BGH: Entziehung des Wohnungseigentums in Brucheigentum gegen den nicht störenden Miteigentümer

WEG §§ 18 I, II Nr. 1, 19 II; BGB §§ 569 II, 745 I, 749 I, II 1, 1365 I

1. Wohnungseigentum in Bruchteilseigentum kann insgesamt entzogen werden, wenn auch nur einer der Miteigentümer einen Entziehungstatbestand nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 WEG verwirklicht.

2. Der nicht störende Miteigentümer ist aber entsprechend § 19 Abs. 2 WEG berechtigt, die Wirkungen des Entziehungsurteils bis zur Erteilung des Zuschlags dadurch abzuwenden, dass er den Miteigentumsanteil des störenden Miteigentümers selbst erwirbt, den störenden Miteigentümer dauerhaft und einschränkungslos aus der Wohnanlage entfernt und dass er der Wohnungseigentümergemeinschaft alle Kosten ersetzt, die dieser durch die Führung des Entziehungsrechtsstreits und die Durchführung eines Zwangsversteigerungsverfahrens zur Durchsetzung des Entziehungsanspruchs entstanden sind.

BGH, Urteil vom 14.09.2018 - V ZR 138/17 (LG Dresden), BeckRS 2018, 25575

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 22/2018 vom 08.11.2018

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Sachverhalt

Die beklagten Eheleute sind Mitglieder der klagenden Wohnungseigentümergemeinschaft und je zur Hälfte Miteigentümer einer Eigentumswohnung in der Anlage, die sie seit Jahrzehnten selbst bewohnen. Der Beklagte zu 1 beschmierte wiederholt das Treppenhaus, eine Hinweistafel im Eingangsbereich der Anlage, eine Wohnungstür und Briefkästen anderer Wohnungseigentümer mit beschimpfenden Schriftzügen und beleidigte wiederholt andere Wohnungseigentümer lautstark in Fäkalsprache mit rassistischem Vokabular. Ferner kam es mehrfach zu erheblichen Körperverletzungen. Die Verwaltung forderte beide Beklagten unter Abmahnung mehrfach vergeblich auf, dieses Verhalten umgehend einzustellen. In einer Eigentümerversammlung wurde beschlossen, ein gerichtliches Eigentumsentziehungsverfahren gemäß § 18 WEG gegen beide Beklagte einzuleiten sowie sie unter Fristsetzung aufzufordern, ihre Wohnung zu veräußern, und die Verwaltung zu ermächtigen, bei erfolglosem Verstreichen der Frist die Verurteilung zur Veräußerung der Wohnung gemäß §§ 18, 19 WEG zu betreiben. Die schriftliche Aufforderung unter Fristsetzung der Verwaltung an die Beklagten zur Veräußerung der Wohnung blieb erfolglos. Diese Maßnahmen veranlassten den Beklagten zu 1 nicht, sein Verhalten zu ändern. Er führt sein Verhalten auf eine psychische Störung aus dem Formenkreis der Paranoia zurück, ist aber nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht schuldunfähig.

Das Amtsgericht hat beide Beklagte zur Veräußerung ihres Wohnungseigentums verurteilt. Auch das hat den Beklagten zu 1 nicht zu einer Änderung seines Verhaltens veranlasst. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels die Verurteilung der Beklagten zu 2 aufgehoben und die Entziehungsklage insoweit abgewiesen. Zwar seien die Pflichtverletzungen des Beklagten zu 1 so schwerwiegend, dass den anderen Wohnungseigentümern die Fortsetzung der Gemeinschaft nicht mehr zugemutet werden könne, allerdings könne eine Veräußerung des Wohnungseigentums nicht auch gegen die Beklagte zu 2 verlangt werden, da in ihrer Person die Voraussetzungen für eine Entziehung nicht vorlägen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der vom Landgericht zugelassenen Revision.

Entscheidung: Wohnungseigentum in Bruchteilseigentum kann insgesamt entzogen werden

Die Revision der Klägerin ist begründet.

Neben der rechtskräftig festgestellten Verpflichtung des Beklagten zu 1, seinen Miteigentumsanteil gemäß § 18 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 WEG zu veräußern, sei auch die Beklagte zu 2 – obwohl sie selbst den Entziehungstatbestand des § 18 WEG nicht verwirklicht – aufgrund des Verhaltens des Beklagten zu 1 verpflichtet, ihren Miteigentumsanteil zu veräußern.

Wohnungseigentum in Bruchteilseigentum könne insgesamt entzogen werden, wenn auch nur einer der Miteigentümer einen Entziehungstatbestand nach § 18 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 WEG verwirklicht. Der nicht störende Miteigentümer sei aber entsprechend § 19 Abs. 2 WEG berechtigt, die Wirkungen des Entziehungsurteils bis zur Erteilung des Zuschlags dadurch abzuwenden, dass er den Miteigentumsanteil des störenden Miteigentümers selbst erwirbt, den störenden Miteigentümer dauerhaft und einschränkungslos aus der Wohnanlage entfernt und dass er der Wohnungseigentümergemeinschaft alle Kosten ersetzt, die dieser durch die Führung des Entziehungsrechtsstreits und die Durchführung eines Zwangsversteigerungsverfahrens zur Durchsetzung des Entziehungsanspruchs entstanden sind.

Zwar deute die Formulierung des § 18 Abs. 1 Satz 1 u. Abs. 2 Nr. 1 WEG auf ein personenbezogenes Verständnis der Vorschrift hin, jedoch spreche die Formulierung der Rechtsfolge in der Vorschrift für eine objektbezogene Sichtweise. Gegenstand der Veräußerung sei „sein“ Wohnungseigentum, nicht ein Anteil daran. Diese Ambivalenz des Wortlauts, vor allem aber die Anwendung der Vorschrift auf Wohnungseigentum, das mehreren Personen zur gesamten Hand gehört, zeigen, dass die Frage nicht begrifflich geklärt werden könne, sondern so beantwortet werden müsse, wie es Funktion und Zweck der Vorschrift erfordern. Die Entziehungsklage nach §§ 18 und 19 WEG solle den Wohnungseigentümern eine effektive Möglichkeit geben, den Gemeinschaftsfrieden wiederherzustellen, wenn er durch das Verhalten eines Wohnungseigentümers - vom Gesetzgeber „Störenfried“ genannt - nachhaltig gestört ist. Sie sei aber nur als letztes Mittel gedacht. Den ihm zugedachten Zweck, den Störenfried aus der Wohnanlage zu entfernen, könne aber der Entziehungsanspruch gemäß §§ 18, 19 WEG bei einer Beschränkung auf den Miteigentumsanteil des Störenfrieds nicht, jedenfalls nicht effizient erreichen. Zum einem würde die Zwangsversteigerung des Miteigentumsanteils voraussichtlich nur selten gelingen, weil das Interesse von Bietern regelmäßig sehr gering sei. Des Weiteren sei zu erwarten, dass Gebote auf den Miteigentumsanteil des Störenfrieds oft durch die Aussicht motiviert seien, nach der Ersteigerung des Miteigentumsanteils gemäß §§ 180, 181 ZVG die Teilungsversteigerung des gesamten Wohnungseigentums betreiben zu können. In diesem Fall würde die mit der Beschränkung des Entziehungsanspruchs auf den Miteigentumsanteil des Störenfrieds beabsichtigte Schonung des nicht störenden Miteigentümers im Endergebnis nicht erreicht, weil das Wohnungseigentum am Ende doch insgesamt versteigert werden würde.

Dem schützenswerten Interesse des nicht störenden Miteigentümers an dem Erhalt seines Miteigentumsanteils könne deshalb nur dadurch Rechnung getragen werden, dass dem nicht störenden Miteigentümer die Befugnis eingeräumt würde, die Wirkung des auch gegen ihn ergehenden Entziehungsurteils gemäß § 19 Abs. 1 WEG in entsprechender Anwendung von § 19 Abs. 2 WEG abzuwenden. Eine unbeabsichtigte Gesetzeslücke liege vor, da der Gesetzgeber die in dem Entziehungsanspruch liegende Beschränkung des Eigentumsrechts gerade mit den vorgeschalteten Verfahrensschritten, der gerichtlichen Prüfung und vor allem damit gerechtfertigt habe, dass der Wohnungseigentümer, dem das Wohnungseigentum entzogen werden soll, die Möglichkeit habe, die Entziehung von vornherein zu vermeiden. Diese Möglichkeit habe jedoch der nicht störende Miteigentümer nicht; ihm solle das Wohnungseigentum aber gleichwohl mitentzogen werden. Dem Plan des Gesetzes entspreche es, die Lücke durch die entsprechende Anwendung von § 19 Abs. 2 WEG zu schließen. Nach dieser Vorschrift könne der Wohnungseigentümer, dem das Wohnungseigentum wegen Rückständen bei der Erfüllung seiner Verpflichtungen zur Lasten- und Kostentragung gemäß § 16 Abs. 2 WEG nach Maßgabe von § 18 Abs. 2 Nr. 2 WEG entzogen werden soll, die Wirkungen des Entziehungsurteils bis zur Erteilung des Zuschlags dadurch abwenden, dass er die Verpflichtungen, derentwegen er verurteilt ist, einschließlich der Verpflichtung zum Ersatz der durch den Entziehungsrechtsstreit und das Versteigerungsverfahren entstandenen Kosten sowie der fälligen weiteren Verpflichtungen zur Lasten- und Kostentragung erfüllt. Der Wohnungseigentümer erhielte also in dieser Fallgestaltung zur Vermeidung unverhältnismäßiger Eingriffe in sein Wohnungseigentum die Chance, die Entziehung des Wohnungseigentums gewissermaßen in letzter Minute zu verhindern. Hätte der Gesetzgeber erkannt, dass sich bei Wohnungseigentum, das mehreren Miteigentümern nach Bruchteilen zusteht, der Entziehungsanspruch effektiv nur durchsetzen lässt, wenn es insgesamt und damit auch dem Miteigentümer entzogen wird, der selbst den Entziehungstatbestand nicht verwirklicht, hätte er auch für ihn eine entsprechende Abwendungsmöglichkeit vorgesehen. Auf diese Weise ließe sich dem zu schützenden Interesse des nicht störenden Wohnungseigentümers an der Erhaltung des Wohnungseigentums Rechnung tragen, ohne die effiziente Durchsetzung des Entziehungsanspruchs zu gefährden.

Praxishinweis

Der BGH hatte die bisher umstrittene Frage zu klären, ob aufgrund eines Verhaltens eines Miteigentümers in Bruchteilseigentum, das den Entziehungstatbestand des § 18 WEG verwirklicht, auch der sich regelkonform verhaltene Miteigentümer zur Veräußerung seines Miteigentumsanteils verpflichtet ist oder ob sich der Entziehungsanspruch der übrigen Wohnungseigentümer in einer solchen Konstellation auf die Entziehung des Miteigentumsanteils des störenden Miteigentümers beschränkt.

Nach einer Ansicht kann in diesem Fall von allen Miteigentümern die Entziehung der ganzen Einheit verlangt werden, aufgrund des aus der Vorschrift zu entnehmenden sog. Objektprinzips und der Erwägung, dass die Entziehung anders nicht durchgesetzt werden könne (Skauradszun in BeckOGK § 18 WEG, Rn. 14; Grziwotz in Erman BGB-Kommentar, 15. Aufl. 2017, § 18 WEG Rn. 2e; Engelhardt in MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 18 WEG Rn. 4). Nach der Gegenmeinung müssen sich die anderen Miteigentümer das Fehlverhalten des den Gemeinschaftsfrieden störenden Miteigentümers nicht zurechnen lassen, mit der Folge, dass sie nicht verpflichtet werden können auch ihren Miteigentumsanteil zu veräußern. (Wicke in Palandt, 77. Aufl. 2017, § 18 WEG Rn. 1; Suilmann in Bärmann Kommentar zum WEG, 13. Aufl. 2015, § 18 Rn. 11).

Mit überzeugenden Argumenten entscheidet sich der BGH vorliegend für erstere Ansicht. Eine Veräußerung nur eines Miteigentumsanteils ist in der Praxis kaum möglich, sodass dem Störer auch kein adäquater Geldausgleich aufgrund der Entziehung zugutekommen würde. Durch die analoge Anwendung des § 19 Abs. 2 WEG wird dem anderen Miteigentümer auch die Möglichkeit eingeräumt, der Entziehung des eigenen Miteigentumsanteils entgegen zu wirken. Auch wenn er hierfür u. U. erhebliche finanzielle Mittel aufwenden muss, ist es im Ergebnis gerechtfertigt. Denn das Verhalten des Störers muss sich der Miteigentümer allein schon deshalb zurechnen lassen (vgl. LG Köln ZMR 2002, 227), weil er das Wohnungseigentum gemeinsam mit dem Störer nutzt (§ 14 Nr. 2 WEG) und die Störung nicht unterbindet. Intern könnte der Miteigentümer die Entziehung zudem auch durch Teilungsversteigerung abwehren.

Redaktion beck-aktuell, 12. November 2018.