BGH: Keine rückwirkende Erteilung der Restschuldbefreiung

InsO a.F. §§ 287 II 1, 300

1. Die Restschuldbefreiung kann nicht rückwirkend erteilt werden.

2. Die Laufzeit der Abtretungserklärung endet in vor dem 01.12.2001 eröffneten Insolvenzverfahren spätestens 12 Jahre nach Insolvenzeröffnung. (Leitsätze des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 01.06.2017 - IX ZB 87/16 (LG Gera), BeckRS 2017, 114521

Anmerkung von 
Rechtsanwalt Dr. Dirk Pehl, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 15/2017 vom 28.7.2017

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Sachverhalt

Über das Vermögen des Schuldners wurde am 22.3.2000 ein Insolvenzverfahren eröffnet. Mit Beschluss vom 12.12.2009 wurde der weitere Beteiligte zum Treuhänder bestellt. Zudem wurde festgestellt, dass der Schuldner Restschuldbefreiung erlange, wenn er für die Zeit von fünf Jahren ab Aufhebung des Insolvenzverfahrens seinen im Einzelnen bezeichneten Obliegenheiten nachkomme. Mit Beschluss vom 6.7.2010 wurde das Insolvenzverfahren aufgehoben.

Am 18.12.2012 beantragte der Schuldner die vorzeitige Erteilung der Restschuldbefreiung und die Verkürzung der Wohlverhaltensperiode. Die Restschuldbefreiung wurde mit Beschluss vom 9.6.2015 erteilt. Zudem wurde festgestellt, dass mit Rechtskraft des Beschlusses der Beschlag für die pfändbaren Bezüge des Schuldners aus seinem Dienstverhältnis entfalle.

Die sofortige Beschwerde des Schuldners, mit welcher Restschuldbefreiung und Aufhebung des Beschlags für den pfändbaren Teil der Bezüge rückwirkend zum 18.12.2012 beantragt wurde, hatte keinen Erfolg. Die statthafte und zulässige Rechtsbeschwerde war nur teilweise erfolgreich.

Rechtliche Wertung

Zunächst stellte der BGH klar, dass, da das vorliegende Insolvenzverfahren vor dem 1.12.2001 eröffnet wurde, gem. Art. 103a EGInsO die Vorschriften der Insolvenzordnung in der bis dahin geltenden Fassung maßgebend seien. Aufgrund dessen sei gem. § 300 I, § 287 II 1 InsO a.F. erst dann über den Antrag des Schuldners auf Restschuldbefreiung zu entscheiden, wenn die Laufzeit der Abtretungserklärung verstrichen sei. Aufgrund des Beschlusses vom 6.7.2010, wonach die Laufzeit der Abtretungserklärung erst zum 6.7.2015 endete, habe das Insolvenzgericht bis zum 6.7.2015 keine Restschuldbefreiung erteilen können.

Sodann führte der BGH unter Hinweis auf seine bisherige Rechtsprechung (NZI 2013, 849 Rn. 14 ff., Rn. 17) aus, dass Art. 103a EGInsO im Hinblick auf Art. 3 I GG verfassungskonform dahingehend auszulegen sei, dass einem Schuldner 12 Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens gem. § 300 InsO auch vor Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung die Restschuldbefreiung zu erteilen sei. Er stellte fest, dass dem Schuldner bereits am 22.3.2012 die Restschuldbefreiung hätte erteilt werden müssen.

Der BGH führte aus, dass der Ablauf der in § 300 I InsO a.F. genannten Fristen nur eine verfahrensrechtliche Voraussetzung für die gerichtliche Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung sei. Der Beschluss des Insolvenzgerichts stelle keine schon bestehende Rechtslage deklaratorisch fest. Vielmehr würden die Änderungen der Rechtslage erst mit der positiven Entscheidung über die Restschuldbefreiung eintreten. Der BGH stellte klar, dass der Beschluss mit seiner Rechtskraft und mit Wirkung für die Zukunft die Rechtsfolgen des § 301 InsO für die nach § 286 InsO von der Restschuldbefreiung erfassten Verbindlichkeiten auslöse (BGH NJW 2008, 3640 Rn. 11).

Unter Hinweis auf seine bisherigen Rechtsprechung (BGH NZI 2013, 849) stellte der BGH weiter klar, dass nicht hingenommen werden könne, dass ein Schuldner in Altverfahren mehr als 12 Jahre alles, was er oberhalb der Pfändungsfreibeträge erwirtschafte, an den Insolvenzverwalter oder Treuhänder abgeben müsse. Zur Vermeidung dessen sei dem Schuldner die uneingeschränkte Berechtigung am pfändbaren Teil seiner künftigen Forderung auf Bezüge ab dem Ablauf von 12 Jahren nach Verfahrenseröffnung zu gewähren. Sofern das Insolvenzverfahren noch nicht aufgehoben sei, würden die Forderungen zu diesem Zeitpunkt vom Insolvenzbeschlag frei. Gleiches müsse nach Ansicht des BGH auch für Schuldner gelten, die sich bereits in der Wohlverhaltensperiode befänden. Dies gelte nach Auffassung des BGH auch für nach dem 1.12.2001 eröffnete Verfahren. In diesen Verfahren gebühre der Neuerwerb, welcher der Abtretungserklärung unterfalle, nach Ablauf von 6 Jahren ab Verfahrenseröffnung dem Schuldner. Letztlich stellte der BGH klar, dass der vom Insolvenzverwalter oder Treuhänder eingezogene Neuerwerb an den Schuldner auszukehren sei. Gleiches müsse auch für den hier zu entscheidenden Altfall gelten, da seit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bereits 12 Jahre vergangen seien.

Praxishinweis

Mit der vorliegenden Entscheidung führt der BGH seine Rechtsprechung zu Altfällen konsequent fort. Für Verfahren, die nach dem 1.7.2014 eröffnet wurden, hat der Gesetzgeber reagiert und in § 300a InsO eine entsprechende Regelung eingeführt.

Redaktion beck-aktuell, 31. Juli 2017.