BGH: Kein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht des Mieters nach Zustimmung zu einer Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete

BGB §§ 312 I, 312c, 312g, 355 I, 558 I, 558a I, 558b I, II

1. Der Anwendungsbereich des § 312 Abs. 4 BGB ist einschränkend dahin auszulegen, dass ein Widerrufsrecht des Mieters bei einer Zustimmungserklärung zu einer vom Vermieter verlangten Erhöhung der Miete nach den §§ 558 ff. BGB nicht gegeben ist.

2. Bei Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete ist ein Mieter durch die Vorschriften der §§ 558 ff. BGB bereits ausreichend geschützt. Den zusätzlichen Schutz des § 312 Abs. 4 Satz 1 BGB bedarf es nicht.

BGH, Urteil vom 17.10.2018 - VIII ZR 94/17 (LG Berlin)

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwalt Nikolay Pramataroff, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 21/2018 vom 25.10.2018

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Sachverhalt

Der Kläger ist Mieter einer Wohnung der Beklagten in Berlin. Im Juli 2015 forderte die Beklagte, vertreten durch die Hausverwaltung, den Kläger unter Bezugnahme auf den Berliner Mietspiegel brieflich auf, einer (näher erläuterten) Erhöhung der Netto-Kaltmiete von 807,87 EUR auf 929,15 EUR zuzustimmen. Dem kam der Kläger zwar zunächst nach, erklärte jedoch kurz darauf den Widerruf seiner Zustimmung. Anschließend entrichtete er von Oktober 2015 bis Juli 2016 die monatlich um 121,18 EUR erhöhte Miete lediglich unter Vorbehalt. Mit seiner Klage verlangt er die Rückzahlung der für diese zehn Monate entrichteten Erhöhungsbeträge von insgesamt 1.211,80 EUR sowie die Feststellung, dass sich die Netto-Kaltmiete der von ihm gemieteten Wohnung nicht erhöht habe.

Die Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Dabei ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass im Grundsatz auch bei Zustimmungserklärungen des Mieters zu Mieterhöhungsverlangen (§§ 558a Abs. 1, 558b Abs. 1 BGB) ein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht des Verbrauchers bestehe. Im vorliegenden Fall fehle es jedoch an einem im Fernabsatz geschlossenen Verbrauchervertrag (§ 312c Abs. 1 BGB). Denn die Mieterhöhungsvereinbarung zwischen dem Kläger als Verbraucher und der Beklagten, die gewerblich Wohnungen vermiete, sei zwar unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln (Brief), nicht jedoch "im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems" (§ 312c Abs. 1 Halbs. 2 BGB) getroffen worden. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Entscheidung: Es besteht kein Widerrufsrecht bei einer Mieterhöhung nach §§ 558 ff. BGB

Der BGH hat die Revision zurückgewiesen.

Die gemäß § 558b Abs. 1 BGB erklärte Zustimmung des Mieters zu einem Mieterhöhungsverlangen des Vermieters nach § 558 Abs. 1, § 558a Abs. 1 BGB sei vom Anwendungsbereich des Verbraucherwiderrufs bei Fernabsatzverträgen nicht erfasst und dem Mieter stünde ein dahingehendes Widerrufsrecht nicht zu. Der Wortlaut des § 312 Abs. 4 Satz 1 BGB erstrecke das Widerrufsrecht zwar auf "Verträge über die Vermietung von Wohnraum".

Der Anwendungsbereich dieser Vorschrift jedoch sei dahingehend einschränkend auszulegen, dass ein Widerrufsrecht des Mieters bei einer Zustimmungserklärung zu einer vom Vermieter verlangten Erhöhung der Miete nach den §§ 558 ff. BGB nicht gegeben sei. Dies folge aus dem Regelungszweck sowohl der Bestimmungen über die Mieterhöhung bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete (§§ 558 ff. BGB) als auch der Bestimmungen über das Widerrufsrecht des Verbrauchers bei Fernabsatzverträgen. Mit dem in § 312 Abs. 4 Satz 1 BGB vorgesehenen Widerrufsrecht des Mieters einer Wohnung solle Fehlentscheidungen aufgrund der Gefahr psychischen Drucks sowie dem typischerweise bestehenden Informationsdefizit des Mieters begegnet werden. Dieser Zielsetzung des Gesetzes trügen bei Mieterhöhungen bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete die in den §§ 558 ff. BGB vorgesehenen Bestimmungen zum Schutz des Mieters bereits uneingeschränkt Rechnung. Gemäß § 558a Abs. 1 BGB sei das (in Textform zu erklärende) Mieterhöhungsverlangen vom Vermieter zu begründen. Damit solle dem Mieter die Möglichkeit gegeben werden, die sachliche Berechtigung des Erhöhungsverlangens zu überprüfen. Schon dadurch könne der Mieter seinen rechtsgeschäftlichen Willen ohne ein Informationsdefizit und außerhalb einer etwaigen Drucksituation bilden. Außerdem räume das Gesetz dadurch, dass der Vermieter frühestens nach Ablauf des zweiten Kalendermonats nach Zugang des Mieterhöhungsverlangens auf Erteilung der Zustimmung klagen kann (§ 558b Abs. 2 BGB), dem Mieter eine angemessene Überlegungsfrist ein, innerhalb derer er sich entscheiden könne, ob und gegebenenfalls inwieweit er der Mieterhöhung zustimmt. Somit sei bereits durch die Bestimmungen der §§ 558 ff. BGB sichergestellt, dass der Sinn und Zweck der verbraucherschützenden Regelungen für Vertragsabschlüsse im Fernabsatz erfüllt ist.

Praxishinweis

Die Entscheidung des BGH – die bisher nur als Pressemitteilung vorliegt (FD-MietR 2018, 411375) – überzeugt mit guten Argumenten. Der Schutzweck des in § 312 Abs. 4 Satz 1 BGB vorgesehenen Widerrufsrechts ist es zum einen, den Mieter vor einer folgenschweren Entscheidung aufgrund einer Überrumpelung oder physischen Drucks zu bewahren. Bei einem vorliegend verwendeten Brief als Fernkommunikationsmittel kann jedoch, anders als bei einem unangemeldeten Besuch in der Wohnung des Mieters oder bei einem unangekündigten Telefonanruf, nicht von einer solchen Situation ausgegangen werden, bei dem der Mieter einem psychischen Druck oder gar einer Überrumpelung ausgesetzt wird.

Zum anderen soll dem typischerweise bei Fernabsatzverträgen bestehenden Informationsdefizit des Mieters begegnet werden. § 312c BGB ist in seiner Ausgestaltung allerdings dem traditionellen Versandhandel bzw. dem Internethandel zugeschnitten (Blank in Schmidt-Futterer, Mietrecht 13. Auflage 2017, Vorb. § 535 Rn. 92 BGB). Dabei gibt der Verbraucher üblicherweise ein Kaufangebot ab, was der Unternehmer durch Zusendung der Ware annimmt. Erst beim Erhalt der Ware kann sich der Verbraucher ein Bild davon machen und sein bisheriges Informationsdefizit ausgleichen. Bei einem postalischen Mieterhöhungsverlangen des Vermieters können diese Grundsätze hingegen nicht übertragen werden. Zum einen kommt der Vertragsschluss durch ein Angebot des Unternehmers/Vermieters und der Annahme des Verbrauchers/Mieters zustande. Darüber hinaus ist dem Mieter aufgrund des bestehenden Mietvertrages der Vermieter bekannt. Schließlich wird das Informationsdefizit auch durch die Mieterhöhungsbegründung gemäß § 558a Abs. 1 BGB ausgeglichen. Da nach der Gesetzesbegrünung (BT-Drucks 17/12637, 48) § 312 Abs. 4 Satz 1 BGB ausdrücklich auf „spätere Vertragsänderungen (…) z.  B.  Abreden über Mieterhöhungen“ Anwendung finden soll, muss ein Widerrufsrecht des Mieters zumindest bei Mieterhöhungen gemäß § 557 Abs. 1 BGB angenommen werden, da anderenfalls fernabsatzvertragliche Mieterhöhungen überhaupt nicht in den Anwendungsbereich der Widerrufsvorschriften fallen würden (Kroll GE 2016, 699, 703).

Redaktion beck-aktuell, 2. November 2018.