BGH: Keine Verfahrenskostenstundung bei Nichterreichbarkeit der Restschuldbefreiung

InsO §§ 4a I, 302 Nr. 1

Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in Höhe von mehr als 1,8 Mio. EUR schließen eine Stundung der Verfahrenskosten aus (Leitsatz des Gerichts).

BGH, Beschluss vom 13.02.2020 - IX ZB 39/19 (LG Berlin), BeckRS 2020, 2669

Anmerkung von
Rechtsanwalt Stefano Buck, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 06/2020 vom 20.03.2020

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Sachverhalt

Der am 12.11.1965 geborene Schuldner beantragte am 7.5.2018 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen und Restschuldbefreiung. Die Kosten des Insolvenzverfahrens deckende Masse ist nicht vorhanden. Unter dem 5.6.2018 beantragte der Schuldner zusätzlich die Stundung der Verfahrenskosten. Nach dem Ergebnis der Ermittlungen des Gutachters gibt es 33 Gläubiger, die Forderungen in Höhe von insgesamt 4.514.100 EUR gegen den Schuldner haben. Eine dieser Forderungen, diejenige des Finanzamtes in Höhe von 1.837.310 EUR ist eine solche aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung. Der Schuldner verbüßt wegen Steuerhinterziehung seit August 2017 eine mehrjährige Haftstrafe.

Das Insolvenzgericht hat den Antrag des Schuldners auf Stundung der Verfahrenskosten abgelehnt. Die sofortige Beschwerde des Schuldners gegen diesen Beschluss ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgte der Schuldner den Antrag auf Stundung der Verfahrenskosten weiter. Im Ergebnis ohne Erfolg.

Entscheidung: Keine Verfahrenskostenstundung, wenn die Restschuldbefreiung wegen § 302 InsO nicht erreicht werden kann

Das Beschwerdegericht habe den Antrag des Schuldners für unzulässig gehalten. Eine Stundung brauche nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung dann nicht gewährt zu werden, wenn die Restschuldbefreiung nicht erreicht werden könne, etwa dann, wenn die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gem. § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgenommen seien. Dies sei hier der Fall. Die Forderung des Finanzamtes sei eine – vom Schuldner auch so anerkannt – solche aus unerlaubter Handlung. Anhaltspunkte dafür, dass die Forderung nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht entsprechend angemeldet werden würde, gebe es nicht. Die Forderung sei auch nicht verjährt. Allerdings gebe es keine höchstrichterliche Rechtsprechung dazu, unter welchen Voraussetzungen eine von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderung „wesentlich" sei. Nach der vom BGH geteilten Ansicht der Kammer komme es insoweit nicht auf einen Prozentsatz an, sondern darauf, ob die Forderung den Schuldner überfordern würde, weil ein wirtschaftlicher Neubeginn dann nicht erreicht werden könne. So liege der Fall hier. Der Schuldner könne eine Forderung von 1.837.310 EUR auch nach der Erteilung der Restschuldbefreiung offensichtlich nicht erfüllen. Er habe auch nicht behauptet, dass er in der Lage sei, einen Betrag in dieser Größenordnung in absehbarer Zeit aufzubringen. Es reiche nicht aus, dass der Schuldner mit nur einem verbleibenden Gläubiger besser verhandeln könne als mit 33 Gläubigern.

Praxishinweis

Nach gefestigter Rechtsprechung des BGH zu § 4a InsO in der bis zum 1.7.2014 geltenden Fassung (fortan: InsO a.F.) kommt eine Stundung der Verfahrenskosten nicht in Betracht, wenn die Restschuldbefreiung aus anderen als in dem § 4a InsO a.F. genannten Gründen offensichtlich nicht erreicht werden kann.

Ob und in welchem Umfang an dieser Rechtsprechung nach der Neufassung des § 4a InsO durch Art. 1 des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte vom 15.7.2013 (BGBl. I 2379) festgehalten werden kann, hat der Senat bisher offengelassen (vgl. BGH WM 2017, 1218). Für den hier in Rede stehenden Fall, dass eine Restschuldbefreiung unabhängig vom Vorliegen eines Versagungsgrundes offensichtlich nicht erreicht werden kann, weil die wesentlichen am Verfahren teilnehmenden Forderungen gem. § 302 InsO von der Restschuldbefreiung ausgeschlossen sind, hält der Senat an seiner bisherigen Rechtsprechung fest. Eine Stundung der Verfahrenskosten kommt in einem solchen Fall nicht in Betracht (vgl. z.B. Braun/Buck, InsO, 8. Aufl., § 4a Rn. 7). Der Wortlaut des neu gefassten § 4a I InsO schließt eine Ablehnung der Stundung aus anderen als den in § 4a l 3 InsO genannten Gründen nicht aus. Die amtliche Begründung des Gesetzesentwurfs setzt sich mit der Rechtsprechung des BGH zur Sperrfrist auseinander, die nur noch eingeschränkt fortgelten soll (vgl. dazu BGH, a.a.O.), nicht aber mit der Rechtsprechung zur Nichterreichung des Verfahrenszwecks wegen von der Restschuldbefreiung ausgenommener Forderungen (BT-Drucks. 17/11268, S. 25; vgl. auch Möhring, ZVI 2017, 289). Hätte der Gesetzgeber auch diese Rechtsprechung unterbinden wollen, wäre dies in der Neufassung des Gesetzes oder wenigstens in dessen amtlicher Begründung zum Ausdruck gekommen. Hierauf wies der BGH in der Entscheidung ausdrücklich hin.

Redaktion beck-aktuell, 24. März 2020.