LG Berlin: Anfechtung eines Mietvertrages wegen arglistiger Täuschung des Mieters bezüglich seiner Vermögensverhältnisse

BGB §§ 123, 142, 305, 535 II

1. Fragen nach Person und Anschrift des Vorvermieters, der Dauer des vorangegangenen Mietverhältnisses und Erfüllung mietvertraglicher Pflichten sind ebenso wie Fragen nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen grundsätzlich geeignet, sich ein Bild über Bonität und Zuverlässigkeit eines Mietinteressenten zu machen und damit zulässig.

2. Hat der Mieter die eidesstattliche Versicherung abgegeben und in einem Wohnungsfragebogen versichert, dass keine überfälligen privaten oder geschäftlichen Verpflichtungen bestehen, ist der Vermieter zur Anfechtung des Mietvertrags wegen arglistiger Täuschung auch nach Vollzug des Mietvertrags berechtigt.

LG Berlin, Urteil vom 27.03.2018 - 63 S 163/17 (AG Berlin-Schöneberg), BeckRS 2018, 20088

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 25/2018 vom 20.12.2018

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Sachverhalt

Die Kläger sind seit Oktober 2008 Mieter der streitgegenständlichen Wohnung. Anlässlich des Abschlusses des Mietvertrages füllten die Kläger in ihrer Bewerbung am 04.08.2008 einen Fragebogen aus, in welchem sie die Frage nach „sonstigen privaten oder geschäftlichen überfälligen Verpflichtungen“ verneinten. Am 31.10.2013 wurde über das Vermögen beider Kläger Insolvenz eröffnet. Gegenstand des Insolvenzverfahrens waren offene Forderungen von insgesamt fast 500.000 EUR. Der Beklagte stellte daraufhin Ermittlungen an. Am 31.07.2015 teilte ihm eine beauftragte Detektei mit, dass die Klägerin zu 2.) im Jahr 2006 die eidesstattliche Versicherung, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses noch Bestand hatte, abgegeben hatte, der Kläger zu 1.) aufgrund von Haftbefehlen aus den Jahren 2008 und 2009 die Vermögensauskunft abgegeben hatte. Mit Schreiben vom 11.08.2015 focht der Kläger den Mietvertrag wegen arglistiger Täuschung über die Vermögensverhältnisse an.

Die Kläger nehmen den Beklagten auf Mängelbeseitigung und Feststellung der Minderung wegen Schimmels und Feuchtigkeit in der streitgegenständlichen Wohnung in Anspruch. Sie behaupten, die Feuchtigkeitsschäden beruhten auf einem Baumangel. Sie sind ferner der Auffassung, die Anfechtungsfrist sei abgelaufen, da der Beklagte bereits 2013 aufgrund der Eröffnung der jeweiligen Insolvenzverfahrens Kenntnis von den Vermögensverhältnissen gehabt habe. Jedenfalls sei eine Anfechtung rechtsmissbräuchlich, da keine Mietrückstände bestünden. Das Anfechtungsrecht sei im Übrigen bereits deshalb ausgeschlossen, weil der Mietvertrag seit 7 Jahren vollzogen worden sei. Die Frage nach den Verbindlichkeiten stelle eine allgemeine Geschäftsbedingung (AGB) dar und sei unwirksam. Der Beklagte hat widerklagend beantragt, die Kläger zur Räumung zu verurteilen.

Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und der Widerklage stattgegeben. Der Mietvertrag sei aufgrund Anfechtung nichtig. Das Anfechtungsrecht werde auch nach Vollzug des Mietvertrages nicht durch das Recht zur Kündigung verdrängt. Den Klägern stünde wegen der Beendigung des Mietverhältnisses kein Anspruch auf Mängelbeseitigung und Feststellung der Berechtigung zur Minderung zu. Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger

Entscheidung: Anfechtung erfolgte fristgerecht und mit ausreichendem Anfechtungsgrund, weil die Frage nach den Vermögensverhältnissen zulässig war

Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Mietvertrag sei aufgrund der durch den Beklagten erklärten Anfechtung erloschen, § 142 BGB. Entgegen der Auffassung der Kläger sei eine Anfechtung auch nach Vollzug des Mietverhältnisses möglich. Dafür spreche auch, dass die Anfechtungsfrist bei der arglistigen Täuschung ein Jahr ab Kenntnis beträgt. Verwehre man dem Vermieter ein Ausschöpfen derselben für den Fall, dass der Mieter 12 Monate die Miete pünktlich zahlte, verwehre man ihm praktisch das Anfechtungsrecht.

Es könne im vorliegenden Fall dahinstehen, ob die Anfechtung im Mietverhältnis ex tunc oder ex nunc wirke, da in beiden Fällen der Herausgabeanspruch des Beklagten bestünde und ein Anspruch auf Mängelbeseitigung und Feststellung der Minderung wegen Beendigung des Mietverhältnisses nicht bestünde.

Auch seien die Kläger zu Unrecht der Auffassung, dem Beklagten stünde bereits kein Anfechtungsgrund zu. Zutreffend gehe das Amtsgericht davon aus, dass der Anfechtungsgrund der arglistigen Täuschung i.S.d. § 123 BGB gegeben ist. Die Kläger haben wider besseren Wissens in dem Fragebogen anlässlich des Vertragsschlusses am 04.08.2008 angegeben, dass keine „überfälligen privaten oder geschäftlichen Verpflichtungen“ bestünden. Tatsächlich habe die Klägerin bereits im Jahr 2006 die eidesstattliche Versicherung abgegeben und gegen den Beklagten sei 28 Tage später ein Haftbefehl zur Erzwingung der Abgabe derselben erlassen worden. Sofern die Beklagten meinen, es stünde nicht fest, ob der Beklagte den Mietvertrag auch in Kenntnis der tatsächlichen Vermögensverhältnisse der Kläger geschlossen hätte, liege dies angesichts dessen, dass nicht nur geringfügige Schulden bestanden und beide Kläger bereits die Vermögensauskunft, bzw. eidesstattliche Versicherung abgegeben hatten, auf der Hand. Im Übrigen sei die Zahlung der Miete durch den Mieter dessen Hauptleistungspflicht aus § 535 Abs. 2 BGB, an deren Erfüllung der Vermieter naturgemäß ein gesteigertes Interesse habe.

Es könne ferner dahinstehen, ob den Mieter unabhängig von einer Falschbeantwortung der Frage ohnehin eine Aufklärungspflicht hinsichtlich prekärer Vermögensverhältnisse oder der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung, bzw. der Vermögensauskunft treffe; die im Fragebogen vor Vertragsabschluss gestellte Frage sei jedenfalls zulässig. Fragen nach den Einkommens- und Vermögensverhältnissen seien grundsätzlich geeignet, sich über die Bonität und Zuverlässigkeit des potentiellen Mieters ein gewisses Bild zu machen; es handele sich auch nicht um Fragen, die den persönlichen oder intimen Lebensbereich des Mieters betreffen und aus diesem Grund unzulässig seien. Etwas anderes ergebe sich auch nicht daraus, dass es sich „um eine AGB i.S.d. § 305 BGB handele, welche bei gebotener kundenfeindlichster Auslegung aufgrund der offenen Formulierung in den privaten Intimbereich der Kläger eingreife“. Bereits zweifelhaft, aber nicht zu entschieden, sei, ob derartige vorvertragliche Fragen in einem Fragebogen überhaupt eine AGB i.S.d. § 305 BGB darstellen, da sie nicht den Vertragsinhalt gestalten sollen. Aber selbst wenn, ergibt sich kein abweichendes Ergebnis. Entgegen der Auffassung der Kläger sei diese nicht unwirksam. Die Kläger verkennen, dass die betreffende Klausel zunächst nach den allgemeinen Auslegungsregeln (Wortlaut, systematische Stellung und Sinn und Zweck) gemäß den §§ 133, 157 BGB auszulegen sei und nur, wenn dann mehrere Deutungsalternativen in Betracht kämen, die kundenfeindlichste zu Lasten des Verwenders zu wählen sei. Im vorliegenden Fall führe die gebotene Auslegung nach den §§ 133, 157 BGB jedoch dazu, dass die Frage ausschließlich auf die finanziellen Verhältnisse der Kläger abziele und nicht auf deren sonstiges Privatleben, bzw. sich daraus ergebenden Verpflichtungen nicht finanzieller Natur. Sämtliche Fragen in dem betreffenden Abschnitt in dem „Bewerbungsbogen“ betreffen die finanziellen Verhältnisse der Mieter und zielen klar erkennbar auf deren Leistungsfähigkeit ab.

Die Anfechtungserklärung sei binnen Anfechtungsfrist gemäß § 124 Abs. 1 BGB erfolgt. Insbesondere habe der Beklagte nicht bereits aufgrund der Eröffnung der jeweiligen Insolvenzverfahren über das Vermögen der Kläger im Jahr 2013 Kenntnis von dem Anfechtungsgrund gehabt, da er eine Betriebskostennachforderung zur Insolvenztabelle angemeldet habe. Der Kläger habe substantiiert dargetan, erst am 31.07.2015 durch eine diesbezüglich von ihm beauftragte Detektei Kenntnis von den Umständen zur Zeit des Vertragsschlusses erlangt zu haben. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus den allgemeinen Umständen. Allein aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens müsse der Beklagte angesichts dessen, dass das Mietverhältnis zu diesem Zeitpunkt bereits seit fast 7 Jahren vollzogen wurde, nicht davon ausgehen, dass die finanziellen Probleme der Kläger bereits zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses bestanden. Der nachträgliche Vermögensverfall und die Eröffnung des Insolvenzverfahrens haben jedoch auf den Bestand des Mietverhältnisses keine Auswirkungen. Ein bloßer Verdacht oder Kennenmüssen des Anfechtungsgrundes genüge nicht für den Fristbeginn.

Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt habe, gelte das Hauptinteresse des Vermieters der pünktlichen Entrichtung der Miete. Dem haben die Kläger zwar stets Folge geleistet, jedoch bestehe das Risiko des Forderungsausfalls fort. Über dem Vermögen der Kläger sei im Jahr 2013 das Insolvenzverfahren eröffnet. Weder sei das Insolvenzverfahren beendet noch die Wohlverhaltensphase abgelaufen. Die Konten der Kläger seien nach wie vor gepfändet. Der Beklagte trage danach zum einen das Risiko, dass der den Klägern zustehende Pfändungsfreibetrag aufgrund unvorhergesehener Ausgaben nicht ausreiche, um die laufende Miete daraus zu bestreiten, zum anderen bestünde aufgrund der bestehenden Kontenpfändung die Möglichkeit, der Vollstreckung einer titulierten Forderung.

Praxishinweis

Eine Rechtspflicht zur Aufklärung bei Vertragsverhandlungen besteht auch ohne Nachfrage dann, wenn der andere Teil nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung redlicherweise die Mitteilung von Tatsachen erwarten durfte, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von erheblicher Bedeutung sind (BGH, Urteil vom 11.08.2010 - XII ZR 123/09, NZM 2010, 788). Dies betrifft insbesondere Tatsachen, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können (BGH, Urteil vom 11.08.2010 - XII ZR 192/08, NJW 2010, 3362 Tz 22). Ungefragt braucht der Mieter zwar über seine Einkommens- und Vermögensverhältnisse i.d.R. keine Auskunft zu geben; er hat aber Umstände zu offenbaren, die die Erfüllung wesentlicher Vertragspflichten gefährden können (BGH, Urteil vom 05.12.1975 – V ZR 34/74, BeckRS 1975, 31115883) oder geeignet sind, den Vertragszweck zu vereiteln (vgl. BGH, Urteil vom 21.06.1974 - V ZR 15/73, NJW 1974, 1505). Dies ist z.B. der Fall, wenn sich der Mieter zur Zahlung einer Miete in Höhe von mehr als 75% seines Einkommens verpflichtet (AG Frankfurt, Urteil vom 27.08.1987 - 33 C 627/87-29, NJW-RR 1988, 784) oder wenn er – wie vorliegend – kurz vor Mietvertragsabschluss die eidesstattliche Versicherung abgelegt hat (LG München II, Beschluss vom 08.01.1987 – 8 S 1616/87, WuM 1987, 379). Folgerichtig hat das LG Berlin im Erst-Recht-Schluss entschieden, dass Fragen zur Bonität des Mieters bei Vertragsabschluss zulässig sind, und auch einer AGB-Prüfung standhalten.

Redaktion beck-aktuell, 21. Dezember 2018.

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