BGH: Nach Verfahrenseröffnung gefasste Beschlüsse von Anleihegläubigern nur durch Insolvenzgericht aufhebbar

SchVG § 19 I 1; InsO § 78

1. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners gefasste Beschlüsse der Gläubiger einer Schuldverschreibung können nur durch das Insolvenzgericht aufgehoben werden.

2. Ein Opt-in-Beschluss über die Anwendung des SchVG 2009 kann noch getroffen werden, nachdem ein Insolvenzverfahren über das Vermögen des Schuldners eröffnet wurde. (Leitsätze des Gerichts)

BGH, Urteil vom 16.11.2017 - IX ZR 260/15 (OLG Dresden), BeckRS 2017, 133792

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Tobias Hirte, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 1/2018 vom 05.01.2018

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Sachverhalt

Der Beklagte ist Insolvenzverwalter in dem am 1.4.2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen einer KGaA. Von der Schuldnerin erwarb der Kläger am 8.1.2007 eine Orderschuldverschreibung (Anleihe) iHv 7.000 EUR. In der Versammlung der Anleihegläubiger am 22.7.2014 wurde ua beschlossen, für die Anwendung des Schuldverschreibungsgesetzes 2009 zu optieren. Der Kläger beantragte im Wege der Anfechtungsklage die Beschlussfassung für nichtig zu erklären, hilfsweise festzustellen, dass der Beschluss nichtig ist. Das LG hat die Klage als unzulässig abgewiesen. Das Berufungsgericht hat unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung festgestellt, dass der Beschluss vom 22.7.2014 nichtig ist, und die Revision zugelassen. Der Beklagte begehrte mit seiner Revision die Abweisung der Klage. Der Kläger hält im Wege der Anschlussrevision an seinem Antrag fest. Die Revision des Beklagten führte unter Zurückweisung der Anschlussrevision des Klägers zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.

Entscheidung

Der BGH erachtet die erhobene Klage als unzulässig und weist die Beschlussfassung vom 22.7.2014 der Beschlusskontrolle nach § 78 InsO zu. Werde nach Verfahrenseröffnung gem. § 19 II 1 SchVG 2009 ein gemeinsamer Vertreter bestellt, so könne der Beschluss gem. § 19 I 1 SchVG, § 78 I InsO nur vom Insolvenzgericht aufgehoben werden, so der BGH. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass die Regelungen der InsO dem SchVG grundsätzlich vorgingen. Nur die Einberufung der Versammlung habe gem. § 19 II 2 SchVG 2009 zu erfolgen. Die Antragsberechtigung nach § 78 InsO beschränke sich auf die Gläubiger der jeweiligen Anleihe. Diesen stünden sowohl gegen die Aufhebung des Beschlusses als auch gegen die Ablehnung des Antrages auf Beschlussfassung die sofortige Beschwerde zu. Die Anleihegläubiger seien berechtigt, gem. § 24 II 1 SchVG 2009 im Einverständnis mit dem Schuldner einen Opt-in-Beschluss zu treffen. Die Gläubiger sollten gerade in Krise und Insolvenz des Schuldners die Möglichkeit eröffnen, Änderungen der Anleihebedingungen herbeizuführen, so der BGH weiter. Deshalb könnten Gläubiger zur Anwendung des sachlich vorzugswürdigeren Neurechts vor dem Stichtag ausgegebener Anleihen gem. § 24 II 1 SchVG 2009 mit Zustimmung des Schuldners entweder die Anleihebedingungen ändern oder den Austausch von Anleihen gegen neue mit geänderten Bedingungen beschließen. Für die Änderung der Anleihebedingungen stünden zwei Vorgehensweisen offen: Entweder die Gläubiger fassen einen Opt-in-Beschluss oder die Gläubiger müssen einen Grundlagenbeschluss treffen, um die Geltung des Neurechts in seiner Gesamtheit anzuordnen.

Praxishinweis

Mit der Entscheidung des BGH steht fest, dass Beschlussfassungen von Anleihegläubigern nicht durch Anfechtungsklage angegriffen werden können; gleiches gilt für eine Feststellungsklage, § 20 SchVG 2009, § 286 ZPO. Damit obliegt es dem Insolvenzgericht im Rahmen der Entscheidung nach § 78 InsO, im Beschwerdewege Entscheidungen herbeizuführen.

Redaktion beck-aktuell, 8. Januar 2018.