BGH: Pfändungsschutz für Mieteinkünfte auch bei vereinbarter stiller Zwangsverwaltung

InsO § 36 I 2; ZPO § 850i

Ein Schuldner, der seinen Lebensunterhalt aus erwirtschafteten Mieteinkünften bestreitet, kann im Insolvenzverfahren Pfändungsschutz für sonstige Einkünfte beantragen, auch wenn die Mieteinkünfte im Zuge einer vereinbarten stillen Zwangsverwaltung an einen Gläubiger abgeführt werden, dem der Schuldner die Mietforderungen als Sicherheit abgetreten und dem er Grundschulden an den Mietobjekten bestellt hat. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 11.3.2018 - IX ZB 95/15 (LG Frankfurt/Oder), BeckRS 2018, 3925

Anmerkung von 
Rechtsanwältin, Fachanwältin für Insolvenzrecht, Elke Bäuerle, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 9/2018 vom 27.04.2018

Diese Urteilsbesprechung ist Teil des zweiwöchentlich erscheinenden Fachdienstes Insolvenzrecht. Neben weiteren ausführlichen Besprechungen der entscheidenden aktuellen Urteile im Insolvenzrecht beinhaltet er ergänzende Leitsatzübersichten und einen Überblick über die relevanten neu erschienenen Aufsätze. Zudem informiert er Sie in einem Nachrichtenblock über die wichtigen Entwicklungen in Gesetzgebung und Praxis des Insolvenzrechts. Weitere Informationen und eine Schnellbestellmöglichkeit finden Sie unter www.beck-online.de

Sachverhalt

Über das Vermögen des Schuldners wurde am 29.10.2014 das Insolvenzverfahren eröffnet. In die Insolvenzmasse fielen zwei mit Mehrfamilienhäusern bebaute Grundstücke, die durch Darlehen finanziert waren. Zur Sicherung der Ansprüche auf Rückzahlung der Darlehen wurden lastend auf den beiden Grundstücken Grundschulden im Wert von jeweils 511.292 EUR nebst Zinsen eingetragen. Ebenso erfolgte eine Abtretung der gegenwärtigen und zukünftigen Mietforderungen gegen die Mieter und Pächter der beiden Häuser an das Kreditinstitut. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens meldete das Kreditinstitut eine Forderung von über 2 Mio. EUR zur Tabelle an. Die Insolvenzverwalterin zog im Wege der stillen bzw. kalten Zwangsverwaltung die Mieten und Pacht von monatlich insgesamt knapp 6.000 EUR ein und führte die Erlöse nach Abzug eines Beitrags für die Feststellung und Verwertung des Absonderungsrechts an das Kreditinstitut ab.

Mit Schreiben vom 6.2.2015 beantragte der Schuldner ab Februar 2015 monatliche Mieteinkünfte in Höhe von 518 EUR pfandfrei zu stellen, damit ihm unter Berücksichtigung seiner sonstigen Einkünfte und bei Abzug des Krankenversicherungsbeitrags der nach § 850b ZPO pfandfrei zu belassende Betrag von 1.050 EUR verbleibe.

Das AG hatte diesem Antrag stattgegeben. Auf die sofortige Beschwerde der Insolvenzverwalterin als weiterer Beteiligten wies das LG den Antrag zurück. Mit seiner vom LG zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgte der Schuldner seinen Freistellungsantrag weiter.

Entscheidung

Die vom Beschwerdegericht zugelassene und damit statthafte Rechtsbeschwerde war auch im Übrigen zulässig (§ 575 ZPO) und führte in der Sache zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und Zurückverweisung an das Beschwerdegericht.

Das Beschwerdegericht argumentierte, dass das Abtretungsverbot des § 400 BGB für unpfändbare Forderungen nicht eingreife, da das Kreditinstitut zugleich Grundpfandrechtsgläubigerin sei und über den Haftungsverband des Grundpfandrechtes nach §§ 1192 I, 1123 I BGB auch dann Zugriff auf die Mietforderungen habe, wenn – wie hier – die Abtretung nach § 110 I InsO mit der Insolvenzeröffnung unwirksam geworden ist.

Der BGH führt aus, dass mit dieser Begründung der vom Schuldner beantragte Pfändungsschutz für einen Teilbetrag der Mieteinnahmen nicht verweigert werden kann.

Der BGH führt zur Begründung aus, dass Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gem. § 36 I 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse zählen. § 36 I 2 InsO ordne die entsprechende Anwendung des § 850i ZPO an. Auf Antrag des Schuldners ist diesem bei der Pfändung sonstiger Einkünfte, die kein Arbeitseinkommen sind, so viel zu belassen, wie ihm verbliebe, wenn dieses Einkommen aus laufendem Arbeits- oder Dienstlohn bestünde. Durch die durch das Gesetz zur Reform des Kontopfändungsschutzes vom 7.7.2009 (BGBl I 2009 Seite 1707) neu gefasste Regelung werde der Pfändungsschutz für Arbeitseinkommen auf sonstige vom Schuldner erwirtschaftete Einkünfte übertragen. Zu diesen gehören nach der ständigen Rechtsprechung des BGH auch die Einkünfte aus Miete und Pacht (BGH BeckRS 2014, 14777). Damit ist gewährleistet, dass der Schuldner unabhängig davon, ob gegen ihn die Einzelzwangsvollstreckung betrieben wird oder über sein Vermögen ein Insolvenzverfahren eröffnet worden ist, seinen Lebensunterhalt in angemessenem Umfang mit eigenen Mitteln bestreiten kann und hierzu nicht auf staatliche Leistungen angewiesen ist (BT-Drs. 16/7615 Seite 12, 18).

Der Anwendung des § 850i ZPO steht weder die Abtretung der Mietforderungen noch das Erfassen der Mietforderungen vom Haftungsverband des Grundpfandrechts entgegen. Das Kreditinstitut hat hierdurch keine insolvenzfeste Rechtsposition erworben.

Die Vorausabtretung der Dienstforderungen des Schuldners war aufgrund der Insolvenzeröffnung am 29.10.2014 gem. § 110 I InsO nur wirksam, soweit sie sich auf den Zeitraum bis zum 30.11.2014 bezog.

Der BGH zieht zu seiner Begründung auch die Ausgestaltung des Pfändungsschutzes des Schuldners in der Einzelzwangsvollstreckung heran. Der Pfändungsschutz nach § 850i ZPO ist zwingendes Recht zum Schuldnerschutz (vgl. MüKoZPO/Smid, 5. Aufl., ZPO § 850i Rn. 5) und kann durch eine Forderungsabtretung nicht ausgeschlossen werden (vgl. BGH BeckRS 2003, 5081). Die Einschränkung des in § 400 BGB normierten Abtretungsverbots kommt nur dann in Betracht, wenn der Zessionar dem Zedenten eine Leistung gewährt, die den Pfändungsschutz entbehrlich macht (BGHZ 127, 354 [356]). Dies war hier jedoch nicht der Fall, sodass der Schuldner auch außerhalb eines Insolvenzverfahrens sich gegenüber dem Kreditinstitut darauf hätte berufen können, dass ihm Teile der abgetretenen Forderungen nach § 850i ZPO pfändungsfrei zu stellen sind.

Die uneingeschränkte Zuweisung der Mietforderungen an das Kreditinstitut folge auch nicht aus der Zuordnung der Forderungen nach §§ 1192 I, 1123 I BGB in den Haftungsverband der Grundschuld, da die Haftung der Mietforderungen sich erst mit der Beschlagnahme realisiere, die hier nicht erfolgt war. Erst im Falle einer Anordnung der Zwangsverwaltung nach § 866 ZPO, §§ 146 ff. ZVG gelten die besonderen Bestimmungen des § 149 ZVG. Diese sehen die Freistellung von Einkünften aus Mieten und Pachtverhältnissen bis zur Pfändungsgrenze von 850c ZPO nicht vor.

Im Streitfall war eine Zwangsverwaltung weder vor noch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens angeordnet worden. Die vereinbarte stille Zwangsverwaltung (vgl. dazu BGH BeckRS 2016, 13787) begründet kein der Beschlagnahme entsprechendes Recht des Kreditinstituts an den Miet- und Pachtforderungen des Schuldners. Aufgrund des zwingenden Charakters des Pfändungsschutzes nach § 850i ZPO wäre eine solche Verzichtsvereinbarung auch unzulässig gewesen.

Der BGH hob daher die Entscheidung des Beschwerdegerichts auf und verwies die Sache an das Beschwerdegericht zurück, damit die erforderlichen Feststellungen, ob und in welchem Umfange die Miet- und Pachtforderungen zur Deckung des Lebensunterhalts des Schuldners als massefrei zu belassen sind, getroffen werden können.

Praxishinweis

Das Urteil des BGH ist dogmatisch konsistent. Auf den ersten Blick stärkt die Entscheidung das Rechtsinstitut der Zwangsverwaltung. In einem obiter dictum hält der BGH jedoch fest, dass eine entsprechende Anwendung des § 850i ZPO bei angeordneter Zwangsverwaltung wegen des Unterbleibens der Anordnung im Streitfall nicht zu entscheiden war.

Redaktion beck-aktuell, 3. Mai 2018.