BFH: Körperschaftsteuerpflicht bei von Todes wegen errichteten Stiftungen

AO §§ 38, 55 I Nr. 4, 59, 60 II, 61 I; BGB §§ 83, 84, 1923 I; GmbHG § 7 II, III; KStG § 5 I Nr. 9

1. Die Körperschaftsteuerpflicht einer Stiftung beginnt mit dem Tode des Stifters.

2. Eine Ausdehnung der Rückwirkungsfiktion des § 84 BGB auf die in § 5 Abs 1 Nr. 9 KStG angeordnete Steuerbefreiung kommt ohne eigenständige steuerrechtliche Anordnung der Rückwirkung nicht in Betracht. (amtl Leitsätze)

BFH, Urteil vom 06.06.2019 - V R 50/17, BeckRS 2019, 23543

Anmerkung von 
JR Dr. Wolfgang Litzenburger, Notar in Mainz
 
Aus beck-fachdienst Erbrecht 10/2019 vom 25.10.2019

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Sachverhalt

Streitig ist, ob die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) in den Streitjahren 2005 und 2006 von der Körperschaftsteuer befreit ist.

Die Klägerin ist eine Stiftung. Der Stifter hatte unter dem 1. Juni 1997 ein eigenhändiges Testament mit folgendem (auszugsweisen) Inhalt verfasst:

„… Sollte mir plötzlich und unerwartet einmal etwas zustoßen …, bestimme ich Folgendes: Mein gesamtes Vermögen Geld, Häuser, Grundstücke, Sparvorhaben, Girokonten, Solarien, Geräte, etc. außerhalb bei Kunden kommen einer allgemein nützlichen A.-Stiftung für ältere durch nicht selbst verschuldete Armut bedrückte deutsche Mitbürger zugute. … Es dürfen keine Häuser und anderen Objekte verkauft werden. Die Netto-Einnahmen fließen der Stiftung zu. Das Geld auch aus meinen Geldanlagen … darf nur in die Stiftung fließen und nicht dem Staat Deutschland und auch nicht dem Finanzamt zukommen. Es muss so gewirtschaftet werden, dass keine staatliche Stelle hiervon was bekommt. Die Verwaltung sollte ehrenamtlich erfolgen mit Aufwandsentschädigung für die Verwalter, evtl. Kirche oder andere Personen auf keinen Fall staatlich, denn die haben alle ca. 90% keine Ahnung. …".

Der Stifter ist im November 2004 verstorben. Es wurde ein Nachlasspfleger bestellt.

Die Klägerin wurde am 26.01.2007 von der Bezirksregierung als rechtsfähig anerkannt. Der Anerkennung der Stiftung lag die eingereichte und unterzeichnete Satzung der Klägerin vom 19.01.2007 zugrunde, die der Nachlasspfleger mit seinem Schreiben vom 19.01.2007 an die Bezirksregierung übermittelt hatte. Nach der Satzung bestand der (erste) Stiftungsvorstand aus G. H. und D., dem Nachlasspfleger. Zuvor hatte der Nachlasspfleger bereits am 28.12.2006 unter Beifügung eines nicht unterzeichneten Satzungsentwurfs die „Errichtung der gemeinnützigen Stiftung“ bei der Bezirksregierung beantragt.

Der auf die Klägerin ausgestellte Erbschein wurde am 17.12.2008 erteilt.

In den Streitjahren 2005 und 2006 wurden mit dem Stiftungsvermögen Vermietungseinnahmen, Zinseinnahmen sowie weitere Einnahmen erzielt.

Das Finanzamt führte 2011 eine Außenprüfung bei der Klägerin u.a. für die Körperschaftsteuer 2005 und 2006 durch, in deren Folge es die Klägerin nicht als gemeinnützig anerkannte und in den Körperschaftsteuerbescheiden für 2005 und 2006 Körperschaftsteuer festsetzte.

Einspruch und Klage hatten keinen Erfolg. Dagegen richtet sich die Revision der Stiftung.

Entscheidung: Das FG hat zu Recht entschieden, dass die Klägerin zwar subjektiv körperschaftsteuerpflichtig ist, die Voraussetzungen einer Steuerbefreiung aber nicht vorliegen.

1. Beginn der Körperschaftsteuerpflicht

Die Klägerin ist in den Streitjahren (2005 und 2006) unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig. Die Steuerpflicht beginnt mit der zivilrechtlich wirksamen Gründung. Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung sind gemäß § 80 Abs. 1 BGB das Stiftungsgeschäft und die Anerkennung durch die zuständige Behörde des Landes erforderlich, in dem die Stiftung ihren Sitz haben soll. Das war in den Streitjahren zwar noch nicht der Fall. Nach § 84 BGB gilt eine Stiftung, die - wie hier - erst nach dem Tode des Stifters als rechtsfähig anerkannt wird, für die Zuwendungen des Stifters als schon vor dessen Tod entstanden. Damit ermöglicht es das Gesetz der Stiftung als Erbin Vermögen vom Stifter im Erbgang zu erwerben. Sie ist hinsichtlich des Vermögensanfalls so zu behandeln, als habe sie im Todeszeitpunkt des Stifters bereits existiert und wird durch die gesetzliche Fiktion mit der staatlichen Genehmigung rückwirkend zur Vollerbin. Anders als bei Kapitalgesellschaften ist das Vermögen bei Stiftungen von Todes wegen bereits mit dem Tod des Stifters vorhanden. Diese gilt auch im Steuerrecht (BFH BeckRS 2003, 24001557). Deshalb beginnt die Körperschaftsteuerpflicht der Stiftung rückwirkend schon mit dem Tode des Stifters.

2. Anerkennung der Gemeinnützigkeit gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG

Die Klägerin ist in den Streitjahren nicht von der Körperschaftsteuer befreit. Nach dieser Vorschrift sind Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen, die nach der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung und nach der tatsächlichen Geschäftsführung ausschließlich und unmittelbar gemeinnützigen, mildtätigen oder kirchlichen Zwecken dienen (§§ 51 bis 68 AO), von der Körperschaftsteuer befreit. Gemäß § 59 AO wird die Steuervergünstigung gewährt, wenn sich aus der Satzung, dem Stiftungsgeschäft oder der sonstigen Verfassung (Satzung im Sinne dieser Vorschriften) ergibt, welchen Zweck die Körperschaft verfolgt, dass dieser Zweck den Anforderungen der §§ 52 bis 55 AO entspricht und dass er ausschließlich und unmittelbar verfolgt wird. Die tatsächliche Geschäftsführung muss diesen Satzungsbestimmungen entsprechen. § 61 Abs. 1 AO schreibt vor, dass eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung nur dann vorliegt, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zweckes verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt wird, dass auf Grund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist. Dabei muss die Satzung den vorgeschriebenen Erfordernissen bei der Körperschaftsteuer und bei der Gewerbesteuer nach dem eindeutigen Wortlaut der Vorschrift während des ganzen Veranlagungs- oder Bemessungszeitraums entsprechen. Eine Satzung, die diesen Anforderungen entspricht, lag in den Streitjahren nicht vor. Sie existiert erst nach Anerkennung der Klägerin durch die zuständige Behörde ab dem Jahr 2012.

Die Rückwirkungsfiktion des § 84 BGB gilt nicht für die in § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG geregelten Voraussetzungen der Steuerbefreiung, weil sie ausdrücklich nur „für die Zuwendungen des Stifters“ angeordnet ist. Eine Ausdehnung dieser Fiktion auf die Steuerbefreiung kommt ohne eigenständige steuerrechtliche Anordnung der Rückwirkung nicht in Betracht. Vielmehr muss der steuererhebliche Sachverhalt während des ganzen Veranlagungszeitraums gegeben sein. Damit wirkt sich die Änderung des nach dem Steuertatbestand rechtserheblichen Sachverhalts (Satzung infolge der Anerkennung) nicht in der Vergangenheit in einer Weise aus, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (vgl. dazu grundlegend BFH BeckRS 1993, 22010776).

Das Gesetz enthält die klare und eindeutige Anordnung, dass die Satzung während des ganzen Veranlagungszeitraums den vorgeschriebenen Erfordernissen entsprechen muss. Das tut sie aber nicht, wenn sie erst nach dem streitigen Veranlagungszeitraum und ohne zurückzuwirken wirksam erlassen wird.

Nach § 38 AO entstehen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis durch Verwirklichung des im Gesetz geregelten Tatbestandes, zu dem auch die Regelungen über Steuerbefreiungen gehören. Ohne Kenntnis der Satzung kann aber nicht beurteilt werden kann, ob die die Voraussetzungen der Gemeinnützigkeit erfüllt sind.

Durch die Streichung des § 62 AO wollte der Gesetzgeber erreichen, dass die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bei allen unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Körperschaften davon abhängt, dass die Vermögensbindung in deren Satzung genau bestimmt ist (BTDrucks 16/11108, S. 46 zu Nr. 6). Hierfür aber muss in dem jeweiligen Veranlagungszeitraum eine derartige Satzung vorliegen.

Praxishinweis

Diese Entscheidung ist für alle von Todes wegen errichtete Stiftungen von größter Bedeutung, weil sie zwischen dem Entstehen der Steuerpflicht und der Gewährung der Steuervergünstigung differenziert und damit einen Zeitraum schafft, in dem Einnahmen zwar körperschaftsteuerpflichtig sind, aber nicht als gemeinnützig steuerbefreit gelten.

Gerade bei ohne fachkundigem Rat errichteten, letztwillig angeordneten Stiftungen besteht die Gefahr, dass sich die tatsächliche Stiftungsgründung sowie die letztlich entscheidende Anerkennung durch die zuständige Stiftungsbehörde über Monate verzögert. Nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung muss der Erbe, Testamentsvollstrecker oder – wie hier – der Nachlasspfleger unbedingt dafür sorgen, dass die Anerkennung durch die Stiftungsbehörde und die Anerkennung der Gemeinnützigkeit durch die Finanzbehörde zeitgleich erfolgen. Andernfalls entsteht die Körperschaftsteuerpflicht bereits mit der Wirksamkeit der Stiftung aufgrund der Anerkennung rückwirkend auf den Erbfall, während die Steuerbefreiung erst mit der Wirksamkeit der Satzungsbestimmungen, die für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit konstitutiv sind, gilt.

Deshalb müssen die für die Gemeinnützigkeit konstitutiven Satzungsbestimmungen bereits in der Fassung enthalten sein, die der Stiftungsbehörde zum Zwecke der Anerkennung vorgelegt wird. Nur so ist gewährleistet, dass Körperschaftspflicht und Anerkennung der Gemeinnützigkeit zeitgleich eintreten.

Ein Problem hat der Senat allerdings in seiner Entscheidung nicht bedacht, nämlich die Tatsache, dass aufgrund der Rückbeziehung der Körperschaftssteuerpflicht auf den Tod des Erblassers alle Einnahmen ab diesem Termin bis zum Anerkennungsbescheid zwar körperschaftspflichtig, aber nicht von der Steuer befreit sind. Keine Stiftung von Todes wegen, die in dieser Zeit Einnahmen erzielt, kann dieser befristeten Körperschaftssteuerpflicht entkommen. Weil sich das Anerkennungsverfahren – wie so oft - über mehrere Monate oder gar Jahre hinzieht, würde diese Entscheidung bei sämtlichen Gründungsvorgängen zur Steuerpflicht für diesen Zeitraum führen. Dies kann nicht gewollt sein, zumal dann, wenn die Verzögerung der Bearbeitung von der Stiftungsbehörde zu verantworten ist.

Deshalb sollte diese Entscheidung nicht über den entschiedenen Sachverhalt hinaus verallgemeinert werden, bei dem ein langer Zeitraum zwischen der Anerkennung und der Wirksamkeit der für die Gemeinnützigkeit konstitutiven Satzungsbestimmungen verstrichen ist. Dies gilt um so mehr, weil der Senat in der Begründung auf der einen Seite zwar die Rückwirkungsfiktion des § 84 BGB für die Entstehung der Körperschaftsteuerpflicht faktisch anwendet, diese aber ausdrücklich und kategorisch für die Steuerbefreiung wegen Gemeinnützigkeit ablehnt. Dies ist inkonsequent. Konsequenterweise hätte der Senat auf dieser Basis eigentlich auch die Körperschaftsteuerpflicht nicht rückwirkend mit dem Erbfall eintreten lassen dürfen, sondern erst mit der Anerkennung durch die Stiftungsbehörde.

Dieser Widerspruch lässt sich wie folgt auflösen: Wenn die der Stiftungsbehörde zur Anerkennung vorgelegte Satzung die konstitutiven Gemeinnützigkeitsbestimmungen bereits enthält, muss die in § 84 BGB angeordnete Rückwirkung nicht nur für das Entstehen der Körperschaftsteuerpflicht, sondern auch für die steuerlichen Gemeinnützigkeitsregelungen gelten. Soviel Rückwirkung muss sein, um eine in sich konsequente Besteuerung in der Gründungsphase einer Stiftung von Todes wegen zu erreichen.

Abschließend muss nochmals dringend davor gewarnt werden, die Anerkennung einer Stiftung von Todes wegen unter Vorlage einer Satzung zu beantragen, die die konstitutiven Gemeinnützigkeitsbestimmungen (noch) nicht enthält. Nur über diesen Fall hat der Senat entschieden, und zwar im Ergebnis zu Recht. Alles andere ist nur ein obiter dictum, das dringend der Klarstellung durch eine weitere höchstrichterliche Entscheidung bedarf.

Redaktion beck-aktuell, 28. Oktober 2019.