BGH: Kündigung eines Werklieferungsvertrages wegen Insolvenzeröffnung

InsO § 103; BGB §§ 649, 651

Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers stellt für sich genommen keinen wichtigen, die Vergütungsansprüche des Unternehmers ausschließenden Grund für die Kündigung eines nach dem Eröffnungsantrag geschlossenen Werklieferungsvertrages dar. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Urteil vom 14.09.2017 - IX ZR 261/15 (OLG München), BeckRS 2017, 126184

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 21/2017 vom 20.10.2017

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Sachverhalt

Der Kläger ist Verwalter in dem am 1.4.2013 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der M. GmbH (Schuldnerin). Zwischen dieser und der Beklagten bestand ein bereits 2008 abgeschlossener Rahmenvertrag über die Lieferung von Metallgussteilen. Der im Insolvenzeröffnungsverfahren zunächst zum vorläufigen Verwalter mit Zustimmungsvorbehalt bestellte Kläger erreichte für die weitere Belieferung der Beklagten den Abschluss einer Vereinbarung, die eine Preiserhöhung beinhaltete und eine Laufzeit bis 31.3.2013, wenn keine Verlängerung zustande kommen würde. Der am 26.3.2013 zum starken vorläufigen Verwalter bestellte Kläger übermittelte der Beklagten am 27.3.2013 einen neuen Vereinbarungsentwurf der eine weitere Preiserhöhung für Lieferungen ab Verfahrenseröffnung vorsah und beinhaltete, dass der Kläger als Insolvenzverwalter während der Vereinbarungslaufzeit das Wahlrecht nach § 103 InsO nicht ausübt, die Weiterbelieferung aber auch nach Verfahrenseröffnung keine konkludente Erfüllungswahl hinsichtlich der zwischen der Schuldnerin und der Beklagten bereits vor Antragstellung abgeschlossenen Verträge darstellt. Die Beklagte teilte mit am 2.4.2013 dem Kläger zugegangenen Schreiben vom 28.3.2013 mit, dass sie sich nicht weiter unter Druck setzen lassen werde und keine Grundlage für eine weitere Geschäftsbeziehung sehe. Der Kläger wiederum reagierte mit der Mitteilung der Einstellung der Produktion für die Beklagte, worauf die Beklagte am 3.4.2013 erklärte, dass die seit dem 1.4.2013 ausbleibenden Lieferungen von ihr als Nichterfüllungswahl verstanden werden und daher Einwände gegen den Produktionsstopp nicht bestehen.

Der Kläger forderte von der Beklagten Ausgleich des in der Fortführungsvereinbarung vereinbarten Werklohns abzüglich ersparter Aufwendungen für die bestellten, aber nicht abgenommenen Metallgussteile. Er war in allen Instanzen erfolgreich.

Entscheidung

Nach Ansicht des BGH ist der Anspruch des Klägers aus § 649 S. 2 BGB begründet.

Mit dem Abruf der Beklagten bei der Schuldnerin auf Basis des ursprünglichen Rahmenvertrages und der nach Anordnung der vorl. Insolvenzverwaltung vereinbarten Preiserhöhung seien zwischen der Schuldnerin und der Beklagten der Vorschrift des § 651 BGB unterfallende Werklieferungsverträge über bewegliche nicht vertretbare Sachen zustande gekommen.

Die Beklagte habe diese Werklieferungsverträge, gegenseitige Verträge im Sinne des § 103 InsO, mit ihrem als Kündigung auszulegenden Schreiben vom 28.3.2013 wirksam gem. § 649 BGB gekündigt.

Das Kündigungsrecht des Bestellers nach § 649 BGB bestehe auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Unternehmers unbeschränkt fort – davon sei auch der Gesetzgeber der Insolvenzordnung ausgegangen (vgl. BT-Drucks. 12/2443, S. 153 zu § 137 InsO-E), eine gegenteilige Regelung bestehe in der InsO nicht – und gelte auch für Werklieferungsverträge über unvertretbare Leistungen. Der BGH habe diese Frage zwar noch nicht entschieden, sei in früheren Entscheidungen jedoch vom Fortbestand eines vertraglich vereinbarten Kündigungsrechts nach Verfahrenseröffnung ausgegangen (BGH BeckRS 2003, 05240) und habe das gesetzliche Kündigungsrecht gem. § 649 BGB mit seinen Entscheidungen über die Zulässigkeit einer Kündigung nach § 8 II Nr. 1 Fall 2 VOB/B (2009), § 8 II Nr. 2 VOB/B (2009) (BGH BeckRS 2016, 08553 Rn 25 f) quasi stillschweigend vorausgesetzt.

Eine im Schreiben des Klägers vom 27.3.2013 enthaltene Erfüllungsablehnung habe die Wirksamkeit der Kündigung nicht beeinflusst.

Ungeachtet des Umstandes, dass § 103 InsO dem Insolvenzverwalter grundsätzlich nur ermögliche, die Erfüllung eines gegenseitigen und von keiner Partei bei Verfahrenseröffnung schon vollständig erfüllten und noch bestehenden Vertrages insgesamt abzulehnen oder die Erfüllung so zu verlangen, wie er vor Eröffnung abgeschlossen worden sei (BGH BeckRS 2006, 10362 Rn 14; BGH BeckRS 9998, 164590) und dieses Wahlrecht erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstehe, sei § 103 InsO nach ständiger Rechtsprechung des BGH und allgemeiner Meinung nicht auf den vorläufigen Insolvenzverwalter anwendbar (vgl. etwa BGH BeckRS 2008, 14195 Rn 30 mAnm Baumert FD-InsR 2008, 263948).

Gründe des in § 242 BGB verankerten Vertrauensschutzes, die es rechtsfertigen könnten, eine im Bereich der Anfechtung von Rechtshandlungen des vorläufigen Insolvenzverwalters relevante Bindung des Insolvenzverwalters (BGH BeckRS 2013, 03976 Rn 18 mAnm Herzig FD-InsR 2013, 344496; BGH BeckRS 2016, 08553 Rn 52) an Erklärungen des vorläufigen Verwalters, nach der Eröffnung einen Vertrag erfüllen oder nicht erfüllen zu wollen, auf das Schreiben des Klägers vom 27.3.2013 zu übertragen, kämen vorliegend nicht in Betracht. Da die Beklagte das dann den Rechtsfolgen des § 55 II 1 InsO unterfallende Angebot des Klägers in dessen Eigenschaft als vorläufiger starker Insolvenzverwalter nicht angenommen habe, sei bei Verfahrenseröffnung infolge der damit noch bestehenden Wahlmöglichkeit nach § 103 InsO offen gewesen, wie sich der Kläger verhalten würde. Der Kläger habe nämlich trotz fehlender Unterzeichnung des Vereinbarungsentwurfs liefern können.

Die Beklagte könne sich auch nicht auf einen den Anspruch des Klägers ausschließenden wichtigen Grund berufen.

Die Anwendung des § 314 BGB scheide aus, da vorliegend Gegenstand des Rechtsstreits nicht die Kündigung des Rahmenvertrages sei und auch der Feststellungsantrag nur die aus der Nichterfüllung der einzelnen Werklieferungsverträge entstandenen und noch entstehenden Schäden betreffe. Zwar sei, obwohl in der derzeitigen Fassung des § 649 BGB nicht vorgesehen, eine Kündigung aus wichtigem Grund nach ständiger Rechtsprechung des BGH für den Auftraggeber eines Werkvertrages unter bestimmten Voraussetzung zulässig (BGH BeckRS 2016, 08553 Rn. 40, 52 mwN). Auf den vorliegenden Fall der Kündigung einzelner Werklieferungsverträge lasse sich diese Rechtsprechung aber nicht übertragen. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens stelle vorliegend keinen wichtigen Grund für die Kündigung der zuvor geschlossenen Werklieferungsverträge dar. Dem dem Insolvenzverwalter in § 103 InsO eingeräumten Wahlrecht sei in der Insolvenzordnung eine so bedeutende Stellung eingeräumt, dass es im Voraus weder ausgeschlossen oder eingeschränkt werden dürfe (§ 119 InsO). Dieses Wahlrecht könne trotz der bis zur Ausübung vorübergehend bestehenden Unklarheit auch durch eine Kündigung aus wichtigem Grund nicht unterlaufen werden.

Auch wenn der Insolvenzverwalter vertragliche Ansprüche grundsätzlich aber nur bei Erfüllungswahl geltend machen könne (BGH BeckRS 2015, 20934 mAnm Settele FD-InsR 2016, 375219), setze der Anspruch aus § 649 S. 2 BGB eine Erfüllungswahl des Verwalters nicht voraus, diese sei nach wirksamer Kündigung der Werklieferungsverträge durch den Beklagten aus Rechtsgründen ausgeschlossen gewesen.

Der Kläger könne daher gem. § 649 S. 2 BGB Zahlung der vereinbarten Vergütung verlangen, müsse sich aber dasjenige anrechnen lassen, was er infolge der Aufhebung der Verträge an Aufwendungen erspart oder durch anderweitige Verwendung seiner Arbeitskraft erwerbe oder zu erwerben böswillig unterlasse.

Praxishinweis

Zu Wirkung und Anwendung des § 103 InsO nach ständiger Rechtsprechung des Neunten Zivilsenats reicht der Hinweis auf die Ausführungen des BGH in Rn. 18, 19 der vorliegenden Entscheidung. Festzuhalten ist, dass der vorläufige „halbstarke“ Insolvenzverwalter grundsätzlich an „Wahlversprechen“ nicht gebunden ist, da § 103 InsO auf ihn nicht anwendbar ist. Davon will der BGH nicht, allenfalls unter „ganz besonderen Umständen“ aus Vertrauensschutzgründen (§ 242 BGB) abweichen. Die Ankündigung des vorläufigen mitbestimmenden Insolvenzverwalters, dass eine Weiterblieferung keine Erfüllungswahl im Sinne von § 103 InsO darstelle, reicht zumindest nicht aus. Die Konkretisierung ganz besonderer Umstände durch künftige Entscheidungen kann mit Spannung erwartet werden.

Positiv beantwortet wird die bis dato vom BGH nicht entschiedene Frage der Zulässigkeit einer auf § 649 S. 1 BGB gestützten „gewöhnlichen“ Kündigung eines Werkvertrages auch nach Verfahrenseröffnung. Das dem Verwalter in § 103 InsO eingeräumte Wahlrecht wird damit rechtlich „entwertet“, wirtschaftlich erfolgt eventuell ein Ausgleich durch einen Anspruch nach § 649 S. 2 InsO. Betriebsfortführungen (und ihre Planung) werden dadurch für den Insolvenzverwalter aber sicher nicht einfacher.

Die Kündigung des Bestellers aus wichtigem Grund ist nach den Ausführungen des BGH zum Schutz des dem Insolvenzverwalter eingeräumten Wahlrechts ab Verfahrenseröffnung an hohe Hürden geknüpft, insbesondere stellt weder die Eröffnung des Insolvenzverfahrens selbst einen wichtigen Grund dar, noch eine Verzögerung bis zur Entscheidung des Insolvenzverwalters in angemessener Frist und auch das trotz Erfüllungswahl eine Erfüllung hindernde Scheitern bei einer Betriebsfortführung. Hier gilt das Motto: „Drum prüfe, wer sich mit einem vorl. Insolvenzverwalter einlässt“.

Dass eine Kündigung aus wichtigem Grund vor der Eröffnung nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist, hat, worauf der Neunte Zivilsenat vorliegend hinweist, bereits der Siebte Zivilsenat für einen Bauvertrag entschieden. Die Rechtsprechung des Siebten Zivilsenates will der Neunte Zivilsenat zumindest nicht auf solche Werkverträge übertragen, deren Erfüllung bzw. Nichterfüllung für den Besteller nicht mit so weitreichenden wirtschaftlichen Folgen verbunden ist, wie dies bei einem Bauvertrag möglich ist. Ausgeschlossen hat er die grundsätzliche Möglichkeit aber nicht („Ob und unter welchen Voraussetzungen eine Kündigung aus wichtigem Grund vor der Eröffnung möglich gewesen wäre, bedarf keiner Entscheidung“). § 648a I BGB in der ab 1.1.2018 gültigen Fassung enthält eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage für eine Kündigung aus wichtigem Grund. Der Hinweis des Neunten Zivilsenats auf diese Regelung könnte durchaus als Hinweis verstanden werden, dass die darin zum Ausdruck kommende Interessenabwägung auch in anderen Fällen und bei „besonderen Umständen“ für die Zulässigkeit einer Kündigung aus wichtigem Grund herangezogen werden könnte.

Redaktion beck-aktuell, 25. Oktober 2017.