BGH: An­for­de­run­gen an die Fest­stel­lung der Zah­lungs­un­fä­hig­keit bei der Ge­schäfts­füh­rer­haf­tung gemäß § 64 Satz 1 GmbHG

GG Art. 3; GmbHG § 64

Bei Fest­stel­lung der Zah­lungs­un­fä­hig­keit als Vor­aus­set­zung der Ge­schäfts­füh­rer­haf­tung gemäß § 64 Satz 1 GmbHG ist dem sub­stan­ti­ier­ten Vor­trag des Ge­schäfts­füh­rers, wo­nach gegen die Ge­sell­schaft ge­rich­te­te For­de­run­gen noch nicht fäl­lig ge­we­sen seien, nach­zu­ge­hen. (Leit­satz des Ver­fas­sers)

BGH, Ur­teil vom 21.05.2019 - II ZR 337/17 (OLG Frank­furt a. M.), BeckRS 2019, 12184

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Rechts­an­walt Dr. Peter de Bra, Schult­ze & Braun GmbH Rechts­an­walts­ge­sell­schaft

Aus beck-fach­dienst In­sol­venz­recht 15/2019 vom 18.07.2019

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Sach­ver­halt

Der kla­gen­de In­sol­venz­ver­wal­ter nimmt die be­klag­ten Ge­schäfts­füh­rer der In­sol­venz­schuld­ne­rin auf Er­stat­tung von nach Ein­tritt der Zah­lungs­un­fä­hig­keit ge­leis­te­ten Zah­lun­gen gem. § 64 Satz 1 GmbHG in An­spruch. Diese hat­ten sich in den Vor­in­stan­zen ma­ß­geb­lich damit ver­tei­digt, dass die For­de­run­gen einer Lie­fe­ran­tin, mit denen der Klä­ger die Zah­lungs­un­fä­hig­keit im We­sent­li­chen be­grün­de­te, noch gar nicht fäl­lig ge­we­sen seien, da nach den zwi­schen der Lie­fe­ran­tin und der spä­te­ren In­sol­venz­schuld­ne­rin ge­trof­fe­nen Ver­ein­ba­run­gen die Fäl­lig­keit davon ab­ge­han­gen habe, dass eine Ein­bin­dung der durch die Lie­fe­ran­tin ge­lie­fer­ten Tech­nik in das Netz der Schuld­ne­rin er­fol­ge. Dies sei aus von der Lie­fe­ran­tin zu ver­tre­te­nen Grün­den erst spä­ter er­folgt. Das Be­ru­fungs­ge­richt war gleich­wohl von einer Fäl­lig­keit die­ser For­de­run­gen aus­ge­gan­gen und hatte dem­entspre­chend die Zah­lungs­un­fä­hig­keit und Haf­tung der Be­klag­ten be­jaht. Die durch den BGH zu­ge­las­se­ne Nicht­zu­las­sungs­be­schwer­de führ­te in­so­weit zur Zu­rück­ver­wei­sung an das Be­ru­fungs­ge­richt.

Ent­schei­dung: Ma­chen be­son­de­re Um­stän­de deut­lich, dass tat­säch­li­ches Vor­brin­gen eines Be­tei­lig­ten bei der Ent­schei­dung nicht er­wo­gen wor­den ist, ver­stö­ßt dies gegen Art. 103 I GG

Der Senat stellt fest, dass das Be­ru­fungs­ge­richt bei der Fest­stel­lung des Zeit­punkts der Zah­lungs­un­fä­hig­keit in ent­schei­dungs­er­heb­li­cher Weise den An­spruch der Be­klag­ten auf recht­li­ches Gehör (§ 544 VII ZPO) ver­letzt habe. Das Gebot des recht­li­chen Ge­hörs ver­pflich­te das Ge­richt, die Aus­füh­run­gen der Pro­zess­be­tei­lig­ten zur Kennt­nis zu neh­men und in Er­wä­gung zu zie­hen. Ein Ver­stoß gegen Art. 103 I GG setze dabei vor­aus, dass im Ein­zel­fall be­son­de­re Um­stän­de deut­lich mach­ten, dass tat­säch­li­ches Vor­brin­gen eines Be­tei­lig­ten ent­we­der über­haupt nicht zur Kennt­nis ge­nom­men oder bei der Ent­schei­dung nicht er­wo­gen wor­den sei. Gehe das Be­ru­fungs­ge­richt in den Grün­den des Be­ru­fungs­ur­teils auf den we­sent­li­chen Kern des Vor­brin­gens einer Par­tei zu einer Frage nicht ein, das für das Ver­fah­ren von zen­tra­ler Be­deu­tung ist, lasse dies auf die Nicht­be­rück­sich­ti­gung des Vor­trags schlie­ßen, so­fern er nicht nach dem Rechts­stand­punkt des Ge­rich­tes un­er­heb­lich oder of­fen­sicht­lich un­sub­stan­ti­iert war.

Nach die­sen Maß­stä­ben sei im kon­kre­ten Fall Art. 103 I GG ver­letzt wor­den. Das Be­ru­fungs­ge­richt sei auf den we­sent­li­chen be­weis­be­wehr­ten Sach­vor­trag der Be­klag­ten dazu, warum die For­de­run­gen der Lie­fe­ran­tin trotz der in den ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen ent­hal­te­nen Klau­seln noch nicht fäl­lig ge­we­sen seien, nicht ein­ge­gan­gen. Die­ser Ge­hörs­ver­stoß sei für die Ent­schei­dung auch er­heb­lich ge­we­sen. Hätte das Be­ru­fungs­ge­richt die­sen Vor­trag bei sei­ner Ent­schei­dung be­rück­sich­tigt und die an­ge­bo­te­nen Be­wei­se ggf. er­ho­ben, sei nicht aus­zu­schlie­ßen, dass es zu dem Er­geb­nis ge­langt wäre, dass die For­de­run­gen, aus denen es die Zah­lungs­un­fä­hig­keit ab­lei­te­te, zum an­ge­nom­me­nen Zeit­punkt noch nicht fäl­lig waren. Die Ent­schei­dung des Be­ru­fungs­ge­richts ist daher auf­zu­he­ben und die Sache an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­zu­ver­wei­sen.

Pra­xis­hin­weis

Wer­den die Ge­schäfts­füh­rer auf Er­stat­tung von Zah­lun­gen gem. § 64 Satz 1 GmbHG in An­spruch ge­nom­men, wer­den in vie­len Fäl­len zur Frage der Zah­lungs­un­fä­hig­keit un­sub­stan­ti­ier­te und mit­un­ter sehr kon­stru­iert wir­ken­de Ein­wen­dun­gen er­ho­ben. Diese Er­fah­rung mag Ge­rich­te dazu ver­lei­ten, Ein­wen­dun­gen gegen die Fäl­lig­keit von die Zah­lungs­un­fä­hig­keit be­grün­den­den For­de­run­gen ohne viel Fe­der­le­sens ab­zu­tun – zumal dann, wenn wie im vor­lie­gen­den Fall sich die Fäl­lig­keit (schein­bar) aus ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen der Par­tei­en ohne Wei­te­res er­gibt. Wie der vor­lie­gen­de Fall zeigt, gibt es je­doch immer wie­der auch be­rech­tig­te Ein­wen­dun­gen der Ge­schäfts­füh­rer, denen das Ge­richt ggf. durch Be­weis­er­he­bung nach­zu­ge­hen hat. An­dern­falls muss es sich zu Recht einen Ver­stoß gegen das Recht auf recht­li­ches Gehör vor­wer­fen las­sen.

In ma­te­ri­el­ler Hin­sicht bleibt zu dem Ur­teil noch fest­zu­hal­ten, dass der BGH in sei­nen „Se­gel­hin­wei­sen“ für das Be­ru­fungs­ge­richt aus­drück­lich noch ein­mal dar­auf hin­ge­wie­sen hat, dass der Rück­for­de­rungs­an­spruch für die durch die Ge­schäfts­füh­rer ver­an­lass­ten Zah­lun­gen nicht daran schei­te­re, dass diese als pri­vi­le­giert iSd § 64 Satz 2 GmbHG an­zu­se­hen seien. Denn der Norm­zweck ver­bie­te es dem Ge­schäfts­füh­rer, das Un­ter­neh­men auf Kos­ten und Ge­fahr der Gläu­bi­ger­ge­samt­heit fort­zu­füh­ren. Le­dig­lich dann, wenn aus­nahms­wei­se eine kon­kre­te Chan­ce auf Sa­nie­rung und Fort­füh­rung im In­sol­venz­ver­fah­ren zu­nich­te ge­macht wer­den würde, könn­ten Zah­lun­gen zur Ver­mei­dung noch grö­ße­rer Nach­tei­le mit der Sorg­falt eines or­dent­li­chen Ge­schäfts­man­nes ver­ein­bar sein. Auch das zwei­te durch eine der Be­klag­ten of­fen­bar vor­ge­brach­te Ar­gu­ment, näm­lich ihre Ge­schäfts­füh­rer­tä­tig­keit „fak­tisch“ nie­der­ge­legt zu haben, weist der BGH zu­rück. Wolle sich der Ge­schäfts­füh­rer haf­tungs­be­frei­end von der Ge­sell­schaft tren­nen, müsse er sein Amt nie­der­le­gen.

Redaktion beck-aktuell, 24. Juli 2019.

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