide Kündigungsgründe sich denklogisch ausschließen.

AG Hamburg-Blankenese, Urteil vom 10.10.2018 - 531 C 159/18, BeckRS 2018, 24679

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 03/2019 vom 14.02.2019

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Sachverhalt

Zwischen den Parteien besteht seit dem 19.06.2013 ein unbefristetes Mietverhältnis über das städtische Elternhaus der Klägerin, welches sie von diesen geerbt hatte. Die Klägerin bewohnte zu diesem Zeitpunkt eine Kellerwohnung auf dem Land. Eine erste Räumungsklage aufgrund einer von der Klägerin ausgesprochenen Verwertungskündigung hat das AG mit Urteil vom 16.05.2018 abgewiesen. Dieses wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 08.06.2018 zugestellt. Die Klage wurde im damaligen Verfahren am 20.12.2017 nicht - wie angekündigt - von der Klägerin zurückgenommen. Stattdessen kündigte der Klägervertreter am 27.12.2017 gegenüber den Beklagten aufgrund Eigenbedarfs. Die Klägerin macht aufgrund dieser Kündigung vom 27.12.2017 erneut einen Räumungsanspruch gegenüber den Beklagten geltend. Im Kündigungsschreiben des Klägervertreters heißt es:

„…kündigen wir im Auftrag Ihrer Vermieterin H das Mietverhältnis… zum 30.06.2018. Nach der Entwicklung der letzten Monate hat sich Frau H nunmehr entschlossen, selbst in Ihr eigenes Haus zu ziehen. Zum einen steht dahinter der Wunsch unserer Mandantin, in ihrem Elternhaus zu wohnen und darüber hinaus die Erkenntnis, dass sie wegen ihrer körperlichen Behinderung auf Dauer schlecht in einer Kellerwohnung auf dem Lande wohnen kann. Es ist für ihren Gesundheitszustand und ihre Möglichkeiten besser, in der Stadt zu wohnen. Wie Sie wissen, ist das Badezimmer bereits behindertengerecht umgebaut. Die weiteren Räume kann Frau H zum Teil für Personal nutzen, das möglicherweise in absehbarer Zeit für eine Pflegetätigkeit von ihr benötigt wird.“

Die Klägerin ist der Ansicht, ihre Meinungsänderung sei zulässig und vom Vorrang ihres Eigentumsrechts gedeckt. Die Beklagten meinen, die Kündigung vom 27.12.2017 sei rechtsmissbräuchlich, da die Klägerin die Möglichkeit gehabt hätte, nach dem Erwerb durch Erbfall ihr Elternhaus selbst zu nutzen oder zu verkaufen und nicht gezwungen gewesen sei, am 10.06.2013 mit den Beklagten einen Mietvertrag abzuschließen. Zudem habe die Klägerin nicht gewollt, das Mietobjekt zu beziehen. Im Übrigen sei für sie als Familie mit zwei Kindern (14 und 16 Jahre alt) kaum angemessener Ersatzwohnraum zeitnah zu finden. Von einer Vermietung des Obergeschosses sei schließlich in der Kündigung wegen Eigenbedarfs nicht die Rede gewesen. Der Dachboden sei allenfalls als Hobbyraum nutzbar.

Entscheidung: Kündigung ist form- und treuwidrig sowie rechtsmissbräuchlich

Das AG hat die zweite Räumungsklage nach der Eigenbedarfskündigung abgewiesen.

Die Eigenbedarfskündigung vom 27.12.2017 genüge schon nicht den formellen Anforderungen des § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Die Klägerin hätte den Mietern im Kündigungsschreiben zumindest Kerntatsachen mitteilen müssen, die vernünftige und nachvollziehbare Gründe für ein berechtigtes Interesse der Klägerin darstellen. Dieses müsse gemäß § 573 Abs. 3 BGB bereits im Kündigungsschreiben hinreichend präzise angegeben werden. Andere, später vorgebrachte Gründe könnten nur Berücksichtigung finden, wenn sie nachträglich entstanden sind. Ein Verstoß gegen das Begründungserfordernis führe zur Nichtigkeit der Kündigung, denn der Zweck des Begründungserfordernisses sei es, dem Mieter so früh wie möglich Klarheit über seine Rechtsposition zu verschaffen und so rechtzeitig alles Erforderliche zur Wahrung seiner Interessen veranlassen zu können.

Die vorliegende Eigenbedarfskündigung vom 27.12.2017 enthalte lediglich die Angabe zur gewünschten Selbstnutzung des Elternhauses, das Vorliegen einer körperlichen Behinderung und die angedachte Möglichkeit, Räume einer Pflegeperson zur Verfügung zu stellen.

Ginge man jedoch von einer formell wirksamen Kündigung aus, wäre diese dennoch rechtsmissbräuchlich. Der Sinneswandel der Klägerin beruhe darauf, dass ihre Verwertungskündigung vom 2016 erfolglos war. Die Aussagen der Klägerin im Kündigungsschreiben vom 27.08.2018 zu ihrer bisherigen Kellerwohnung und ihr Plan zur Finanzierbarkeit der Selbstnutzung des betroffenen Hauses seien keine nachträglich entstandenen Kündigungsgründe. Die Klägerin habe es schlicht unterlassen, diese notwendigen Kerntatsachen bereits mit Kündigungsschreiben vom 27.12.2017 darzulegen.

Sehe man die Kündigung nicht als rechtsmissbräuchlich an, wäre sie dennoch treuwidrig. Denn im Kündigungsschreiben habe die Klägerin die Teilvermietung nicht erwähnt und habe somit weit überhöhten Wohnbedarf geltend gemacht. Es sei schon nicht plausibel, wie die Klägerin als Rentenbezieherin die belastete Immobilie ohne die Vermietung des Obergeschosses künftig finanzieren wolle. Selbst nach den Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung, benötige sie zumindest Einnahmen i.H.v. 350 EUR durch die Vermietung des Obergeschosses. Davon sei aber im Kündigungsschreiben nicht die Rede. Selbst nach dem Klägervortrag wäre der Umzug ab 01.07.2018 als Alleinnutzer in das nach Angaben der Klägerin 140 m² Wohnfläche umfassende Zweifamilienhaus nicht finanzierbar.

Auch auf die Möglichkeit, künftig Pflegepersonal in das Haus einziehen zu lassen, könne die Klägerin sich nicht erfolgreich stützen. In der mündlichen Verhandlung habe sie selbst bestätigt, dass der Sachvortrag zur Pflegekraft noch nicht ausgereift sei. Selbst wenn man dies anders sehe, hätte die Klägerin jedenfalls Umstände darlegen müssen, aus denen sich mit einiger Sicherheit ergebe, dass in naher Zukunft die Pflegeperson benötigt würde. Der alleinige Wunsch, im eigenen Haus zu wohnen, reiche nicht aus, wenn keine vernünftigen, nachvollziehbaren Gründe vorlägen.

Praxishinweis

Das Urteil ist von einem starken Willen, die Klage abzuweisen, geprägt; die zugrundeliegenden Gründe tragen es allerdings nicht. Die Entscheidung der behinderten Klägerin, aus einer angemieteten Kellerwohnung auf dem Land in ihr eigenes Haus in der Stadt umzuziehen, das bereits teilweise behindertengerecht umgebaut ist, ist ohne weiteres nachvollziehbar und auch vernünftig. Das Urteil steht insoweit im Widerspruch zur Rechtsprechung des BGH (vgl. nur BGH, Beschluss vom 21.08.2018 - VIII ZR 186/17, BeckRS 2018, 26263 zur Kündigung, um eine Mietwohnung für 2 bis 4 Wochen im Jahr in der Ferienzeit zu nutzen).

Da dieser im Kündigungsschreiben enthaltene Kündigungsgrund bereits ausreichte, konnte die noch nicht ausgereifte Überlegung der Klägerin, künftig Pflegepersonal unterzubringen, dahinstehen, weil sie nicht im Konflikt zum dargelegten Eigenbedarfsgrund stand. Die obergerichtliche Rechtsprechung legt ohnehin bei der Begründung des Eigenbedarfs im Zusammenhang mit Pflegepersonal großzügige Maßstäbe an. So hat es das BayObLG (Rechtsentscheid vom 02.03.1982 - 115/81, NJW 1982, 1159) als ausreichend erachtet, dass der Vermieter nicht bereits hilfs- oder pflegebedürftig sein muss, er die Dienste einer Hilfsperson jedoch in naher Zukunft für die Pflege und Betreuung benötigt. Zudem hat das OLG Hamm (Rechtsentscheid vom 24.07.1986 - 4 RE-Miet 1/86, NJW-RR 1986, 1212) entschieden, dass auch die konkrete Pflegeperson noch nicht feststehen muss.

Das Gericht hat auch nicht die Rechtsgrundsätze des BGH (vgl. BeckRS 2018, 27907) zur fehlenden Ernsthaftigkeit eines Eigennutzungswunsches und zur rechtsmissbräuchlichen Kündigung beachtet. Dass die Klägerin eine nach Auffassung des Gerichts aussichtslose Verwertungskündigung nicht weiterverfolgt hat, sondern entschied, das Mietobjekt selbst zu bewohnen, kann ohne weitere Anhaltspunkte nicht als rechtsmissbräuchlich beurteilt werden. Treuwidrig oder rechtsmissbräuchlich wird die Kündigung auch nicht dadurch, dass die Klägerin nach ihrem Einzug Teile des Hauses vermieten will, um damit Teile der Kosten des Hauses zu finanzieren.

Redaktion beck-aktuell, 15. Februar 2019.