BGH: Massezugehörigkeit der Ansprüche auf die Versicherungsleistung einer Lebensversicherung

InsO § 35, § 203 I 3; BetrAVG § 2 II 4

1. Ist der Schuldner Versicherungsnehmer einer Lebensversicherung und ist ihm ein unwiderrufliches Bezugsrecht eingeräumt worden, so gehören Ansprüche auf die Versicherungsleistung bereits vor dem Eintritt des Versicherungsfalls zur Insolvenzmasse.

2. Ansprüche des Schuldners auf die Todesfall- oder Erlebensfallleistung aus einer für die betriebliche Altersversorgung durch den Arbeitgeber abgeschlossenen Direktversicherung unterliegen der Nachtragsverteilung, soweit die Ansprüche in die Insolvenzmasse fallen. (von der Verfasserin bearbeitete Leitsätze des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 20.12.2018 - IX ZB 8/17 (LG Lüneburg), BeckRS 2018, 36262

Anmerkung von 
Rechtsanwältin Elke Bäuerle, Fachanwältin für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 05/2019 vom 01.03.2019

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Sachverhalt

Zugunsten des Schuldners waren zwei Direktversicherungen bei einer Versicherungsgesellschaft abgeschlossen worden. Dem Schuldner war ein unwiderrufliches Bezugsrecht im Erlebensfall eingeräumt worden. Die vereinbarte Sicherheitsleistung bestand in einer Kapitalzahlung, die beim Tode des Schuldners sofort, spätestens aber bei Vollendung des 65. Lebensjahrs fällig war. Die Versicherungen gingen nach der Beendigung der Tätigkeit des Schuldners auf den Schuldner über und waren beitragsfrei ruhend gestellt.

Die Insolvenzverwalterin hatte die Versicherungen wegen § 2 II 4 BetrAVG nicht verwertet und beantragt hinsichtlich der zukünftig dem Schuldner zustehenden Ansprüche aus den Direktversicherungen die Nachtragsverteilung anzuordnen. Die angeordnete Nachtragsverteilung wurde auf sofortige Beschwerde des Schuldners aufgehoben. Die zugelassene Rechtsbeschwerde, die von der Insolvenzverwalterin weiterverfolgt wurde, führte zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.

Entscheidung: Massezugehörigkeit der Ansprüche aus dem Versicherungsverhältnis

Die Anordnung der Nachtragsverteilung setzt voraus, dass der Gegenstand, dessen Nachtragsverteilung vorbehalten bleibt, zur Insolvenzmasse gehört. Zur Masse zählt ein Vermögensrecht dann, wenn der Erwerbstatbestand bereits im Zeitpunkt der Verfahrenseröffnung vollendet ist und bei einem mehraktigen Entstehungstatbestand bereits so viele Erfordernisse erfüllt sind, dass die Vollendung nicht mehr von einem willensgesteuerten Verhalten des Schuldners abhängt (MüKoInsO/Peters InsO § 35, Rn. 71). Ob diese Voraussetzungen bei Ansprüchen des Schuldners aus einer Direktversicherung im Sinne des § 1b II 1 BetrAVG erfüllt sind, richtet sich nach den versicherungsvertraglichen Regelungen, die den Zeitpunkt des Entstehens der jeweiligen Forderung bestimmen (vgl. BGH Beschl. v. 11.12.2014 - IX ZB 69/12).

Ist der Schuldner Versicherungsnehmer der Lebensversicherung, fällt der Anspruch auf die Versicherungsleistung regelmäßig in die Insolvenzmasse, da der Rechtsgrund für den aufschiebend bedingten Anspruch auf die Versicherungsleistung bereits gelegt ist. Dies gilt sowohl für den Anspruch auf die Todesfallleistung als auch für den Anspruch auf die Erlebensleistung. Es ist unerheblich, ob der Versicherungsfall erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens eintritt.

Ist der Schuldner nicht Versicherungsnehmer, kommt es auf seine versicherungsrechtliche Stellung an. Ist der Schuldner bezugsberechtigter Dritter, so erwirbt er die Versicherungsleistung erst mit Eintritt des Versicherungsfalls, § 159 II VVG, es sei denn, der Dritte ist unwiderruflich als Bezugsberechtigter benannt worden. In diesem Fall hat der Dritte den Anspruch bereits mit der Einräumung des unwiderruflichen Bezugsrechts erworben. Dieser ist damit im Sinne des § 35 InsO entstanden.

Ist der Schuldner Versicherungsnehmer der Lebensversicherung, gehören Ansprüche auf die Versicherungsleistung im Versicherungsfall nicht zur Masse, wenn der Schuldner einen Dritten unwiderruflich als Bezugsberechtigten bezeichnet hat. Der Dritte erwirbt die Ansprüche aus der Versicherung – soweit die unwiderrufliche Bezugsberechtigung reicht – regelmäßig sofort.

Ist der Schuldner Versicherungsnehmer der Lebensversicherung und hat er einen Dritten nur widerruflich als bezugsberechtigt bezeichnet, erwirbt der Dritte die Rechte erst mit Eintritt des Versicherungsfalls (BGH Urt. v. 26.1.2012 - IX ZR 99/11). Bis zum Eintritt des Versicherungsfalls kann der Anspruch auf die Versicherungssumme durch Widerruf des Bezugsrechts zur Insolvenzmasse gezogen werden.

Die Pfändungsvorschriften stehen der Anordnung der Nachtragsverteilung nicht entgegen. Zunächst war das Pfändungsverbot des § 851 I ZPO, § 2 II 4 BetrAVG zu beachten, weswegen die Nachtragsverteilung anzuordnen war, um den Eintritt des Versicherungsfalls abzuwarten. Bei Eintritt des Versicherungsfalls richtet sich der Schutz des Schuldners nicht mehr nach § 2 II 4 BetrAVG, sondern nach den allgemeinen Pfändungsschutzvorschriften.

Praxishinweis

Tritt die aufschiebende Bedingung für den Anspruch auf die Todesfall-Leistung oder Erlebensleistung erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens ein, fällt nicht die gesamte Versicherungsleistung zur Insolvenzmasse. Nach Eintritt des Versicherungsfalls gehören die Ansprüche aus den Direktversicherungen nur insoweit zur Masse, als sie aus Mitteln bis zur Aufhebung des Insolvenzverfahrens erlangt sind. Zur Insolvenzmasse zählt also nur das Anwartschaftsrecht in Höhe des Teilbetrags, der bis zur Beendigung des Insolvenzverfahrens erlöst worden wäre.

Redaktion beck-aktuell, 6. März 2019.