BGH: Miet­min­de­rung wegen Lärm­be­läs­ti­gung

BGB §§ 536 I, 569 III Nr. 2 S. 1

Zu den An­for­de­run­gen an die Dar­le­gung eines zur Miet­min­de­rung be­rech­ti­gen­den Man­gels (hier: Lärm­be­läs­ti­gun­gen in einem hell­hö­ri­gen Ge­bäu­de).

BGH, Be­schluss vom 21.02.2017 - VIII ZR 1/16 (OLG Stutt­gart), BeckRS 2017, 103891

An­mer­kung von
Rechts­an­walt Prof. Dr. Wolf-Rü­di­ger Bub und Rechts­an­wäl­tin Ni­co­la Bern­hard
Rechts­an­wäl­te Bub, Gau­wei­ler & Part­ner, Mün­chen

Aus beck-fach­dienst Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht 06/2017 vom 30.03.2017

Diese Ur­teils­be­spre­chung ist Teil des zwei­wö­chent­lich er­schei­nen­den Fach­diens­tes Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht. Neben wei­te­ren aus­führ­li­chen Be­spre­chun­gen der ent­schei­den­den ak­tu­el­len Ur­tei­le im Miet- und Woh­nungs­ei­gen­tums­recht be­inhal­tet er er­gän­zen­de Leit­satz­über­sich­ten und einen Über­blick über die re­le­van­ten neu er­schie­ne­nen Auf­sät­ze. Zudem in­for­miert er Sie in einem Nach­rich­ten­block über die wich­ti­gen Ent­wick­lun­gen in Ge­setz­ge­bung und Pra­xis. Wei­te­re In­for­ma­tio­nen und eine Schnell­be­stell­mög­lich­keit fin­den Sie unter www.​beck-​online.​de


Sach­ver­halt

Der Be­klag­te ist Mie­ter einer Woh­nung der Klä­ge­rin, die im vier­ten Ober­ge­schoss eines im Jahr 1954 er­bau­ten und (un­strei­tig) hell­hö­ri­gen Mehr­fa­mi­li­en­hau­ses ge­le­gen ist. Der Be­klag­te be­an­stan­det seit lan­gem fort­wäh­rend be­stehen­de un­zu­mut­ba­re Lärm­be­läs­ti­gun­gen (un­zu­mut­bar laute Klopf­ge­räu­sche, fes­tes Ge­tram­pel, Mö­bel­rü­cken usw.), denen er in sei­ner Woh­nung aus­ge­setzt sei und die nach sei­ner Auf­fas­sung aus der über ihm lie­gen­den Woh­nung der Mie­te­rin B. her­rühr­ten. Er kürz­te die Miete des­we­gen zu­nächst um mo­nat­lich 40,90 EUR und spä­ter um 81,80 EUR mo­nat­lich, so dass zu­nächst ein Rück­stand von 861,98 EUR auf­lief, den die Klä­ge­rin zum An­lass nahm, das Miet­ver­hält­nis frist­los zu kün­di­gen. Der Be­klag­te hat den ein­be­hal­te­nen Be­trag in­ner­halb der Schon­frist (§ 569 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 BGB) unter Vor­be­halt nach­ge­zahlt.

Die auf Räu­mung, Zah­lung rück­stän­di­ger Miete und vor­ge­richt­li­cher Rechts­an­walts­kos­ten sowie auf Fest­stel­lung der Ver­pflich­tung zur Zah­lung einer Nut­zungs­ent­schä­di­gung bis zum Aus­zug ge­rich­te­te Klage hat vor dem Amts­ge­richt - mit Aus­nah­me eines Teils der Ne­ben­for­de­rung - Er­folg ge­habt, wäh­rend die auf Zah­lung eines Schmer­zens­gel­des und auf Aus­keh­rung eines von der Klä­ge­rin mit an­geb­li­chen Miet­rück­stän­den ver­rech­ne­ten Gut­ha­bens (Ne­ben­kos­ten, Di­vi­den­den­gut­schrift) ge­rich­te­te Wi­der­kla­ge des Be­klag­ten ab­ge­wie­sen wor­den ist. Die hier­ge­gen ge­rich­te­te Be­ru­fung des Be­klag­ten hat le­dig­lich be­züg­lich des Zah­lungs­an­trags und hin­sicht­lich der Räu­mungs­kla­ge in­so­weit Er­folg ge­habt, als das Be­ru­fungs­ge­richt die Be­en­di­gung des Miet­ver­hält­nis­ses nur auf­grund or­dent­li­cher Kün­di­gung be­jaht und dem Be­klag­ten eine Räu­mungs­frist be­wil­ligt hat.

Recht­li­che Wer­tung

Die zu­läs­si­ge Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de hat in der Sache Er­folg und führt zur Auf­he­bung des Be­ru­fungs­ur­teils und zur Zu­rück­ver­wei­sung der Sache an das Be­ru­fungs­ge­richt. Die an­ge­foch­te­ne Ent­schei­dung ver­let­ze in ent­schei­dungs­er­heb­li­cher Weise den An­spruch des Be­klag­ten auf Ge­wäh­rung recht­li­chen Ge­hörs (Art. 103 Abs. 1 GG).

Das Be­ru­fungs­ge­richt habe Art. 103 Abs. 1 GG ver­letzt, da es sich ge­wei­gert habe, den Par­tei­vor­trag zur Kennt­nis zu neh­men und sich mit ihm in­halt­lich aus­ein­an­der­zu­set­zen.

Da die Min­de­rung nach § 536 Abs. 1 BGB kraft Ge­set­zes ein­tritt, ge­nü­ge der Mie­ter sei­ner Dar­le­gungs­last schon mit der Dar­le­gung eines kon­kre­ten Sach­man­gels, der die Taug­lich­keit der Miet­sa­che zum ver­trags­ge­mä­ßen Ge­brauch be­ein­träch­tigt; das Maß der Ge­brauchs­be­ein­träch­ti­gung (oder einen be­stimm­ten Min­de­rungs­be­trag) braucht er hin­ge­gen nicht vor­zu­tra­gen. Von ihm sei auch nicht zu for­dern, dass er über eine hin­rei­chend ge­naue Be­schrei­bung der Man­gel­er­schei­nun­gen („Man­gel­sym­pto­me“) hin­aus die ihm häu­fig nicht be­kann­te Ur­sa­che die­ser Sym­pto­me be­zeich­net. Viel­mehr ob­lie­ge es dem Ge­richt schon dann, wenn der Mie­ter einen Miet­man­gel durch Be­schrei­bung der Man­gel­sym­pto­me dar­legt, die für das Vor­lie­gen des Man­gels an­ge­bo­te­nen Be­wei­se zu er­he­ben und - im Falle eines be­an­trag­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens - dem Sach­ver­stän­di­gen die be­weiser­heb­li­chen Fra­gen zu un­ter­brei­ten.

So lägen die Dinge hier. Der Be­klag­te habe die Lärm­be­las­tung, der er sich in sei­ner Woh­nung aus­ge­setzt sieht, aus­rei­chend be­schrie­ben und über­dies durch de­tail­lier­te „Lärm­pro­to­kol­le“ kon­kre­ti­siert, derer es bei aus­rei­chen­der Be­schrei­bung wie­der­keh­ren­der Lärm­be­ein­träch­ti­gun­gen nicht ein­mal be­darf. Zur Ur­sa­che des be­an­stan­de­ten Lärms müsse der Be­klag­te nichts wei­ter vor­tra­gen, zumal da es ihm als Laien weder mög­lich ist, die Lärm­quel­le einer be­stimm­ten an­de­ren Woh­nung zu­zu­ord­nen, noch dar­zu­le­gen, ob der als un­zu­mut­bar emp­fun­de­ne Lärm auf einem un­an­ge­mes­se­nen (nicht mehr so­zi­al­ad­äqua­ten) Wohn­ver­hal­ten an­de­rer Be­woh­ner des Hau­ses, auf einem man­gel­haf­ten Schall­schutz (Nicht­ein­hal­tung der zum Zeit­punkt der Er­rich­tung des Ge­bäu­des gel­ten­den Schall­schutz­vor­schrif­ten) oder auf einer Kom­bi­na­ti­on bei­der Ur­sa­chen be­ruht. Wenn die Par­tei - wie hier der Be­klag­te - gleich­wohl eine aus ihrer Sicht be­stehen­de Lär­m­ur­sa­che be­nennt, könne dar­aus nicht der Schluss ge­zo­gen wer­den, sie wolle Män­gel­rech­te nur für den Fall gel­tend ma­chen, dass aus­schlie­ß­lich diese Ur­sa­che und nicht eine an­de­re zu­trifft.

Das Be­ru­fungs­ge­richt habe die Be­weis­wür­di­gung vor­weg­ge­nom­men, wenn es zur un­ter­blie­be­nen Ein­ho­lung des be­an­trag­ten Gut­ach­tens aus­führt, es han­de­le sich um ein un­ge­eig­ne­tes Be­weis­mit­tel, weil der Sach­ver­stän­di­ge in der Ver­gan­gen­heit lie­gen­de Lärm­be­läs­ti­gun­gen schon ob­jek­tiv nicht fest­stel­len könne und es im vor­lie­gen­den Rechts­streit oh­ne­hin nicht um den Schall­schutz des Ge­bäu­des gehe. Zum einen habe das Be­ru­fungs­ge­richt in­so­weit den Vor­trag des Be­klag­ten über­gan­gen, es han­de­le sich um na­he­zu täg­li­che Lärm­be­läs­ti­gun­gen, also auch sol­che, die er­sicht­lich bis in die Ge­gen­wart rei­chen und des­halb durch­aus sach­ver­stän­di­ger Be­ur­tei­lung zu­gäng­lich sein kön­nen. Zum an­de­ren ginge das Rechts­schutz­be­geh­ren des Be­klag­ten er­sicht­lich dahin, den in sei­ner Woh­nung wahr­nehm­ba­ren und von ihm als un­zu­mut­bar ein­ge­schätz­ten Lärm fest­stel­len zu las­sen, wozu ohne wei­te­res auch eine (Mit-)Ver­ur­sa­chung durch einen un­zu­rei­chen­den bau­li­chen Schall­schutz ge­hört (etwa: Nicht­ein­hal­tung des bei Ge­bäu­de­er­rich­tung ma­ß­geb­li­chen Schall­schut­zes, Vor­han­den­sein von „Schall­brü­cken“).

Dass der Be­klag­te nicht aus­drück­lich gel­tend ge­macht hat, die Ur­sa­che des Lärms könne auch in der Nicht­ein­hal­tung der zur Er­rich­tung des Ge­bäu­des gel­ten­den Schall­schutz­vor­schrif­ten lie­gen, ist un­schäd­lich. Zwar kann ein Mie­ter nach der Recht­spre­chung des Se­nats man­gels kon­kre­ter an­der­wei­ti­ger Ver­ein­ba­run­gen in sei­ner Woh­nung nur einen Schall­schutz er­war­ten, der dem zur Zeit der Er­rich­tung des Ge­bäu­des gel­ten­den Stan­dard ent­spricht. Das ent­he­be den Ta­trich­ter aber nicht von der Not­wen­dig­keit der Ein­ho­lung eines be­an­trag­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens, mit des­sen Hilfe genau diese Prü­fung erst vor­ge­nom­men wer­den kann. Zudem liegt nach den An­ga­ben, die die als Zeu­gen ver­nom­me­nen Be­woh­ner des Ge­bäu­des zur In­ten­si­tät der in den Woh­nun­gen wahr­nehm­ba­ren Ge­räu­sche aus an­de­ren Woh­nun­gen, aus dem Trep­pen­haus und sogar aus dem Nach­bar­haus ge­macht haben, die Mög­lich­keit nicht fern, dass selbst der ver­gleichs­wei­se nied­ri­ge Schall­schutz­stan­dard im Zeit­punkt der Er­rich­tung des aus der Nach­kriegs­zeit stam­men­den Ge­bäu­des nicht ein­ge­hal­ten ist. Soll­te dies der Fall sein, ist es nicht aus­zu­schlie­ßen, dass auch so­zi­al­ad­äqua­tes Wohn­ver­hal­ten von Mit­be­woh­nern, etwa wegen be­stehen­der Schall­brü­cken, zu einer schlecht­hin un­zu­mut­ba­ren und des­halb als Miet­man­gel ein­zu­stu­fen­den Lärm­be­las­tung in der Woh­nung des Be­klag­ten ge­führt und ihn auch zur Min­de­rung der Miete be­rech­tigt hat.

Pra­xis­hin­weis

Der BGH schlie­ßt sich mit der vor­lie­gen­den Ent­schei­dung sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung (BGH, Ur­teil vom 29.02.2012 – VIII ZR 155/11, BeckRS 2012, 7851) an, wo­nach es zur Dar­le­gung wie­der­keh­ren­der Be­ein­träch­ti­gun­gen des Miet­ge­brauchs einer Be­schrei­bung ge­nügt, aus der sich er­gibt, um wel­che Art von Be­ein­träch­ti­gun­gen (Par­ty­ge­räu­sche, Musik, Lärm durch Putz­ko­lon­nen auf dem Flur o.ä.) es geht, zu wel­chen Ta­ges­zei­ten, über wel­che Zeit­dau­er und in wel­cher Fre­quenz diese un­ge­fähr auf­tre­ten. Der Vor­la­ge eines "Pro­to­kolls", aus dem sich Be­ginn und Ende der Stö­rung, be­zo­gen auf eng be­grenz­te Zeit­räu­me, sowie ob­jek­ti­ve An­ga­ben über ein­zel­ne Vor­gän­ge  (We­te­kamp, Miet­sa­chen, Ka­pi­tel 5. Miet­min­de­rung Rn. 37) bzw. der Vor­la­ge von Lärm­mes­sun­gen (KG, Ur­teil vom 03.06.2002 - 8 U 74/01, NZM 2003, 718) be­darf es nicht. Auch das Maß der Ge­brauchs­be­ein­träch­ti­gung (oder einen be­stimm­ten Min­de­rungs­be­trag) braucht der Mie­ter nicht vor­zu­tra­gen (vgl. BGH, Ur­teil vom 27.02.1991 - XII ZR 47/90, NJW-RR 1991, 779; Be­schluss vom 11.06.1997 - XII ZR 254/95, WuM 1997, 488 unter b mwN; je­weils zu § 537 BGB a. F, Be­schluss vom 25.10.2011 - VIII ZR 125/11, NZM 2012, 109).

Der BGH hat für eine Miet­min­de­rung des­halb den Vor­trag des Mie­ters für aus­rei­chend er­ach­tet, dass die Lärm­be­läs­ti­gung durch das Ge­bell der wei­ter­hin ge­hal­te­nen drei bis vier Hunde ... un­ver­min­dert fort­ge­dau­ert habe, was der Mie­ter im Ein­zel­nen dar­ge­legt und durch Zeu­gen unter Be­weis ge­stellt hat. Es be­durf­te unter die­sen Um­stän­den kei­ner wei­ter­ge­hen­den An­ga­ben zur Dauer des Bel­lens, zu des­sen Ver­tei­lung über den Tag sowie zur Laut­stär­ke des Hun­de­lärms und damit auch nicht eines „Bell­pro­to­kolls“ (BGH, Ur­teil vom 29.02.2012 - VIII ZR 155/11, NZM 2012, 760).

Redaktion beck-aktuell, 30. März 2017.

Mehr zum Thema