AG Göttingen: Mieter muss Gefährdung durch Extremisten angeben

BGB §§ 123, 124, 142

1. Ein potenzieller Mieter muss gegenüber einem potenziellen Vermieter nicht seine politischen Auffassungen offenbaren.

2. Für einen potenziellen Vermieter kann jedoch der Umstand, dass der potenzielle Mieter „Anziehungspunkt für linksgerichtete Gewalt“ ist, ein für den Vermieter bedeutsamer Umstand sein, über den bei Vertragsschluss aufgeklärt werden muss.

AG Göttingen, Urteil vom 24.10.2017 - 18 C 41/17, BeckRS 2017, 132201

Anmerkung von
Rechtsanwalt Prof. Dr. Wolf-Rüdiger Bub, Rechtsanwältin Nicola Bernhard, Rechtsanwälte Bub, Gauweiler & Partner, München

Aus beck-fachdienst Miet- und Wohnungseigentumsrecht 24/2017 vom 07.12.2017

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Miet- und Wohnungseigentumsrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Miet- und Wohnungseigentumsrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Miet- und Wohnungseigentumsrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de


Sachverhalt

Die Klägerin verlangt von den Beklagten die Räumung einer Mietwohnung. Die Klägerin als Vermieterin schloss mit dem Beklagten zu 1.) einen Mietvertrag über eine Wohnung. In § 13 („Untervermietung“) heißt es u. a.: „Dem Vermieter ist bekannt, dass der Mieter die Wohnung dauerhaft seinem Sohn zur Nutzung überlässt.“ In der Folgezeit kam es im Bereich des Wohnhauses wiederholt zu politisch motivierten Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. Ähnliche Vorfälle hatte es bereits an der früheren Wohnung des Mannes gegeben.

Mit Schreiben vom 09.01.2017 erklärte die Klägerin die Anfechtung des Mietvertrages gegenüber dem Beklagten zu 1.) und sprach ihm gegenüber hilfsweise die außerordentliche, und weiter hilfsweise auch die ordentliche Kündigung aus. Sie ist der Auffassung, sie sei bei Abschluss des Mietvertrages arglistig getäuscht worden.

Rechtliche Wertung

Die Klage ist begründet.

Die Klägerin hat die Willenserklärung, die zum Abschluss des Mietvertrages geführt hatte, nach §§ 123, 124, 142 BGB wirksam angefochten. Die Klägerin wurde arglistig über einen für den Abschluss des Mietvertrages bedeutsamen Umstand getäuscht. In Kenntnis des wahren Sachverhaltes hätte sie den Mietvertrag nicht abgeschlossen. Ein potenzieller Mieter müsse vor Unterschrift unter einen Mietvertrag zwar nicht seine politische Gesinnung offenbaren. Wenn jemand jedoch linksgerichtete Gewalt anziehe, sei dies ein "bedeutsamer Umstand", über den der Mieter seinen Vermieter vor Vertragsabschluss aufklären müsse.

Das Gericht ist davon überzeugt, dass diese Kenntnis auch schon vor bzw. bei Abschluss des Mietvertrages vom 20./21. Juni 2016 bekannt war.

Mit Schreiben vom 09.01.2017 hat die Klägerin die auf den Abschluss des Mietvertrages gerichtete Willenserklärung wirksam angefochten.

Eine Bestätigung des anfechtbaren Rechtsgeschäfts nach § 141 BGB ist nicht, insbesondere auch nicht durch das Abmahnschreiben vom 18.11.2016 erfolgt. Es fehlt bereits an einer entsprechenden Willenserklärung dahingehend, trotz der grundsätzlich bestehenden Anfechtbarkeit des Mietvertrages diesen „dennoch“ durchzuführen.

Infolge der wirksamen Anfechtung des Mietvertrages fehle es an einem Besitzrecht zugunsten der Beklagten nach § 986 BGB, so dass sie verpflichtet sind, nach § 985 BGB die Mietsache an die Klägerin herauszugeben.

Praxishinweis

Das AG Göttingen schließt sich mit der vorliegenden Entscheidung der Rechtsprechung des BGH (Urteil vom 11.08.2010 - XII ZR 123/09, NZM 2010, 788; Urteil vom 11.08.2010 - XII ZR 192/08, NZM 2010, 786) an, wonach der Mieter verpflichtet ist, den Vermieter vor Abschluss über außergewöhnliche Umstände aufzuklären, mit denen der Vermieter nicht rechnen kann und die offensichtlich für diesen von erheblicher Bedeutung sind. Die Anfechtung wirkt gem. § 142 Abs. 1 BGB auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück.

Dem Vermieter, der ein Mietverhältnis nach Überlassung der Mietsache anficht, steht ein Anspruch auf Wertersatz gemäß § 818 Abs. 2 BGB zu, der sich nach dem objektiven Verkehrswert der Gebrauchsvorteile und damit nach der Miete einschließlich Nebenkosten richtet, die auf dem örtlichen Markt für vergleichbare Objekte erzielt wird, was ggfs. durch Sachverständigengutachten zu ermitteln ist. Der in Höhe der marktüblichen Miete bestehende Anspruch auf Wertersatz gem. § 818 II BGB unterliegt bei nichtigem Gewerberaummietvertrag wie ein Mietanspruch der Umsatzsteuer (BGH, Urteil vom 06.08.2008 - XII ZR 67/06, NJW 2009, 1266, 1269).

Darüber hinaus muss der Vermieter im Falle der Anfechtung die Kaution herausgeben, da insoweit ein Anspruch nicht besteht. Ein Anspruch auf Ersatz eines durch eine Untervermietung eventuell erzielten Gewinns besteht nicht (BGH, Urteil vom 06.08.2008 - XII ZR 67/06, NJW 2009, 1266, 1269).

Redaktion beck-aktuell, 7. Dezember 2017.