BGH: Haftung des Steuerberaters für einen Insolvenzverschleppungsschaden

InsO § 19 II, HGB § 252 I Nr. 2, BGB § 675

1. Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater ist verpflichtet zu prüfen, ob sich auf der Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Unterlagen und der ihm sonst bekannten Umstände tatsächliche oder rechtliche Gegebenheiten ergeben, die einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit entgegenstehen können. Hingegen ist er nicht verpflichtet, von sich aus eine Fortführungsprognose zu erstellen und die hierfür erheblichen Tatsachen zu ermitteln (Ergänzung zu BGH, WM 2013, 802 und BGH, WM 2013, 1323).

2. Der mit der Erstellung eines Jahresabschlusses für eine GmbH beauftragte Steuerberater hat die Mandantin auf einen möglichen Insolvenzgrund und die daran anknüpfende Prüfungspflicht ihres Geschäftsführers hinzuweisen, wenn entsprechende Anhaltspunkte offenkundig sind und er annehmen muss, dass die mögliche Insolvenzreife der Mandantin nicht bewusst ist (teilweise Aufgabe von BGH, WM 2013, 802). (Leitsätze des Gerichts)

BGH, Urteil vom 26.01.2017 - IX ZR 285/14 (OLG Hamburg), BeckRS 2017, 101939

Anmerkung von

Rechtsanwalt Torsten Cülter, Schultze & Braun GmbH Rechtsanwaltsgesellschaft 

Aus beck-fachdienst Insolvenzrecht 05/2017 vom 10.03.2017

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Sachverhalt

Die schuldnerische GmbH beauftragte den beklagten Steuerberater 2005, den Jahresabschluss für 2003 zu erstellen und übergab hierzu den Jahresabschluss für 2002, der einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag auswies. Auch die vom Beklagten erstellten Jahresabschlüsse für die Jahre 2003 bis 2007 wiesen nicht durch Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge auf.

2007 wies der Beklagte darauf hin, dass der Geschäftsführer verpflichtet sei, "regelmäßig die Zahlungsfähigkeit sowie die Vermögensverhältnisse der GmbH dahingehend zu überprüfen, ob die Zahlungsfähigkeit gewährleistet ist und dass keine Überschuldung vorliegt". Anfang 2009 übersandte er den vorläufigen Jahresabschluss für 2007 und teilte mit, dass sich die Überschuldung durch den Jahresfehlbetrag weiter erhöht habe.

Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens im Juli 2009 machte der Insolvenzverwalter einen Haftungsanspruch gegen den Steuerberater für einen Insolvenzverschleppungsschaden geltend, da die Schuldnerin seit Mitte 2005 insolvenzreif gewesen sei. Er beantragte festzustellen, dass der Beklagte sämtliche Schäden seit dem 30.6.2005 zu ersetzen habe, die durch eine verschleppte Insolvenzantragstellung bei der Schuldnerin entstanden seien. Das LG hat die Klage abgewiesen, die Berufung des Klägers hat keinen Erfolg gehabt. Mit der zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.

Entscheidung

Die Revision führt zur Aufhebung und Zurückverweisung.

Der Beklagte habe die Jahresabschlüsse für die Schuldnerin pflichtwidrig auf der Grundlage von Fortführungswerten und damit mangelhaft erstellt. Deswegen hafte er auf Schadensersatz gem. §§ 280 I, 634 Nr. 4, 675 I BGB.

Der BGH weist darauf hin, dass er nicht uneingeschränkt an seiner Rechtsprechung (BGH BeckRS 2013, 06838) festhalte, wonach es grundsätzlich nicht Aufgabe des Steuerberaters sei, die Gesellschaft bei einer handelsbilanziellen Unterdeckung darauf hinzuweisen, dass eine Prüfungspflicht des Geschäftsführers bzgl. einer möglicherweise bestehenden Insolvenzantragspflicht gem. § 15 a InsO bestehe. Der Steuerberater müsse den Mandanten vielmehr klar und deutlich darauf hinweisen, dass er die handelsrechtliche Bilanz nur dann nach Fortführungswerten erstellen könne, wenn hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen vorlägen. Er hätte dem Mandanten erläutern müssen, welche Anforderungen § 252 I Nr. 2 HGB an die Bilanzierung nach Fortführungswerten stelle und dass aufgrund der bilanziellen Überschuldung und den wiederholten Verlusten konkrete Zweifel an einer Fortführung der Unternehmenstätigkeit bestünden und dass deshalb eine explizite Fortführungsprognose erforderlich sei. Der vom Beklagten erteilte allgemeine Hinweis, dass eine bilanzielle Überschuldung vorläge, entlaste den Steuerberater nicht. Gleiches gelte für die Hinweise auf eine generelle Prüfungspflicht in den beiden Schreiben aus 2007.

Allerdings sei der Steuerberater ohne einen ausdrücklich hierauf gerichteten Auftrag nicht verpflichtet, umfassende Nachforschungen oder Untersuchungen anzustellen, ob die gesetzliche Vermutung des § 252 I Nr. 2 HGB tatsächlich gerechtfertigt sei, oder von sich aus nach möglichen Insolvenzgründen zu forschen. Ihn treffe auch keine allgemeine Untersuchungspflicht hinsichtlich der wirtschaftlichen Verhältnisse der Gesellschaft. Daher hafte der Steuerberater für einen objektiv fehlerhaften Jahresabschluss nicht schon dann, wenn er bei einer Nachforschung oder einer Untersuchung der wirtschaftlichen Verhältnisse hätte erkennen können, dass die Gesellschaft insolvenzreif war.

Eine Haftung ergebe sich daneben aus §§ 280 I, 675 I BGB wegen Verletzung von Hinweis- und Warnpflichten. Da die erstellten Jahresabschlüsse in mehreren aufeinander folgenden Jahren nicht von Eigenkapital gedeckte Fehlbeträge aufwiesen, sei der Steuerberater verpflichtet gewesen, die Schuldnerin auf möglicherweise bestehende Handlungspflichten gem. §§ 17 ff. InsO hinzuweisen. Der generelle Hinweis aus dem Jahr 2007 genüge diesen Anforderungen nicht. Auch sei nicht davon auszugehen, dass die Unterbilanz für den Geschäftsführer ohne weiteres ersichtlich sei und deshalb keine Hinweispflicht des Steuerberaters auf einen möglichen Insolvenzgrund bestehe (teilweise Aufgabe von BGH BeckRS 2013, 06838).

Praxishinweis

Mit dem Urteil erhöht der BGH erneut die Anforderungen an Steuerberater und verschärft deren Haftungsrisiken. Im Hinblick auf die potentiell erheblichen Haftungssummen sollten Berater das Urteil ernst nehmen und den Hinweis- und Warnpflichten auch bei möglicherweise drohendem Mandatsverlust nachkommen. Denn in derart gelagerten Fällen dürfte die Haftungssumme die zukünftigen Honorare bei weitem übersteigen. Ein der Gesellschaft zuzurechnendes Mitverschulden des Geschäftsführers könnte den Schadensersatzanspruch allerdings erheblich mindern oder ganz ausschließen. Hierfür trägt freilich der Steuerberater die Beweislast. Gleiches gilt für eine möglicherweise nicht bestehende Kausalität zwischen Pflichtverletzung und verzögerter Insolvenzantragstellung.

Redaktion beck-aktuell, 13. März 2017.