OLG München: Konstruktive Vorerbschaft bei einer Erbeinsetzung nur für den zweiten Erbfall in einem gemeinschaftlichen Testament

BGB §§ 133, 2084, 2105, 2265, 2269

Auslegung eines gemeinschaftlichen Testaments, in dem die Ehegatten keine ausdrückliche Regelung der Erbfolge für den Fall des Todes des Erstversterbenden getroffen, aber bestimmt haben, dass beim zweiten Erbfall ein Sohn Erbe sein soll, als konstruktive Vorerbschaft. (Leitsatz der Redaktion)

OLG München, Beschluss vom 11.03.2020 - 31 Wx 10/20, BeckRS 2020, 3491

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 03/2020 vom 24.03.2020

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Sachverhalt

Aus der Ehe des Erblassers mit der Beteiligten zu 1 gingen die Beteiligten zu 2 und 3 hervor. Für den Beteiligten zu 3 ist ein Abwesenheitspfleger bestellt.

Es liegt ein gemeinschaftliches Testament der Ehegatten vom 2.8.2016 vor, das wie folgt lautet:

„Wir beide besitzen gemeinsam Haus mit Grundstück und etwas Ersparnis auf der Reifeisenbank (…).

Allein Erbe ist unser Sohn … (= Beteiligter zu 2)

Sohn … (= Beteiligter zu 3) hat kein Anspruch also Enterbt Dieses Testament ist nur gültig Wen wir Beide Tot sind“

Die Beteiligte zu 1 beantragte die Erteilung eines Erbscheins, der sie aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments Alleinerbin des Erblassers ausweist. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind der Auffassung, dass aus dem Gesamtzusammenhang des Testaments der Wille der Ehegatten ersichtlich sei, sich für den Tod des Erstversterbenden gegenseitig zu Alleinerben einzusetzen. Die Ehegatten hätten nicht gewollt, dass nach dem Tod des Erstversterbenden die gesetzliche Erbfolge eintrete. Der Beteiligte zu 3 habe an dem gemeinsamen Besitz nicht beteiligt sein sollen.

Das Nachlassgericht hat die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Abwesenheitspflegers.

Entscheidung: Der Senat teilt nicht die Auffassung des Nachlassgerichts, dass sich nach dem Willen der Ehegatten die Einsetzung der Beteiligte zu 1 als Alleinerbin nach dem Vorversterben des Erblassers aus dem Testament ergebe.

Eine Erbeinsetzung der Beteiligten zu 1 für den Fall des Erstversterbens ihres Ehegatten ergibt sich nicht im Wege der individuellen Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments vom 2.8.2016.

Die von den Ehegatten ausdrücklich angeordnete Einsetzung des Beteiligten zu 2 als Alleinerbe und die Enterbung des Beteiligten zu 3) betreffen allein den Fall, dass beide Ehegatten verstorben sind. Sie haben ausdrücklich erklärt, dass „dieses Testament nur gültig ist, wenn wir beide Tot sind“. Insofern ergibt sich für den hier allein maßgeblichen Willen beider Ehegatten im Zeitpunkt der Testamentserrichtung eindeutig, dass allein die Erbfolge nach ihrer beider (!) Ableben, also der Zweiterbfall, geregelt sein sollte.

Der von der Beteiligten zu 1 behauptete Wille einer Regelung des Erbfalls betreffend das Erstversterben eines der Ehegatten und damit einer Alleinerbeinsetzung der Beteiligten zu 1 ist entgegen der Auffassung des Nachlassgerichts nicht in der Zuwendung der Immobilie an den Beteiligten zu 2 und der Enterbung des Beteiligten zu 3 angedeutet. Eine solche Auslegung steht im Widerspruch zu der ausdrücklichen Anordnung der Ehegatten der Wirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments für den Fall ihrer beider Ableben.

In der Gesamtschau der in dem gemeinschaftlichen Testament angeordneten Verfügungen finden sich keinerlei Anhaltspunkte, die nahelegen, dass die Ehegatten im Zeitpunkt ihrer Testierung von der Vorstellung ausgingen, dass sie zwei im zeitlichen Abstand zueinander eintretende Erbfälle regeln wollten.

Irrelevant ist auch, dass die beiden Ehegatten nach dem Vorbringen der Beteiligten zu 1 keine Kenntnis davon hatten, dass damit im ersten Erbfall gesetzliche Erbfolge eintritt. Darauf, ob ein Erblasser diese Rechtsfolge gewollt hat oder nicht, kommt es nicht an. Denn die gesetzliche Erbfolge beruht nicht auf einem Willen des Erblassers, sondern tritt kraft Gesetzes ein. Ob die insofern angedachte Anordnung mangels Regelung des Ersterbfalls letztendlich nicht praktikabel ist, ist nicht maßgebend.

Vorliegend sind aber die von den Ehegatten für den zweiten Erbfall getroffenen Anordnungen mittels Anwendung des § 2105 Abs. 1 BGB umsetzbar. Demgemäß ist der Beteiligte zu 3 im ersten Erbfall in Bezug auf das Nachlassvermögen des Erblassers neben der Beteiligten zu 1 und dem Beteiligten zu 2 als gesetzlicher Erbe des Erblassers nur Vorerbe geworden und muss bei Ableben der Beteiligten zu 1 dem Beteiligten zu 2 als Nacherben des Erblassers sowie Vollerbe der Beteiligten zu 1 dieses herausgeben. Dadurch ist gewährleistet, dass der Beteiligte zu 2 nach dem Ableben der Beteiligten zu 1 entsprechend dem Willen der Ehegatten (nach beider Ableben) deren Immobilie erhält.

Praxishinweis

Mit dieser Entscheidung beweist der Senat die gebotene Zurückhaltung bei der Ergänzung unterbliebener letztwilliger Verfügungen im Rahmen der Testamentsauslegung.

Bei einem Rückschluss von getroffenen auf angeblich fehlende Verfügungen ist nämlich stets einschränkend zu fordern, dass die getroffene Verfügung ohne die zu ergänzende überhaupt keinen Sinn ergibt, da sich andernfalls die Auslegung völlig vom Text lösen würde (OLG Schleswig BeckRS 2016, 19261; OLG München BeckRS 2013, 420; OLG Schleswig BeckRS 2013, 9366). Deshalb ist dem Senat zuzustimmen, wenn er grundsätzlich feststellt, dass auch bei einem gemeinschaftlichen Testament von einer Schlusserbeneinsetzung nicht auf eine gegenseitige Erbeinsetzung der Ehepartner geschlossen werden (Vgl. BGH NJW 1981, 1737).

Im vorliegenden Fall haben die Erblasser im eigenhändigen Testament nicht nur die gegenseitige Erbeinsetzung mit keinem Wort angedeutet, sondern sogar ausdrücklich bestimmt: „Dieses Testament ist nur gültig Wen wir Beide Tot sind“. Deutlicher kann man nicht zum Ausdruck bringen, dass nur der zweite Erbfall, also der Tod des Längerlebenden geregelt werden sollte.

Hinzu kommt, dass der ausdrücklich erklärte Wille, dem eingesetzten Sohn den Nachlass zuzuwenden und den Beteiligten zu 3 zu enterben, mit Hilfe der sog. konstruktiven Vorerbschaft nach § 2105 Abs. 1 BGB wirtschaftlich umgesetzt werden kann: Hat der Erblasser nämlich angeordnet, dass der eingesetzte Erbe die Erbschaft erst mit dem Eintritt eines bestimmten Zeitpunkts oder Ereignisses (hier: zweiter Erbfall) erhalten soll (hier: Beteiligter zu 2), ohne zu bestimmen, wer bis dahin Erbe sein soll, so sind die gesetzlichen Erben des Erblassers (hier: die Beteiligten zu 1 bis 3) die nicht befreiten Vorerben. Der begünstigte Beteiligte zu 2 ist insoweit Nacherbe, wobei der Nacherbfall mit dem Tod der Beteiligten zu 1 eintritt. Damit kann der erklärte Wille beider Beteiligten umgesetzt werden, den Beteiligte zu 3 am Stamm des Nachlassvermögens wirtschaftlich nicht zu beteiligen. Also auch ohne das Hineininterpretieren einer gegenseitigen Erbeinsetzung beim ersten Erbfall kann im vorliegenden Fall der erklärte Erblasserwille umgesetzt werden.

Die Entscheidung des Senats fügt sich somit nahtlos in die zitierte obergerichtliche Rechtsprechung ein und zeigt einen Weg auf, um in den nicht gerade seltenen Fällen einer „vergessenen gegenseitigen Erbeinsetzung“ doch zu einer dem Erblasserwillen gerecht werdenden Lösung zu gelangen. Die konstruktive Vorerbschaft ist zwar umständlich, doch tragen dafür letztlich der Erblasser und seine Ehefrau die Verantwortung, weil sie ohne jegliche Fachkenntnis eigenhändig ein gemeinschaftliches Testament verfasst haben! Dieser Fall ist damit auch eine späte Bestätigung für die Befürchtungen des Reichstagsabgeordneten von Buchka, der in der 2. Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs am 26.6.1896 sagte: „Ich stehe auf dem Standpunkt, daß ich das holographische Testament für ein schweres Unglück halte. … Es kommt … hinzu, daß … auch die Rechtssicherheit in hohem Grade hierdurch gefährdet wird.“ (zitiert nach Horn, Materialienkommentar Erbrecht, § 2231 Rn. 101).

Redaktion beck-aktuell, 26. März 2020.

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