BGH: Die «Freigabe» des Wohnraummietverhältnisses löst auch die Mietkaution aus dem Insolvenzbeschlag

InsO §§ 35 I, 108 I, 109 I 2, 203 I Nr. 3

Gibt der Insolvenzverwalter für das Wohnraummietverhältnis des Schuldners eine Enthaftungserklärung ab, wird der Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer die gesetzlich zulässige Höhe nicht übersteigenden Mietkaution vom Insolvenzbeschlag frei. (Leitsatz des Gerichts)

BGH, Beschluss vom 16.03.2017 - IX ZB 45/15 (LG Karlsruhe), BeckRS 2017, 107638

Anmerkung von

Rechtsanwalt Harald Kroth, Fachanwalt für Insolvenzrecht, Schultze & Braun Rechtsanwaltsgesellschaft für Insolvenzverwaltung mbH 

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 10/2017 vom 19.05.2017

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Sachverhalt

In dem am 19.10.2012 über das Vermögen des Schuldners eröffneten Verbraucherinsolvenzverfahren gab der zum Treuhänder bestellte weitere Beteiligte am 24.12.2012 gegenüber dem Vermieter der Wohnung des Schuldners eine Enthaftungserklärung nach § 109 I 2 InsO ab. Das Mietverhältnis endete nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens. Der Vermieter überwies die vom Schuldner zu Beginn des Mietverhältnisses gezahlte Mietkaution mit Zinsen auf ein Anderkonto des weiteren Beteiligten. Dessen Antrag auf Anordnung der Nachtragsverteilung über das Guthaben lehnte das Insolvenzgericht ab.

Die sofortige Beschwerde des weiteren Beteiligten blieb ohne Erfolg, ebenso seine vom Beschwerdegericht zugelassene Rechtsbeschwerde.

Entscheidung

Der BGH führte aus, dass die Voraussetzungen für eine vorliegend nur nach § 203 I Nr. 3 InsO in Betracht kommende Nachtragsverteilung, nämlich die Ermittlung von Massegegenständen erst nach dem Schlusstermin, nicht vorlägen, da der Anspruch auf die Mietkaution in Folge der vom Treuhänder nach § 109 I 2 InsO abgegebenen Enthaftungserklärung nicht mehr zur Insolvenzmasse gehöre.

Der mit der Leistung der Mietkaution auf Rückzahlung derselben aufschiebend bedingt durch die Beendigung des Mietverhältnisses und die Rückgabe der Mietsache entstandene Anspruch des Schuldners gehöre als Anwartschaftsrecht im Insolvenzverfahren über das Vermögen des Mieters zu der in § 35 InsO definierten Insolvenzmasse (BGH NZI 2014, 1064 Rn. 7 mAnm Buck FD-InsR 2014, 364060). Der Insolvenzverwalter könne Massegegenstände freigeben mit der Folge, dass der Insolvenzbeschlag ende und der Schuldner die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über den freigegebenen Gegenstand wiedererlange (BGH NZI 2005, 397 = BeckRS 2005, 01536).

Der Insolvenzverwalter könne das nach § 108 I InsO mit Wirkung für die Insolvenzmasse fortbestehende Wohnungsmietverhältnis des Schuldners nicht nach § 109 I 1 InsO kündigen, dafür aber nach § 109 I 2 InsO erklären, dass Ansprüche, die nach Ablauf der dort bestimmten Kündigungsfrist fällig werden, nicht im Insolvenzverfahren geltend gemacht werden können. Diese Enthaftungs- oder „Freigabeerklärung“ des Insolvenzverwalters/Treuhänders führe nach der neueren Rechtsprechung des BGH mit Wirksamwerden nicht nur zu einer Enthaftung der Insolvenzmasse von den nach Ablauf der Kündigungsfrist fällig werdenden Verbindlichkeiten aus dem Mietverhältnis, und hinsichtlich des Wohnungsmietverhältnisses des Schuldners auch den Rückfall der mit Verfahrenseröffnung auf den Insolvenzverwalter/Treuhänder übergegangenen Verfügungs- und Verwaltungsbefugnis auf den Schuldner (BGH NZI 2014, 452), sondern erstrecke sich „auf dasjenige Vermögen des Schuldners, das der weiteren Durchführung des Mietvertrags zuzuordnen ist.“ Das treffe insbesondere, aber nicht nur auf die erst nach dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung entstehenden mietvertraglichen Forderungen des Schuldners zu, sondern auch auf den Anspruch des Schuldners auf Rückzahlung einer geleisteten Mietkaution bis zur gesetzlich zulässigen Höhe (§ 551 I 3, 4 BGB. Dieser Anspruch entstehe zwar aufschiebend bedingt bereits mit der Leistung der Kaution, sei jedoch nach Sinn und Zweck der Mietkaution der Fortsetzung des Mietverhältnisses nach dem Wirksamwerden der Enthaftungserklärung zuzuordnen. Auch habe der Anspruch zu diesem Zeitpunkt noch keinen sicheren Vermögenswert, sondern erst bei Beendigung des Mietverhältnisses, wenn der Schuldner als Mieter bis dahin seine mietvertraglichen Pflichten vollumfänglich erfüllt habe.

Praxishinweis

Der zu erwartenden Entscheidung des BGH ist zuzustimmen (vgl. BGH NZI 2014, 614 mAnm Kroth FD-InsR 2014, 359767).

Sie setzt die Folgen des mit dem Wirksamwerden der Freigabe- oder Enthaftungserklärung verbundenen Rückfalls der Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis vom Insolvenzverwalter auf den Schuldner hinsichtlich der betroffenen Massegegenstände oder Rechtsverhältnisse konsequent fort. Zu beachten ist zwar für die Praxis, dass der BGH die Enthaftungswirkung ausdrücklich auf die nach § 551 I 3, 4 BGB zulässige Höhe der Mietkaution beschränkt, massewirksam relevant werden dürfte dies in der Praxis aber wohl eher selten.

Redaktion beck-aktuell, 24. Mai 2017.