BGH: Keine Haftung des Vermieters bei einer Befreiung vom Winterdienst

BGB § 823

Ein Vermieter und Grundstückseigentümer, dem die Gemeinde nicht (als Anlieger) die allgemeine Räum- und Streupflicht übertragen hat, ist regelmäßig nicht verpflichtet, auch über die Grundstücksgrenze hinaus Teile des öffentlichen Gehwegs zu räumen und zu streuen.

BGH, Urteil vom 21.02.2018 - VIII ZR 255/16 (OLG München)

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwältin Nicola Bernhard, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 05/2018 vom 15.03.2018

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Sachverhalt

Die Beklagte ist Eigentümerin eines Anwesens in der Innenstadt von München, in dem eine Wohnung an die frühere Lebensgefährtin und jetzige Ehefrau des Klägers vermietet war. Zwischen den Parteien steht nicht in Streit, dass die Räum- und Streupflicht (Winterdienst) für den Gehweg vor dem Grundstück der Beklagten grundsätzlich bei der Stadt München, der Streithelferin der Beklagten, liegt. Am 17.01.2010 stürzte der Kläger gegen 9.10 Uhr beim Verlassen des Wohnhauses auf einem schmalen von der Streithelferin nicht geräumten Streifen des öffentlichen Gehwegs im Bereich des Grundstückseingangs vor dem Anwesen der Beklagten. Hierbei zog er sich Frakturverletzungen am rechten Knöchel zu. Die Streithelferin hatte den Gehweg mehrfach geräumt und gestreut, wenn auch nicht auf der ganzen Breite und auch nicht bis zur Schwelle des unmittelbar an den Gehweg angrenzenden Anwesens der Beklagten. Die Beklagte wiederum hatte keine Schneeräumarbeiten auf dem Gehweg vorgenommen, weil sie ihrer Meinung nach dazu nicht verpflichtet war.

Die auf Zahlung materiellen Schadensersatzes i.H.v. 4.291,20 EUR, eines angemessenen Schmerzensgeldes (jeweils nebst Zinsen) sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfall gerichtete Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. 

Die Revision macht geltend, dass die Verkehrssicherungspflicht des Vermieters nicht "an der Grundstücksgrenze" enden könne, wenn die sicherungspflichtige Gemeinde den Gehweg im Eingangsbereich zu einem Anliegergrundstück nicht räume und so der sichere Zugang des Mieters und seiner Angehörigen vom geräumten Teil des Gehwegs zum Mietobjekt nicht gewährleistet sei.

Rechtliche Wertung

Der BGH hat die Revision des Klägers zurückgewiesen. Ein Anspruch auf Zahlung materiellen Schadenersatzes i.H.v. 4.291,20 EUR, eines angemessenen Schmerzensgeldes (jeweils nebst Zinsen) besteht nicht. Ebenfalls hat die Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle und immaterielle Schäden aus dem Unfall keinen Erfolg.

Zwar sei ein Vermieter aus dem Mietvertrag, in dessen Schutzbereich vorliegend auch der Kläger als Lebensgefährte der Mieterin einbezogen gewesen sei, verpflichtet, dem Mieter während der Mietzeit den Gebrauch der Mietsache und damit auch den Zugang zum Mietobjekt zu gewähren (§ 535 Abs. 1 BGB). Dazu gehöre es grundsätzlich auch, die auf dem Grundstück der vermieteten Wohnung befindlichen Wege, insbesondere vom Hauseingang bis zum öffentlichen Straßenraum, zu räumen und zu streuen. Die gleiche Pflicht treffe den Eigentümer eines Grundstücks im Übrigen auch im Rahmen der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) etwa gegenüber Mietern, Besuchern und Lieferanten.

Vorliegend sei der Kläger allerdings nicht auf dem Grundstück, sondern auf dem öffentlichen Gehweg gestürzt. Die dem Vermieter seinen Mietern gegenüber obliegende (vertragliche) Verkehrssicherungspflicht beschränke sich jedoch regelmäßig auf den Bereich des Grundstücks. Entsprechendes gelte für die allgemeine (deliktische) Verkehrssicherungspflicht des Eigentümers, sofern die Räum- und Streupflicht für den öffentlichen Gehweg von der Gemeinde nicht auf die Eigentümer (Anlieger) übertragen ist. Im Streitfall habe die Verkehrssicherungspflicht für den öffentlichen Gehweg vor dem Anwesen indes bei der Streithelferin und nicht bei der insoweit vom Winterdienst befreiten Beklagten gelegen.

Eine Ausweitung der betreffenden Verkehrssicherungspflicht über die Mietsache bzw. über das Grundstück hinaus komme demgegenüber allenfalls ausnahmsweise bei Vorliegen ganz außergewöhnlicher Umstände in Betracht, die im Streitfall aber nicht gegeben gewesen seien. Das Berufungsgericht habe es daher mit Recht als dem Kläger zumutbar angesehen, mit der gebotenen Vorsicht den schmalen, nicht geräumten Streifen des Gehwegs zu überqueren, um zu dem (durch die Streithelferin) von Schnee und Eis befreiten Bereich zu gelangen.

Praxishinweis

Der BGH verneint in der vorliegenden Entscheidung – die bislang nur als Pressemitteilung (FD-MietR 2018, 402521) vorliegt – im Grundsatz eine Räum- und Streupflicht des Vermieters über die Grenze seines Grundstücks hinaus für Teile des öffentlichen Gehwegs. Die Räum- und Streupflicht bildet einen Unterfall der allgemeinen Verkehrssicherungspflicht, die privatrechtlich aus § 823 BGB hergeleitet wird. Nach dem Urteil des BGH stellt sich für den Kläger die Frage, ob ihm einen Anspruch gegen die Landeshauptstadt München zusteht.

Gemäß Art. 51 Abs. 1 BayStrWG haben die Gemeinden innerhalb der geschlossenen Ortslage zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nach ihrer Leistungsfähigkeit die öffentlichen Straßen zu beleuchten, zu reinigen, von Schnee zu räumen und alle gefährlichen Fahrbahnstellen, die Fußgängerüberwege und die Gehbahnen bei Glätte zu streuen, wenn das dringend erforderlich ist und nicht andere auf Grund sonstiger Rechtsvorschriften (insbesondere der Verkehrssicherungspflicht) hierzu verpflichtet sind (BGH, Urteil vom 20.12.1990 - III ZR 21/90, NVwZ 1991, 1212; BayObLGZ 1973, 121). Beim Umfang der Streupflicht sind bezogen auf die Abstumpfung von Wegen bei Eisglätte insbesondere die Verkehrsbedeutung des Weges und der Umfang dessen üblicher Benutzung zu berücksichtigen. Das bedeutet, dass auf Bürgersteigen, in Fußgängerzonen und auf belebten Fußgängerüberwegen in der Regel etwa in einer Breite von 1,20 bis 1,30 Metern gestreut werden muss (OLG Frankfurt, Urteil vom 22.08.2001 - 23 U 195/00, NJW-RR 2002, 23; OLG Bamberg, Urteil vom 27.05.1975 - 5 U 46/75, NJW 1975, 1787). Der Gehweg war vorliegend geräumt, mit Ausnahme eines schmalen Streifens zum Zugang zum Mietobjekt. Das OLG Thüringen (Beschluss vom 06.06.2008 - 4 U 339/07, NZV 2009, 34) hat entschieden, dass sich die Streupflicht der Gemeinde für einen Parkplatz auf die „verkehrswesentlichen” Flächen beschränkt. Parkflächen, die von den Mietern einer Wohnanlage gequert werden müssen, um zu den Wohnungen zu gelangen, brauchen nicht über die dazu notwendige Verbindung zu den Wohnungen hinaus abgestreut zu werden. Daher überwiegt das Mitverschulden des ortskundigen Fußgängers, der weiß, dass ein Gehweg nicht abgestreut und glatt ist, bei einem Sturz einen etwaigen Verstoß des Verkehrssicherungspflichtigen gegen die Streupflicht so überwiegend, dass der Fußgänger allein haftet. Dies muss erst recht im vorliegenden Fall gelten, wenn nur eine schmale Stelle nicht geräumt war, die Stadt München aber ansonsten ihrer Räum- und Streupflicht nachgekommen ist; eine Haftung der Stadt München scheidet damit vorliegend wohl aus.

Redaktion beck-aktuell, 16. März 2018.